Seit Wochen wird Russlands Außenminister Sergei Lawrow nicht mehr öffentlich gesehen. Der 75-Jährige, einst einer der erfahrensten Diplomaten der Welt, soll bei Präsident Wladimir Putin in Ungnade gefallen sein – offiziell bestreitet der Kreml jegliche Spannungen.
Mehr als 20 Jahre lang war Sergei Lawrow eine der konstantesten Figuren der russischen Außenpolitik. Nun sorgt sein plötzliches Fernbleiben von zentralen Regierungsterminen für Spekulationen. Beobachter vermuten, dass es zwischen dem Außenminister und Präsident Wladimir Putin zum Bruch gekommen sein könnte.
Besonders auffällig: Zum G20-Gipfel am 22. und 23. November in Johannesburg soll nicht Lawrow selbst, sondern ein jüngerer Diplomat reisen. Auch bei einer Sitzung des russischen Sicherheitsrates fehlte Lawrow als einziges Regierungsmitglied.
Der Kreml weist die Gerüchte entschieden zurück. Sprecher Dmitri Peskow erklärte, Lawrow arbeite weiterhin und werde bald wieder öffentlich auftreten: „Es gibt keinen Grund zur Beunruhigung.“
Spannungen nach geplatztem US-Treffen
Dennoch mehren sich Berichte über interne Spannungen. Nach Informationen des Guardian soll es Mitte Oktober zu einem Streit zwischen Lawrow und Putin gekommen sein – ausgerechnet im Zusammenhang mit einem geplanten Treffen mit den USA in Budapest, das inzwischen auf unbestimmte Zeit verschoben wurde.
Laut einem früheren Kreml-Beamten habe Lawrow beim vorbereitenden Gespräch mit US-Außenminister Marco Rubio zu kompromisslos agiert. Der Diplomat habe auf den Maximalforderungen Moskaus bestanden und damit ein diplomatisches Treffen „vermasselt“. „Putin wollte das Treffen, und Lawrow hat sich eingemischt“, so die Quelle.
In der Folge sagten die USA das Treffen ab und verhängten neue Sanktionen gegen russische Ölkonzerne – ein diplomatischer Rückschlag, der in Moskau Lawrow angelastet worden sein könnte.
Loyal oder Sündenbock?
Der ehemalige russische Diplomat Boris Bondarew, der nach Beginn des Ukraine-Kriegs ins Ausland ging, hält die Theorie einer Rebellion Lawrows jedoch für unwahrscheinlich: „Es gibt keine eigene Meinung Lawrows, nur die von Putin.“ Möglich sei aber, dass Lawrow nun als Sündenbock für das gescheiterte Treffen herhalten müsse: „Im russischen System kann der Chef nie schuld sein.“
Jüngerer Konkurrent auf dem Vormarsch?
Bereits vor den aktuellen Spekulationen galt Lawrows Einfluss als geschwächt. Medienberichten zufolge spielt Kirill Dmitrijew, enger Freund von Putins Tochter, inzwischen eine größere Rolle in den Verhandlungen mit den USA. Dmitrijew soll seit 2024 direkten Zugang zu Trumps Beraterkreis haben – eine Position, die Lawrow offenbar missfiel.
Als Lawrow versuchte, Dmitrijew aus Friedensgesprächen in Riad auszuschließen, griff Putin persönlich ein und verschaffte seinem Vertrauten einen Platz am Tisch. Laut Kreml-Insidern gilt das Verhältnis der beiden Diplomaten seither als zerrüttet.
Ungewisse Zukunft
Ob Lawrow tatsächlich abgesetzt oder nur vorübergehend aus der Öffentlichkeit genommen wurde, bleibt offen. Der Kreml bemüht sich, Normalität zu signalisieren. Doch in Moskau wird zunehmend darüber spekuliert, ob die Ära des langjährigen Außenministers zu Ende geht – und ein Generationswechsel in der russischen Diplomatie bevorsteht.