Hintergrund

Putins erster Arbeitstag als Regierungschef

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Nach acht Jahren in den goldverzierten Prunksälen des Kremlpalastes fand sich Wladimir Putin (55) im tristen Plenarsaal der Staatsduma wieder.

Der von seinen Anhängern erst kürzlich zum "nationalen Führer" ausgerufene Politiker musste sich von den wenigen nicht Kreml-treuen Abgeordneten Vorhaltungen anhören, die er als Staatschef längst nicht mehr gewohnt war.

Putin konnte es sich nicht verkneifen, bei mancher Verbaleskapade im Parlament genervt die Augen zu rollen. Doch auch die letzte Etappe der Operation Machtübergabe klappte. Wie erwartet bestätigte die Staatsduma - mit Ausnahme der Kommunisten - den bisherigen Präsidenten Putin einen Tag nach seinem Abschied aus dem Kreml als neuen Regierungschef.

Als "Schande der Nation" geißelte Kommunistenchef Gennadi Sjuganow den Bevölkerungsschwund und konfrontierte Putin damit, dass es kein Behördendokument mehr ohne Bestechung gebe. Putin konnte diese Konfrontation in den Niederungen der Politik verschmerzen, wusste er doch die von ihm geführte Kremlpartei Geeintes Russland mit ihrer Zwei-Drittel-Mehrheit in der Duma hinter sich.

Ungewohnte Störungen
Schon bei seiner langatmigen Programmrede vor zunehmend müder wirkenden Abgeordneten musste sich Putin Störungen gefallen lassen, die man sich einem Staatspräsidenten gegenüber wohl kaum erlaubt hätte. Erst gab es einen störenden Zwischenruf aus dem Plenum. Dann trat ein Saaldiener an den vortragenden Putin heran, um eine Tasse Tee auf dessen ohnehin schon engem Rednerpult zu platzieren. Putin rührte die Tasse nicht an. Stattdessen fuhr er leicht irritiert fort, über Investitionen für die Hühnerzucht und das grassierende Problem des "Rauchens und Saufens" in der Bevölkerung zu referieren.

Müder Applaus trug die Rede zu ihrem Ende. Wenn die Kinnpartie eines Abgeordneten in Richtung Tischkante abzusinken drohte, schwenkte die Kamera des Staatsfernsehens schnell weiter. Erst als der Parlamentsvorsitzende Boris Gryslow, nach dessen Überzeugung die Duma "kein Ort für Streitgespräche ist", Putin überschwänglich für die Rede dankte, kam Leben in den Plenarsaal. Rhythmischer Applaus setzte ein und zu guter Letzt bekam Putin doch noch die für ihn obligatorischen "stehenden Ovationen" dargeboten.

Alles sorgsam inzeniert
Wie schon der Machtwechsel am Vortag im Kreml war auch die Bestätigung der Duma für Putin als Regierungschef sorgsam inszeniert. Es sollte offensichtlich die Botschaft transportiert werden, dass sich Putin nun vor den Augen des neuen Kreml-Chefs Dmitri Medwedew mit den Mühen der Ebene in der Innenpolitik abplagt. Die Aufeinanderfolge der Großereignisse dieser Tage in Moskau spricht aber eine andere Sprache. Sie sieht Putin weiter im Zentrum der Macht.

Es ist eine bewährte Kreml-Strategie der vergangenen Jahre, in Schlüsselmomenten politische Signale mit gegensätzlicher Stoßkraft auszusenden. Erst übernimmt Medwedew mit fast provokant liberaler Gesinnung das Präsidentenamt, dann reiht sich Putin zumindest formal in die Polithierarchie ein, und zuletzt bekommen Russlands Hardliner am Freitag mit der ersten Panzerparade auf dem Roten Platz seit fast 20 Jahren ihr Bonbon. Als Präsident hielt sich Putin streng an die Regel, einmal die sogenannten Liberalen und dann wieder die Geheimdienstkräfte in seinem Umfeld bei Laune zu halten, um mit diesem Spagat die eigene Vormacht zu zementieren.

Das Tandem Medwedew und Putin muss noch zeigen, wie es den zugespitzten Konflikt mit Georgien, die schmerzhafte Inflation sowie die sich abzeichnenden Streitereien zweier Machtapparate in den Griff bekommen will. Solange Putin weiter die Geschicke des Landes bestimmt, dürfte ein Menschenrechtspreis des Europarates für Medwedew unwahrscheinlich sein. Aber zugleich werden sich die Generäle wenig Hoffnung machen können, dass mit der Rückkehr der Panzer auf den Roten Platz eine Wiedergeburt der waffenstarrenden Militärmacht Russland bevorsteht.

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