Rund 49 Milliarden Dollar dürfte Russland in Staatsanleihen in Dollar und Euro offen haben. Nach 1998 könnte es erneut zu einem Staatsbankrott kommen: Dieses Mal nicht wegen Geldnot, sondern wegen der Sanktionen.
Auf den internationalen Finanzmärkten ist Russland durch die westlichen Sanktionen im Zuge des Ukraine-Kriegs so gut wie abgemeldet. Das soll den Druck auf Präsident Wladimir Putin erhöhen und den Kreml durch die Isolierung der russischen Wirtschaft zum Einlenken bringen. Für Investoren hat es allerdings unangenehme Nebenwirkungen.
Experten sehen Russlands Schuldendienst akut in Gefahr. Nach 1998 könnte es erneut zu einer Staatspleite kommen. Russland droht trotz voller Staatskassa die Zahlungsunfähigkeit.
"Pleite sehr wahrscheinlich"
Der Präsident des deutschen DIW-Instituts, Marcel Fratzscher, hält eine Staatsschuldenpleite Russlands in den kommenden Monaten für sehr wahrscheinlich. Aufgrund der westlichen Sanktionen bestehe ein hohes Risiko, dass Russland seine Schulden bei internationalen Gläubigern nicht bediene, sagte Fratzscher der Deutschen Presse-Agentur.
Dem Finanznachrichtendienst Bloomberg zufolge hat Russland 49 Mrd. Dollar (45 Mrd. Euro) an Staatsanleihen in Dollar und Euro offen.
Am 16. März stehen Zinszahlungen über mehr als 100 Mio. Dollar an. Am 4. April läuft eine Anleihe über 2 Mrd. Dollar aus. "Wir sehen einen Zahlungsausfall als wahrscheinlichstes Szenario", schrieb die US-Investmentbank Morgan Stanley am Montag an Klienten. "Ich wäre schockiert - absolut schockiert - wenn sie sich die Mühe machen, ihren Zahlungen später in diesem Monat nachzukommen", sagte der Ex-Hedgefonds-Manager Jay Newman jüngst im Bloomberg-Interview.
Russland auf Ramsch-Status
Die großen Ratingagenturen Fitch, Moody's und S&P sehen Russlands Kreditwürdigkeit inzwischen im sogenannten Ramschbereich. Fitch warnte am Dienstag bereits vor einem unmittelbar drohenden Zahlungsausfall. S&P senkte die Bonitätsnote am Freitag um acht Stufen, bis knapp über die Kategorie für Zahlungsunfähigkeit. Bei Moody's fiel das Rating aufgrund "ernsthafter Bedenken hinsichtlich Russlands Bereitschaft und Fähigkeit, seine Schulden zu bezahlen" auf noch tieferes Ramschniveau.
Andere Situation als 1998
Russland war schon einmal pleite: Der 17. August 1998 markiert den bisher schwärzesten Tag in der Wirtschaftsgeschichte des neuen Russlands. Damals stellte die Regierung wegen knapper Kassen die Bedienung der Binnenschulden ein und gab den Rubel zur Abwertung frei. Die Finanzmärkte kamen ins Taumeln. Das Vertrauen in Russland war dahin. Der Rubel büßte nach Jahren der Stabilität in wenigen Wochen 75 Prozent ein. Russische Banken konnten ihre Verpflichtungen nicht mehr erfüllen. Internationale Finanzorganisationen stellten die Unterstützung ein.
Die Ausgangslage jetzt ist allerdings völlig anders. Damals hatte Russland hohe Staatsschulden und geringe Devisenreserven. Zudem war der Rubel noch an den Dollar gekoppelt, so dass die Zentralbank den Wechselkurs verteidigen musste. Im Zuge der Asien-Krise und fallender Ölpreise entpuppte sich dies als hoffnungslos. Heute ist Russlands Staatskassa - nicht zuletzt dank hoher Öl- und Gaspreise - prall gefüllt. Doch durch die Sanktionen wurde ein Großteil von Russlands Zentralbankreserven über rund 640 Mrd. Dollar eingefroren.
Gläubiger kommen nicht an ihr Geld
So betonen auch die Kreditwächter von S&P und Moody's, dass die Hauptursachen für das erhöhte Risiko eines Zahlungsausfalls nicht Geldnot, sondern Folgen der Sanktionen sind. Durch sie sind auch die Möglichkeiten der Zentralbank stark eingeschränkt. Selbst wenn Russland zahlen würde, wäre deshalb ungewiss, ob Gläubiger im Ausland an ihr Geld kommen. Ein weiteres Problem für internationale Investoren: Auch Kreditausfallversicherungen greifen bei manchen Anleihen womöglich nicht. Denn Russland könnte Schulden in Rubel begleichen, dürfte das Geld aber nicht ins Ausland transferieren.
Sollten die fälligen Anleihezahlungen in der kommenden Woche ausblieben, würde dies nicht bedeuten, dass Russland von heute auf morgen in die Staatspleite gerät. Nach dem ersten Zahlungsversäumnis beginnt gewöhnlich eine 30-tägige Gnadenfrist, so dass der eigentliche Ausfall erst im April erfolgen würde. Außerdem könnte es sich wegen der außergewöhnlichen Situation durch die Sanktionen zunächst nur um einen technischen oder teilweisen Zahlungsausfall handeln, also noch nicht um eine staatliche Insolvenz im eigentlichen Sinne.