Die Debatte über drohende Steuernachzahlungen für die ÖBB und ihre Tochtergesellschaften in Millionenhöhe wegen steuerfreier Gratistickets ruft nun auch Experten auf den Plan. Nach Ansicht des Finanzrechtsexperten der Universität Wien, Werner Doralt, muss die Steuerbefreiung für Sachbezüge von Arbeitnehmern von Beförderungsunternehmen überhaupt gestrichen werden, "weil sie verfassungswidrig ist". Bisher sei dies aber am Widerstand der Gewerkschaften gescheitert.
Nach Ansicht Doralts gibt es "keine sachliche Rechtfertigung für die Steuerbefreiung von Sachbezügen". Solche Ausnahme gebe es nur noch für den "Haustrunk" im Brauereigewerbe und den Freitabak in tabakverarbeitenden Betrieben. "Für Dienstnehmer aller anderen Branchen ist der Sachbezug selbstverständlich steuerpflichtig." Die Diskussion um die Nachforderungen an die ÖBB - laut Medienberichten 70 bis 80 Mio. Euro - zeige immerhin die fiskalische Bedeutung der Befreiung. Nach Schätzungen der Branche sollen insgesamt rund 150.000 Österreicher - aktive oder frühere ÖBB-Mitarbeiter und deren Angehörige - in den Genuss der Bahnfreifahrt kommen.
Steuerprivileg nur noch für ÖBB-Personenverkehr
Bis zur ÖBB-Reform 2005 waren alle Gratistickets für Mitarbeiter steuerbefreit, weil Unternehmen der Verkehrswirtschaft ihre eigenen Mitarbeiter gratis befördern dürfen, ohne dass dadurch eine Steuerpflicht entsteht. Seit 2005 trifft dieses Steuerprivileg nach Ansicht der Finanzbehörden nur noch für die ÖBB-Personenverkehrs AG zu, nicht aber für die Infrastruktur Bau bzw. Betrieb AG oder auch die Güterverkehrsgesellschaft Rail Cargo Austria.
Für die rund 160 Mitarbeiter der Holding hat die Bahngesellschaft die Steuerpflicht mittlerweile akzeptiert, wie es am Freitag aus den ÖBB zur APA hieß. Der entsprechende Bescheid wurde vor einigen Wochen zugestellt, umgestellt werden soll voraussichtlich mit Jahreswechsel. Bei den anderen ÖBB-Gesellschaften laufen noch die Verfahren. Generell versuchen die ÖBB aber eine Festschreibung dieses Steuerprivilegs für alle zu erreichen. Aus Sicht Doralts ist das "vollkommen indiskutabel".
Eine Alternative im Sinne des Umweltschutzes wäre, "Gratistickets für Massenverkehrsmittel an Dienstnehmer generell steuerfrei zu stellen", weil sich daraus ein Anreiz für die Dienstgeber ergebe, ihren Mitarbeitern die Fahrtkosten zum Arbeitsplatz zu zahlen, so der Finanzexperte. Gleichzeitig würden sich "beträchtliche Steuereinsparungen ergeben, weil sich dann das steuerfreie Pendlerpauschale und der Verkehrsabsetzbetrag großteils erübrigen würden. Auch sozialpolitisch sieht Doralt Vorteile, weil die Fahrtkosten bei Dienstnehmern mit niedrigen Bezügen höhere Belastung bedeuteten als bei Besserverdienern.