Die Koalition ringt wieder einmal um die Macht im öffentlich-rechtlichen ORF. Nachdem am Montagabend die ÖVP die Einigung auf die ORF-Reform auf den letzten Metern auf Eis gelegt hat, war die Regierung am Dienstag damit beschäftigt, Erklärungen und Deutungen zum vorläufigen Verzug des neuen ORF-Gesetzes nachzureichen.
Vizekanzler Josef Pröll (V) gab die ÖVP-Argumentationslinie aus, wonach es eine effizientere Finanzkontrolle für den öffentlich-rechtlichen Sender brauche. Hinter den Kulissen dürfte es freilich einmal mehr um die Mehrheit im ORF-Stiftungsrat gehen, die von der SPÖ nach erfolgreich geschlagener Publikumsratswahl errungen werden könnte.
Offiziell begründete die ÖVP ihren Rückzieher von der bereits gemeinsam akkordierten und in Begutachtung geschickten Gesetzesnovelle vor allem damit, dass es eine effizientere Kontrolle der Verwendung der 160 Millionen Euro schweren Gebührenrefundierung brauche. Man wolle diese zusätzlichen Mittel dem ORF nicht einfach ohne entsprechendes Monitoring zur Verfügung stellen. Im Gegenzug zur Gebührenrefundierung sei die Hebung von "Effizienzpotenzialen" nötig, sagte Pröll nach dem Ministerrat. Darüber hinaus dachte der Vizekanzler laut darüber nach, die ORF-Gremien effizienter zu gestalten, zusammenzulegen oder zu verkleinern. Im ursprünglich akkordierten ORF-Entwurf war dies kein Thema.
Ob eine Gremienänderung, die auch der Rechnungshof empfohlen hatte, nun doch im Zuge der aktuellen ORF-Gesetzesreform erfolgen sollte, ließ Pröll jedoch offen: "Wenn es geht, können wir es jetzt schon machen", allerdings sei dies jetzt erst Verhandlungsgegenstand und man sei noch nicht auf einem Nenner. Die ÖVP sei daran interessiert, das ORF-Gesetz auf den Weg zu bringen, aber Fragen des Strukturkonzepts und der Regulierungsbehörde seien zu lösen. Auch die Möglichkeit regionaler Werbung in "Bundesland heute" will die ÖVP nochmals hinterfragen.
SPÖ überrascht von ÖVP-Rückzieher
In der SPÖ zeigte man sich über den Rückzieher der ÖVP überrascht. Medienstaatssekretär Josef Ostermayer und Kanzler Werner Faymann gaben sich aber zuversichtlich, dass es bis zum nächsten Ministerrat am 9. Februar zu einer Einigung kommen werde. Angesprochen auf kolportierte ÖVP-Wünsche nach mehr Einfluss bei den anstehenden Besetzungen im Publikumsrat und in der Folge auch im ORF-Stiftungsrat, dem Machtzentrum des öffentlich-rechtlichen Senders, reagierte Faymann ausweichend. Es mache keinen Unterschied, ob jemand der SPÖ, der ÖVP oder sonst einer Organisation angehöre, Hauptsache, er mache seine Arbeit gut, sagte der Kanzler.
In informierten Kreisen war am Dienstag jedenfalls zu hören, dass die ÖVP vor einer endgültigen Einigung in Sachen ORF-Gesetz noch die in dieser Woche stattfindende Publikumsratswahl abwarten wolle, von der entscheidende Weichenstellungen für die Machtverhältnisse im ORF erwartet werden. Wahrscheinliches Szenario dabei: Die SPÖ gewinnt die Publikumsratswahl dank besserer Mobilisierungskraft ihres Parteiapparates und kann in der Folge auch eine knappe absolute Mehrheit im ORF-Stiftungsrat holen.
Medienstaatssekretär Ostermayer ließ denn auch die ÖVP wissen, dass es für Parteien generell gut sei, Wahlergebnisse zu respektieren. In punkto Publikumsratswahl und -bestellung verwies er auf die bestehenden gesetzlichen Regelungen. Im Vorjahr diskutierte Änderungsvorschläge seien von der ÖVP abgelehnt worden. Jetzt etwas zu ändern, würde sicher schwierig werden. Faymann betonte vor allem die Notwendigkeit der Gebührenrefundierung für den ORF. Auf die Frage, ob es ein taktischer Fehler gewesen sei, die Besetzung des Kaufmännischen ORF-Direktors mit dem von der ÖVP favorisierten Richard Grasl bereits im Dezember vorgenommen zu haben, sagte der Kanzler knapp: "Nein." Nach Medienberichten stimmte die ÖVP der Gebührenrefundierung und dem ORF-Gesetzesentwurf erst im Gegenzug zur Bestellung Grasls zu.
