Trotz Nord Stream: Russland sucht Märkte im Osten

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Für den russischen Regierungschef Wladimir Putin ist die Nord-Stream-Pipeline durch die Ostsee nur einer der Trümpfe im weltweiten Machtpoker um die Energiemärkte. Längst schaut das Riesenreich nach Absatzmöglichkeiten außerhalb Europas. Vor kurzem gab Putin im Pazifik-Hafen Kosmino per Mausklick grünes Licht für die erste Schiffslieferung von dieselreichem Öl aus Sibirien an Hongkong.

Viel russisches Öl und Gas wird künftig nach Osten fließen, denn Asiens energiehungrige Wachstumsmärkte wollen weniger Abhängigkeit von Arabien. Russland sendet mit der neuen Sibirien-Pazifik-Pipeline auch ein geopolitisches Signal: Der größte Flächenstaat der Erde sieht sich beim Absatz nicht mehr nur vom Westen abhängig.

Dagegen ist Europa in hohem Maß auf die Energie, die aus der Kälte kommt, angewiesen: Allein Deutschland bezog im vergangenen Jahr mehr als 35 Prozent seiner Rohöl-Importe aus dem "Öldorado" Russland - so viel wie nie. "Für den Kreml ist Nord Stream aber nur ein kleines Teil seines globalen Energie-Puzzles", meint die Moskauer Zeitung "Kommersant".

So verhandle Russland nach dem Zuschlag für die Ölfelder West Kurna 2 und Badra im Irak derzeit mit dem Iran. Zwar kritisiere auch Moskau das Atomprogramm der Führung in Teheran scharf, schreibt das Blatt. Im Unterschied zum Westen halte dies den Kreml aber nicht davon ab, mit dem islamischen Land Geschäfte zu machen.

In diesem Rennen um Ressourcen bringt der Westen ein Acht-Milliarden-Euro-Projekt in Stellung: Nabucco. Mit der geplanten Gas-Pipeline vom Kaspischen Meer nach Mitteleuropa will die EU von 2014 an unabhängiger von Russland sein. Das Projekt hat ein prominentes Gesicht: Den deutschen Ex-Außenminister Joschka Fischer. Der frühere Grünen-Spitzenpolitiker berät die Konsortiumsmitglieder RWE und OMV. Der Job als Lobbyist von Nabucco ist nicht ohne Brisanz, denn Fischer ist damit ein Rivale seines langjährigen Weggefährten Gerhard Schröder. Der deutsche Altbundeskanzler ist Chef des Nord-Stream-Aktionärsausschusses.

Während die Planer der Ostsee-Pipeline an diesem Freitag (9.4.) auch offiziell die Verlegung des ersten Rohrs begießen werden, könnte die EU langfristig beim globalen Verteilungskampf in die Röhre gucken, meint der russische Experte Wadim Gromadin. Immer fraglicher sei, womit Nabucco gefüllt werden soll. Zentralasiens energiereiche Staaten wie Turkmenistan hätten mittlerweile China als "Premiumpartner", betont Gromadin. Wie auch Gerhard Schröder sieht er kaum eine Alternative für die EU, als mit dem Iran zu verhandeln - ob als Gaslieferant oder Transitland.

Trumpfkarte Iran

Der Iran mit den zweitgrößten Gas- und Öl-Vorkommen der Welt wird im Energiepoker zu einem immer wichtigeren Spieler. Erst vor kurzem einigten sich Moskau und Teheran auf die gemeinsame Ausbeutung des gewaltigen Gasfeldes Süd-Pars im Iran. Vorgesehen ist jetzt der Bau einer Pipeline - aber nicht in die EU, Russlands traditionellem Abnehmer, sondern nach Indien und Pakistan.

Der Fall ist typisch, denn längst orientieren sich Energieriesen wie Gazprom oder Lukoil nicht mehr nur nach Westen. Für Russland sind die Pipelines wortwörtlich Lebensadern: Laut Weltbank macht der Rohstoffsektor bei der Ressourcen-Großmacht ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts aus. Allein Gazprom erwirtschafte rund 25 Prozent des Staatshaushalts. Längst hat Russland daher den Kampf um Lagerstätten in der Arktis eröffnet und seine Ansprüche durch das Aufstellen einer Flagge am Nordpol untermauert. Nach Schätzung von US-Geologen lagern im nördlichen Polargebiet 30 Prozent des bisher unentdeckten Erdgases der Erde.

Auch auf der Südflanke hat Russland seine Eisen im Feuer. Erst vor kurzem vereinbarten Putin und sein türkischer Amtskollege Recep Tayyip Erdogan, die Arbeit an der geplanten South-Stream-Pipeline voranzutreiben. Mit dieser Leitung will Russlands Monopolist Gazprom Gas aus Zentralasien über türkisches Hoheitsgebiet nach West- und Südeuropa transportieren - eine klare Konkurrenz zu Nabucco, und zudem ohne das für Russland politisch schwierige Transitland Ukraine.

Zwar habe "jeder aus Brüssel anreisende Energie-Lobbyist tolle Farbprospekte über Nabucco im Rollkoffer", sagte ein Diplomat aus Zentralasien vor kurzem. Es sei aber völlig unklar, ob das Gas am Kaspischen Meer am Ende für beide Pipeline-Projekte reichen werde.

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