Laut dem Historiker Hikmet Özdemir sind "mehr Türken von armenischer Hand getötet worden als umgekehrt".
Die offizielle türkische Geschichtsschreibung sieht die Türken als Opfer radikaler Armenier. Im Ersten Weltkrieg seien die christlichen Armenier, die als osmanische Soldaten gekämpft hätten, zum Feind - den Russen - übergelaufen. Hinter der Front hätten sie Massaker an den türkischen Zivilisten - auch Frauen, Kindern und älteren Menschen - verübt.
Laut dem Historiker Hikmet Özdemir sind "insgesamt 570.000 Türken von armenischer Hand" gestorben seien. In absoluten Zahlen, so Özdemir, seien "vielleicht weniger Armenier als Türken" gestorben. Dass die Regierung des Osmanischen Reiches die Vernichtung der Armenier beabsichtigt habe, dafür gebe es keinen Beleg. Ihre Deportation sei aus militärischen Gründen notwendig gewesen.
Dabei, so Özdemir, gehe aus allen Dokumenten hervor, "dass die Regierung um den Schutz der Zivilisten bemüht war, sogar die Vertreibung vom Winter auf den Frühling verschob, um die Menschen zu schonen". Dass so viele gestorben seien, "war Folge der Kriegswirren, der Witterung, der primitiven Umstände". Allgemein räumt die Türkei den Tod von etwa 300.000 Armeniern ein.
Neben den historischen "Klarstellungen" ist die offizielle Türkei auch bemüht, auf die Terroraktivitäten armenischer Untergrundgruppen wie der ASALA hinzuweisen, denen in den 70er und 80er Jahren zahlreiche türkische Diplomaten zum Opfer fielen - auch in Österreich. So wurde 1975 der türkische Botschafter in Wien, Danis Tunagil, im Botschaftsgebäude von einem Killerkommando erschossen.
Die Armenier-Massaker belasten auch nach wie vor das Verhältnis zum Nachbarstaat Armenien. Obwohl die Türkei 1991 die ehemalige Sowjetrepublik als einer der ersten Staaten anerkannte, gibt es bis heute keine diplomatischen Beziehungen zwischen Ankara und Eriwan.
Die jahrzehntelange Tabuisierung der Armenier-Frage in der Türkei hat eine ernsthafte Diskussion auch über die Stichhaltigkeit der Argumente der armenischen Seite verhindert. Ankara wirft nämlich der armenischen Diaspora vor, zahlreiche Dokumente, mit denen die Völkermord-These belegt werden soll, gefälscht zu haben. Das zu überprüfen ist aber nur durch eine unvoreingenommene wissenschaftliche Diskussion möglich.
Die Tabuisierung der Armenier-Frage in der Türkei begann erst gegen Ende des Zweiten Weltkriegs. Zuvor war über die "Verbrechen an den Armeniern" offen diskutiert worden. Als der sowjetische Diktator Josef Stalin aber im März 1945 die Abtretung der Provinzen Kars und Ardahan als "Entschädigung" für die Armenier-Massaker von 1915 forderte, änderte sich dies umgehend.
Bis heute unterstellt der türkische Generalstab den Armeniern, einem Plan zu folgen, der die "vier T" genannt wird. Dazu gehören das Beweisen ("tanitmak") und die Anerkennung ("tanimak") des Völkermordes, Entschädigungszahlungen ("tazminat") und Gebietsforderungen ("toprak").
Wie schwer dies nach wie vor im EU-Kandidatenland Türkei heute noch ist, zeigten die wütenden Proteste von Nationalisten gegen eine Armenier-Konferenz im Herbst 2005 in Istanbul. Ein gerichtlich erzwungenes Verbot der Veranstaltung wurde erst auf Intervention der türkischen Regierung rückgängig gemacht. Der damalige Außenminister und heutige Staatspräsident Abdullah Gül hatte das Störmanöver der Justiz mit den Worten kommentiert: "Es gibt nur wenige Nationen, die sich selbst so sehr schaden."