Heftige Kritik an den großkoalitionären Manövern rund um den Küniglberg übten unterdessen die Oppositionparteien: Die FPÖ sieht den ORF weiter im "parteipolitischen Würgegriff", das BZÖ forderte eine Teilprivatisierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, um "die Machtspielchen im ORF" zu beenden, und die Grünen orteten einen "Murks der Sonderklasse". Im ORF selbst kommentierte man die Verzögerungen entspannt: "Offenbar gibt es noch Verhandlungsbedarf", sagte Kommunikationschef Pius Strobl. Damit sei die Gesetzesnovelle aber "weder gescheitert noch geplatzt".
ÖVP will Stellungnahmemöglichkeit der Medienbehörde
Die ÖVP hat am Dienstagnachmittag (26. Jänner) ihre Vorstellungen zur Rolle der Medienbehörde und den geforderten vermehrten Kontrollen der ORF-Mittel konkretisiert: Wie Klubobmann Karlheinz Kopf der APA erläuterte, soll die neu zu schaffende Behörde künftig zu geplanten Einsparungsmaßnahmen im ORF zunächst eine Stellungnahme an den Stiftungsrat abgeben. Verbieten kann die Behörde die Vorschläge nicht, allerdings bliebe sie nach ÖVP-Vorstellung wie geplant dafür zuständig, die Umsetzung zu kontrollieren. Publikumsrat und Stiftungsrat, die sich demnächst neu konstituieren, bleiben in deren nächster Funktionsperiode unangetastet, eine Gremienreform sei aber weiterhin auf der Tagesordnung, so Kopf.
Die Vorab-Stellungnahme durch die Medienbehörde ist für Kopf deswegen notwendig, weil man verhindern wolle, dass die Medienbehörde im Fall eines unzureichend ambitionierten Sparplans nur über dessen Einhaltung wachen könne, aber keine Mitsprachemöglichkeit im Vorfeld habe. Ein Vetorecht hat die Behörde nach derzeitigem ÖVP-Plan zwar auch nicht, über eine Stellungnahme werde sich der Stiftungsrat aber nur sehr unwahrscheinlich hinwegsetzen, glaubt Kopf.
Die Struktur der ORF-Gremien bleibt für die ÖVP weiter am Tapet, sagte der Klubchef: "Wir haben uns immer dafür ausgesprochen, dass wir einen kleineren Aufsichtsrat haben wollen." Es sei allerdings nicht ganz so leicht zu bewerkstelligen, die derzeit vertretenen Repräsentanten bis hin zu den Oppositionsparteien nicht zu berücksichtigen.
Außerdem gab Kopf zu bedenken, dass das ORF-Gesetz ohnehin erst nach der in den kommenden Wochen anstehenden Konstituierung von Publikums- und Stiftungsrat beschlossen werden könne. Diese dann im Nachhinein noch zu ändern, "wäre ein Schildbürgerstreich". Für die Zustimmung der ÖVP zur derzeitigen Novelle sei die Gremienänderung nicht zwingend notwendig, "außer wir finden noch einen Weg, wie wir das in den Griff bekommen können".
Skeptisch zeigte sich Kopf weiterhin in punkto regionaler Werbung in "Bundesland heute": "Das widerspricht der bisherigen medienpolitischen Linie, wo man sagt, das ist den regionalen und den privaten Medien vorbehalten." Der ORF sei in Entscheidungen des Bundeskommunikationssenats wegen bezahlter Einschaltungen im Bundesländerfernsehen mehrfach verurteilt worden.
Die kolportierten Begehrlichkeiten der ÖVP zur Zusammensetzung des Stiftungsrates, wo die Volkspartei mit einer für die SPÖ nach derzeitigem Stand wohl erfolgreich geschlagenen Publikumsratswahl eine rote Mehrheit fürchten muss, wollte Kopf nicht bestätigen: "Es gibt inhaltliche Punkte, die es zu diskutieren gibt. Das andere kann man ja gar nicht einschätzen. Das schauen wir uns in aller Ruhe an."
Das man dem von ÖVP favorisierten ORF-Finanzchef Richard Grasl mit dem Einfrieren des Gesetzes und damit der zusätzlichen Mittel aus der Gebührenrefundierung nicht gerade einen Gefallen getan habe, will Kopf so nicht sehen: Es sei ohnehin nicht davon auszugehen gewesen, dass die Novelle schon im Februar beschlossen werde, da die Oppositionsparteien bis Ende März ohnehin keine Zustimmung geben würden. "Die vierzehntägige Verschiebung ist keine Verzögerung." Die nächste Gesprächsrunde sei noch nicht festgelegt, jedoch "zeitgerecht vor dem 9. Februar". Dann soll nach Plan der ÖVP das ORF-Gesetz auf Regierungsebene beschlossen werden.