Brutales Sparen nötig

ÖBB-Chef Kern: So rette ich die Bahn

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Wie er das angeschlagene Unternehmen aus dem Chaos fahren will.

Nach 100 Tagen im Amt zeichnete der neue ÖBB-Chef Christian Kern bei seiner gestrigen Antrittspressekonferenz ein schonungsloses Bild vom Zustand der Bahn. Nur wenn sich das Unternehmen konsequent ändere, habe es eine Zukunft, so Kern. „Wir befinden uns auf sehr dünnem Eis.“

Das Ergebnis des ersten Halbjahrs ist trotz gestiegenen Umsatzes schlechter als geplant, in den nächsten Monaten werde sich der Abwärtstrend fortsetzen. Für das Gesamtjahr wird ein dreistelliger Millionenverlust erwartet; vor allem in der Güterverkehrssparte gibt es starke Einbußen.

Mit Ausreden vor Maßnahmen gedrückt
Auf die neuen Herausforderungen – Öffnung für Wettbewerber, Sparprogramme der öffentlichen Hand, schlechte Aussichten im Güterverkehr – seien die ÖBB nicht gut vorbereitet. Kern wird jetzt den „lebensnotwendigen Kurswechsel“ zu einem Unternehmen mit neuer „Leistungskultur“, Wirtschaftlichkeit und Kundenorientierung einleiten.

Fehlentscheidungen des früheren Managements (Kern nimmt hier seinen unmittelbaren Vorgänger Peter Klugar aus) hätten die Bahn in die aktuelle Situation manövriert. Kostensenkungsprogramme seien „Papiertiger“ geblieben, man habe sich mit Ausreden vor effizienten Maßnahmen gedrückt. Und: Leistungen etwa im Güterverkehr mit nur 30 % Kostendeckung könne die Bahn nicht mehr weiterführen.

Zentraler Punkt von Kerns Sanierungsprogramm: Die Bahn muss wieder das Wesentliche, nämlich ihre Kunden, in den Vordergrund stellen. Über bürokratischen Absurditäten wegen einer völlig aufgeblasenen Verwaltung habe man das aus den Augen verloren. Was Kern sich vorgenommen hat:

  • 2013 soll die Bahn aus der Verlustzone herausfahren, also eine schwarze Null erreichen. Und bis 2105 soll das Ergebnis um 500 Mio. Euro verbessert werden.
  • Um den Turnaround zu erreichen, sind Einsparungen im Personalbereich (43 % der Gesamtkosten) nötig. 1.000 Jobs in der Verwaltung und mindestens 100 Führungskräfte sollen wegfallen.
  • Das Pensionsantrittsalter soll jedes Jahr weiter steigen. Es soll weniger betriebsbedingte Pensionierungen geben, im Laufe des Jahres 2011 dann gar keine mehr.
  • Zur Steigerung der Kundenzufriedenheit wurde bereits ein Katalog von 70 Sofortmaßnahmen definiert. Die Züge sollen unter anderem pünktlicher und sauberer werden, lange Wartezeiten im Callcenter soll es bald nicht mehr geben.

"Rechte Hand weiß nicht, was die linke tut"

ÖSTERREICH: Herr Kern, was hat Sie bei Ihrer Analyse des Zustands der ÖBB am meisten schockiert?

Christian Kern: Dass es keine klaren Führungsstrukturen und eindeutig zugeordnete Kompetenzen gibt. Das führt dazu, dass man sich am Ende mehr mit sich selbst beschäftigt als mit dem, was wesentlich ist: den Kunden. Die ÖBB müssen ein ordentliches und normales Unternehmen werden. Auf dem Weg dahin müssen zuerst alle möglichen teuren Absurditäten abgeschafft werden.

ÖSTERREICH: Können Sie da Beispiele geben?

Kern: Wir haben zum Beispiel bei einem Güterterminal eine 1.000 Quadratmeter große Rasenfläche, um die sich drei verschiedene Organisationen kümmern. Konkret kommt jeden Tag ein anderer Mitarbeiter, um ein Stück zu mähen. Die Kompetenzen wurden oft so zersplittert, dass die rechte Hand nicht mehr weiß, was die linke tut.

ÖSTERREICH: Ist das Unternehmen so überhaupt arbeitsfähig?

Kern: Wir brauchen einen radikalen Kurswechsel. Ganz einfache Dinge müssen geändert werden, wir haben die Buchhaltung nicht im Griff, es gibt kein Kennzahlen-Management.

ÖSTERREICH: Wie konnte es denn so weit kommen?

Kern: Es waren sicher nicht alle Managemententscheidungen in der Vergangenheit richtig.

ÖSTERREICH: Ihr Ziel ist es, 2013 keine Verluste mehr zu schreiben. Ist das realistisch?

Kern: Wir wollen 2013 eine schwarze Null schreiben, ja. Das ist kein leicht erreichbares Ziel, sondern eine echte Herausforderung. Aber machbar.

ÖSTERREICH: Welche Maßnahmen setzen Sie?

Kern: Wir nutzen überall Sparpotenziale, vom Einkauf bis zum Personalbereich. In der Verwaltung bauen wir rund 1.000 Jobs ab, bei den Führungskräften werden mindestens 100 eingespart. Zur Verdeutlichung: 2003 hatten wir 700 Führungskräfte, heute sind es 1.250. Und diese erhebliche Vermehrung ist nicht durch Mehraufwand gedeckt.

ÖSTERREICH: Wie werden die Kunden Ihren neuen Stil bemerken?

Kern: Wir werden Schritt um Schritt die Servicequalität weiter verbessern. Von Verspätungen bis teils langen Wartezeiten im Callcenter gibt es vieles, was geändert gehört.

ÖSTERREICH: Macht Ihnen der Job Spaß?

Kern: Ja, enorm. Ich arbeite über 80 Stunden in der Woche, mein Vorstandsbüro und der Dienstwagen sind kleiner als früher beim Verbund, wo ich auch mehr verdient habe. Aber ich glaube an die ÖBB – sonst würde ich das nicht machen.

Autorin: Angela Sellner

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