Staatsopern-Uraufführung

"Josephs Legende" in Wien umjubelt

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Neufassung von Neumeiers 1977 uraufgeführtem Strauss-Ballett.

Vor 100 Jahren als exotische Bibelpantomime der Balletts Russes gefloppt, wurde "Josephs Legende" 1977 als leidenschaftliches, von John Neumeier neu interpretiertes Tanzdrama an der Wiener Staatsoper uraufgeführt. In der vierten Neuinszenierung des Meisterchoreografen kehrte das Richard-Strauss-Ballett am Mittwochabend ans Haus am Ring zurück – schlichter, moderner, und unverändert ergreifend.

Wie schon 2008 bei der Eröffnung der Balletttage in Neumeiers Wahlheimat Hamburg setzt der gebürtige Amerikaner seiner Neufassung die Couperin-Bearbeitung "Verklungene Feste" gegenüber. In Wien stellt er die melancholische Tanzsuite von 1941 jedoch voran – eine dramaturgisch richtige Entscheidung, steigt so doch die Dramatik an dem Strauss gewidmeten Ballettabend nach und nach an, wobei der erste Teil des Abends Gefahr läuft, nach dem zweiten Teil schon in Vergessenheit geraten zu sein.

18 Tänze
Als sich der Vorhang erstmals hebt, sind die Champagnergläser auf dem von Gold- und Backsteinmauern umgebenen Festtisch schon geleert. Ein einsames Paar tanzt noch, begegnet der opulenten, vom Staatsopernorchester unter Mikko Franck gekonnt alles andere als schwülstig dargebrachten Barockmusik mit fließenden, zarten Bewegungen. Strauss hatte für sein Ballett, das als historische Revue der Ballettgeschichte vom Barock bis zur Romantik angelehnt war, eine Auswahl von Francois Couperins Cembalostücken neu arrangiert. Unter Neumeier bietet das Wiener Staatsballett 18 Tänze zu Teilen aus der "Couperin-Tanzsuite" von 1923 und Strauss" "Divertimento" von 1942 dar – getanzte Bilder, erst verspielt, eckig, dann plötzlich: melancholisch.

So wie Strauss mit der Orchestrierung barocker Klavierstücke aus dem 18. Jahrhundert die Brücke zwischen Vergangenheit und Moderne schlug und Neumeier klassische mit zeitgenössischen Elementen verbindet, wird das verklungene Fest zum Vorabend des grausamen Krieges. Die Herren – dabei herausragend: Mihail Sosnovschi und Davide Dato – wechseln mittendrin vom Sakko in die Uniform, schreiten mit ausfallendem Schritt und kräftigen Sprüngen gen Grauen. Ihre Drehungen werden langsamer, die Begegnungen mit den von ihnen zuvor noch verschmähten Tanzpartnerinnen dramatischer.

Starker Übergang
Am Ende stehen fünf Paare mit dem Rücken zur Wand – ein starkes Bild, das den Übergang zu "Josephs Legende" bereiten wird. Stand bei deren Uraufführung der Erste Weltkrieg unmittelbar bevor, schuf Strauss "Verklungene Feste" mitten im Zweiten Weltkrieg. "Das sind beides Stücke, die in der Nervosität, der Unsicherheit des Krieges entstanden sind", meinte Neumeier im Vorfeld der Premiere im APA-Interview, "und die beide unterschwellig von unserer Vergänglichkeit sprechen." Eine Unruhe, die auch der seit 1973 amtierende Direktor des Hamburg Ballett in seiner Neufassung stets spüren lässt.

Auch in "Josephs Legende" wird erst ein Fest gefeiert: Vom exotischen Ambiente von einst ist bei der modernen Schickeria-Gesellschaft auf dem Luxus-Anwesen Potiphars jedoch nur ein leicht orientalischer Touch übrig geblieben, die von Harry Graf von Kessler und Hugo von Hofmannsthal in ihrem Libretto kreierten Figuren leben im Hier und Jetzt. Gestaltete 1977 noch Ernst Fuchs das Bühnenbild, setzt Neumeier nun auf Reduktion, gibt dem Tanz zwischen in mattem Gold gehaltenen Wänden Raum und kleidet seine Tänzer in wunderschöne Abendroben und Anzüge von Albert Kriemler, Designer des Schweizer Couture-Labels Akris. Überraschend wenig Stoff blieb für den titelgebenden Joseph und seinen Engel (gewohnt großartig: Kirill Kourlaev) übrig – was die ohnehin homoerotischen Anflüge noch verstärkt.

Kraftvoller Cherevychko
Mit der dem Alten Testament entnommenen Figur des frommen Joseph platzt ein Exot in die kühle, selbstgefällige Party-Gesellschaft: Vom zierlichen Denys Cherevychko zur kraftvollen, dekadenten Musik in einer fast fragilen Unschuld ausdauernd und auf den Punkt genau getanzt, erregt der Neuling die Aufmerksamkeit der frustrierten Frau Potiphars, die sogleich all ihre Verführungskünste einsetzt. Scheinbar ohne Anstrengung meistert Cherevychko diese herausfordernde Rolle, die ihn von Anfang bis Ende auf der Bühne hält, scheint mit kraftvollen Sprüngen und leichtfüßigen Schritten beinahe zu schweben.

Dass Joseph Potiphars Weib nicht erliegt, ist an diesem Abend schwer nachvollziehbar: Wie eine erhabene Löwin streift die unter dem Scheinwerferlicht golden glänzende Tänzerin Rebecca Horner über die Bühne, zwischen Aggression und Anmut, zwischen Verzweiflung und getanzter Lust. Groß gewachsen und mit ungemeiner Körperspannung wirkt Horner erdig, roh – und erfrischend natürlich. Immer wieder hält sie in ihrer Sehnsucht inne, geißelt sich mit rasanten Schrittfolgen selbst, um Joseph dann zart zu umtanzen, und ihm die Kleidung unter theatralischen, von Bläsern dominierten Klängen zu entreißen.

Am Ende eines atemberaubend getanzten Zweikampfs bleibt sie einsam zurück – während der gerade noch von den Schergen Potiphars verprügelte Joseph vom Engel seiner Berufung, und damit Gott, zugeführt wird. Zurecht wurden die drei Hauptprotagonisten am Ende des kurzweiligen Ballettabends mit frenetischem Applaus bedacht – ebenso wie ihr Meister, der sichtlich ergriffene John Neumeier, für den es hoffentlich nicht der letzte Wien-Besuch war.

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