IHS-Ökonom Reiter warnt vor einer "potenziellen Zeitbombe".
"Gut ist der Deal nicht" - so bewertet der IHS-Ökonom Michael Reiter die am Sonntag verkündete Einigung im Zollstreit zwischen den USA und der EU. Bisher seien nur wenige Details bekannt, aber klar sei: "Wir haben nix gekriegt", sagte Reiter zur APA. Immerhin sei eine Eskalation mit einem Handelskrieg für den Moment verhindert worden. Eine "potenzielle Zeitbombe" sei aber die EU-Zusage, große Mengen an Erdgas und Öl von den USA zu kaufen - das sei unrealistisch.
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"Natürlich hätte alles schlimmer kommen können", sagte Reiter am Montag. Ursprünglich hatte US-Präsident Donald Trump nämlich mit Zöllen in Höhe von 30 Prozent ab 1. August gedroht, die EU hatte vorsorglich Gegenzölle beschlossen, die am 7. August in Kraft getreten wären.
EU-Drohungen "nicht sehr glaubwürdig"
Österreichs Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP) hatte sich vor kurzem noch dafür ausgesprochen, dass die EU im Streit mit den USA "Muskeln zeigen" sollte, und auch IHS-Chef Holger Bonin hatte sich für eine starke Position der EU ausgesprochen, weil die USA mehr zu verlieren hätten als die EU. Während China sein Drohpotenzial gegenüber den USA ausgenutzt und einen recht guten Deal habe, sei das der EU nicht gelungen, sagte Reiter. Zwar habe die EU den USA gedroht, "aber wahrscheinlich war es nicht sehr glaubwürdig im Hintergrund". Das liege auch daran, dass die Wirtschaft der EU in keiner guten Verfassung sei. "Wir drehen uns von einer leichten Erholung ganz schnell in eine leichte Rezession. Die USA haben mit Wachstumserwartungen von 2,5 Prozent gestartet - wenn das um einen halben Prozentpunkt runtergeht, ist es auch noch nicht so tragisch."
"Und wenn man vielleicht die Autoindustrie betrachtet: Was jetzt Europa kriegt, ist nicht schlechter als das, was zum Beispiel Japan kriegt", so Reiter. Die Wettbewerbsposition der Europäer verschlechtere sich nicht gegenüber den Hauptkonkurrenten, außer gegenüber den USA. "Aber ob die USA in der Lage sind, plötzlich so viel mehr Autos zu bauen, ist noch eine andere Frage." Großbritannien habe zwar erreicht, dass für britische Exporte in die USA nur ein Basis-Zollsatz von 10 Prozent eingehoben wird, aber die Briten hätten auch keinen Handelsüberschuss gegenüber den USA, erklärte der Ökonom des Instituts für Höhere Studien.
Energieimporte als mögliche Zeitbombe
Wie die EU die Zusage einhalten will, den USA Öl und Gas im Wert von insgesamt 750 Mrd. US-Dollar (639,7 Mrd. Euro) in den nächsten drei Jahren abzukaufen, sei nach Meinung aller Fachleute "unrealistisch", sagte Reiter, "nämlich sowohl dass die EU so viel kaufen kann, wie auch, dass die USA so viel liefern können". Im vergangenen Jahr hätten die Energieimporte aus den USA nämlich nur ein Viertel bis ein Drittel der nun versprochenen jährlichen Summe betragen. Das sei "eine potenzielle Zeitbombe".
Völlig unklar ist auch, wie man auf EU-Seite die eigenen Unternehmen dazu bringen will, so viel amerikanisches Öl und Gas zu kaufen und noch während Trumps Amtszeit 600 Mrd. Dollar in den USA zu investieren, wie ebenfalls zugesagt wurde. "Die EU ist ja gut darin, Unternehmen zu sanktionieren", etwa beim Verbrennerverbot. "Ich sehe aber im Moment nicht, wie das einerseits beim Ölhandel gehen sollte."
Auswirkungen auf Österreichs BIP minimal
Spürbare Auswirkungen auf Österreichs Wirtschaft dürfte der Deal nicht haben. In seiner Mitte Juli vorgestellten Mittelfrist-Prognose hatte das IHS mit einem US-Basiszoll von 10 Prozent und 25 Prozent für Autos gerechnet, nun seien es 15 Prozent insgesamt geworden. "Ich denke, was das reine BIP betrifft, wird man im Bereich von 0,1 Prozent bis 0,2 Prozent bleiben." Bisher war man von 0,1 Prozent Wachstum ausgegangen. Die Differenz sei geringer als die übliche Fehler-Bandbreite von Konjunkturprognosen oder sogar von bestimmten Messungen der Statistik Austria. Im Vergleich zu den bereits bestehenden Problemen der EU mit den vielen Regulierungen, Handelshemmnissen zwischen den EU-Ländern und einem nicht gut funktionierenden Kapitalmarkt würden die US-Zölle nicht besonders stark ins Gewicht fallen.
(Redaktionelle Hinweise: GRAFIK 0993-25, 88 x 98 mm)