14. Mai 2008 15:41
Die Kreditvergabe für das heftig umstrittene türkische
Ilisu-Staudamm-Großprojekt ist diese Woche in eine entscheidende Phase
gegangen. Am Donnerstag könnte in Wien eine Weichenstellung zur weiteren
Vorgangsweise erfolgen: Da sollen die drei risikoversichernden
Exportkreditagenturen (ECA) aus Österreich (Oesterreichische Kontrollbank,
OeKB), Deutschland (Euler Hermes) und der Schweiz (Schweizerische
Exportrisikoversicherung Serv) den zuständigen Ministern eine Empfehlung
über Fortsetzung oder Abbruch des Projekts vorlegen. Die
Umweltschutzorganisationen Global 2000 und ECA-Watch planen am Vormittag
Proteste vor dem Finanzministerium.
Widerstand gegen "Wahnsinnsprojekt"
Auch in der Türkei
ist der Widerstand gegen den Milliarden-Bau gewachsen. Die Kritiker sprechen
von einem "Wahnsinnsprojekt". Der türkische Popstar Tarkan gab in der
antiken Stadt Hasankeyf den Startschuss für eine neue türkeiweite
Initiative. Ihr Ziel: Den Staudamm zu verhindern und das Tigristal zum
Weltkulturerbe erklären zu lassen.
Die Banker sind seit Dienstag in Wien. Sie bewerten die türkische
Stellungnahme zu den Versäumnissen bei der Umsetzung der vereinbarten
Auflagen zum Schutz von Umwelt, Kulturgütern und Bevölkerung im
Flutungsgebiet am Tigris. Bei dem Treffen geht es letztlich darum, ob die
drei Länder dem Staudamm-Projekt die zusagten Kreditgarantien geben oder
aussteigen. Der Türkei war bis Anfang Mai Zeit gegeben worden, zu erklären,
wie und bis wann sie die rund 150 sozialen und ökologischen Auflagen
erfüllen will. Dieser Bericht wurde noch nicht veröffentlicht.
Geheimhaltungspolitik kritisiert
Die
Nichtregierungsorganisationen kritisieren die "Geheimhaltungspolitik" der
Exportkreditgesellschaften als auch der zuständigen Ministerien und
verlangen die Offenlegung der laufenden Verhandlungen über die Finanzierung
des Projekts, das von einem Firmenkonsortium unter Führung des
österreichischen Anlagenbauers Andritz errichtet werden soll. Die Türkei
erfülle die ökologischen Vorgaben kaum. Daher dürfe das Projekt auch nicht
bewilligt werden, lautet die Meinung der Aktivisten.
Im Rahmen der angekündigten Protestaktion fordern ECA-Watch und Global 2000,
dass Finanzminister Wilhelm Molterer (V) und OeKB-Chef Rudolf Scholten ihr
Versprechen einlösen und sich bei Nichteinhaltung der Auflagen aus dem
Projekt zurückziehen.
Wackelige Finanzierung
Die Finanzierung des Staudamms wackelt
seit geraumer Zeit. Voraussetzung für die Kreditzusagen aus Österreich,
Deutschland und der Schweiz ist die Erfüllung aller Auflagen der
internationalen Gemeinschaft durch die türkische Regierung. Laut
Umweltschützern ist die Türkei aber meilenweit davon entfernt. Zu befürchten
sei, dass das Geld - wie in der Vergangenheit bei vergleichbaren Projekten
auch - mit dem Hinweis auf Verbesserungen in der Zukunft doch fließen werde.
Nur habe sich gezeigt, dass diese Zusagen im Regelfall nicht eingehalten
würden.
Der Staudamm wird von Umweltschützern und Menschenrechtsgruppen vehement
kritisiert. So müssen Tausende Menschen in einer ohnehin sehr armen Region
umgesiedelt werden. Außerdem würde die Jahrtausende alte Stadt Hasankeyf
zerstört und gewaltige Umweltschäden entstehen.
In Österreich haftet der Risikoversicherer OeKB für das 1,2 Mrd. Euro teure
Staudamm-Projekt. Scholten hatte Ende April betont, dass nur dann eine
Haftung übernommen werde, wenn alle Auflagen erfüllt seien. Gleichzeitig
meinte der OeKB-Chef aber auch, dass man den Türken eventuell
Übergangsfristen einräumen könnte. Er bezeichnete Ilisu als "internationales
Schlüsselprojekt". Hätten die Finanzierungsbedingungen jedoch keine Chance,
erfüllt zu werden, dann sei der Ausstieg der logische Schritt.