Auch Musterschüler können stolpern, wenn das Zeugnis zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt ausgeteilt wird. Ausgerechnet auf dem Höhepunkt der europäischen Währungskrise erwartet das kleine Estland am Mittwoch das Votum der EU-Kommission zur nächstes Jahr anvisierten Aufnahme in die Eurozone.
Der kleine Baltikum-Staat erfüllt die Anforderungen aus dem Maastricht-Vertrag, aber die Chancen auf ein "Ja" aus Brüssel und das endgültige grüne Licht beim Juni-Gipfel der Union sind mit den dramatischen Finanzministerbeschlüssen vom Sonntag wohl nicht gestiegen. "In Deutschland ist die Stimmung jetzt ganz bestimmt nicht nach einer Ausweitung der Eurozone", sagt der Analyst Lars Christensen von Danske Bank und schätzt die Chancen der Balten "50:50".
In der Hauptstadt Tallinn gibt sich der Finanzminister Jürgen Ligi selbstbewusst, dass Estland 2011 das 17. Euro-Land wird: "Wir haben hier seit fast 20 Jahren eine strengere Finanzpolitik betrieben, als das der Maastricht-Vertrag verlangt. Daran wird sich auch nach dem Beitritt zur Eurozone nichts ändern".
Dass er nach wie vor von einer Zustimmung zur Einführung des Euro für die 1,3 Mio. Bürger seines Landes ausgeht, kann Ligi mit eindeutigen Zahlen begründen: Die Nettoneuverschuldung liegt in diesem Jahr bei 2,4 % der jährlichen Wirtschaftsleistung, die staatlichen Gesamtschulden bei 12,4 %. Die Inflation ist zwar im April auf 2,9 % gestiegen, wird aber im Jahresdurchschnitt bei 1,3 % erwartet.
Vor allem bei den Staatsfinanzen hat die betont stramme Haushaltspolitik estnischer Regierungen auch in Boom-Jahren vor der Finanzkrise für Stabilität gesorgt. "Wir sind gut gefahren mit entschlossenen Ausgabenkürzungen und dem Einsatz von angesparten Reserven, um den Druck auf unseren Haushalt in der Krise zu mildern", freut sich der Finanzminister.
Nach der zurückhaltenden Ausgabenpolitik in Jahren mit enormen Wachstumsraten für die baltischen "Tigerökonomien" stehen die Esten jetzt besser da als ihre Nachbarn Lettland und Litauen. Und besser als fast alle Euroländer.
Trotzdem hat EU-Kommissar Olli Rehn erst letzte Woche gewarnt: Der Euro-Beitritt der Esten sei keineswegs "beschlossene Sache" die Kommission werde sich die Haushalts- und Inflationszahlen "sehr genau ansehen".
Erinnerungen werden wach an die Entscheidung 2006 gegen Litauen, weil die Inflationsrate damals um 0,1 % über der erlaubten Marke lag. Damals stoppten die Staats- und Regierungschefs Estlands baltischen Nachbarn trotz einer politisch und wirtschaftlich viel freundlicheren Großwetterlage als bei der jetzigen Euro-Krise.