Starköchin Anne-Sophie Pic lebt in Macho-Welt

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Mäusespeck! Das überrascht zum Auftakt eines Drei-Sterne-Menüs. Aber es ist kein rot-weißes Marshmallow, sondern ein schaumiger Würfel, der nach Erdnuss schmeckt und mit Nusssplittern paniert ist. Im Mund entwickelt sich aus den harten Krümeln und schmelzendem Mäusespeck ein Spiel mit Texturen, das Frankreichs einzige Drei-Sterne-Köchin, Anne-Sophie Pic, zu ihrem Markenzeichen gemacht hat.

Die 40-Jährige ist das Gegenteil des Klischees, dass ein ordentlicher Koch männlich und wohlbeleibt sein muss. Klein, grazil und fast schüchtern wirkt sie, das dunkle Haar gescheitelt und straff nach hinten gebunden. Sie hat manche Umwege und harte Zeiten hinter sich gebracht, um dort anzukommen, wo sie heute ist. In der "Macho-Welt der Köche", wie sie selbst sagt, gibt es weltweit derzeit nur sechs Frauen unter den 71 Küchenchefs mit drei "Michelin"-Sternen. Ihre Kolleginnen kommen aus Spanien und Italien.

Mit dem Kochlöffel im Mund geboren

Anne-Sophie Pic wurde gewissermaßen mit dem Kochlöffel im Mund geboren. Ihre Urgroßmutter eröffnete 1891 die Auberge du Pin auf einem Hügel gegenüber der südfranzösischen Stadt Valence und legte damit den Grundstein für die kulinarische Karriere ihrer Familie. Ihr Sohn André schaute ihr von klein auf in die Töpfe, kochte sich in den 30er Jahren die ersten "Michelin"-Sterne zusammen und verlegte das Restaurant nach Valence, an die berühmte Nationalstraße 7, auf der die Pariser allsommerlich in Scharen zum Meer fahren.

Es war kein Zufall, dass ausgerechnet ein Reifenhersteller anfing, Restaurants zu bewerten und den "Guide Michelin" herausgab. Je weiter die Liebhaber guten Essens zu den angepriesenen Gaststätten fuhren, desto stärker fuhren sie ihre Reifen ab. Die ersten Ausgaben des "Guide Michelin" wurden den Autofahrern noch "mit freundlicher Empfehlung" gratis überlassen.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs weihte André Pic dann seinen Sohn Jacques in die Familiengeheimnisse ein. "Die Männer haben die Frauen irgendwann vom Herd verdrängt, zumindest in der Spitzengastronomie", bedauert Anne-Sophie Pic, die selbst zwischen Küche und Restaurant aufwuchs.

Zum Spinat hat sie das Kindermädchen gezwungen

"Als Kind habe ich in dieser Atmosphäre gebadet", erzählt sie. Sie erinnert sich an den Duft von Windbeuteln mit Vanillecreme und an die Flusskrebse aus dem nahe gelegenen Fluss Duzon, die im Restaurant kiloweise verarbeitet wurden. "Immer, wenn ich vorbeikam, habe ich davon genascht. Den Geschmack der frischen Krebse hab ich immer noch auf der Zunge", sagt sie. Faszinierend fand Anne-Sophie damals auch Huhn in Schweinsblase, ein natürlicher Vorläufer des Bratschlauchs. Nur Spinat mochte sie nicht - "dazu hat mich das Kindermädchen gezwungen" - und das hat sich bis heute nicht geändert.

Ihr Vater hätte sie nach dem Abitur gern auf eine Hotelfachschule geschickt, aber Anne-Sophie hatte keine Lust, das Kochen zu lernen. "Eine spätpubertäre Krise", meint sie im Rückblick. Stattdessen zog es sie nach Tokio und New York, wo sie Management studierte und für Moët & Chandon und Cartier arbeitete. "Die Welt des Luxus hat mich fasziniert, vor allem die kreative, gestalterische Seite", sagt sie. Eine Weile träumte sie davon, Modedesignerin zu werden, sie musste sich aber eingestehen, dass sie kein Zeichentalent hatte.

Der Vater starb und Anne-Sophie war "wie verloren"

Plötzlich war sie ganz von allein da, die Lust am Kochen. "Es war besser so, am Ende war es meine freie Entscheidung", meint Anne-Sophie Pic heute. Ihr Vater sei gerührt gewesen und habe die damals 22-Jährige begeistert als Lehrling aufgenommen. Doch dann kam alles anders. Gerade mal zwei Monate hatten Vater und Tochter gemeinsam am Herd, dann starb Jacques im Alter von 59 überraschend.

"Ich war wie verloren", erinnert sich Anne-Sophie Pic. In die Erschütterung über den Tod des Vaters mischte sich die Sorge, wie es mit dem Restaurant weitergehen sollte. Anne-Sophie und ihr älterer Bruder Alain standen völlig unvorbereitet an der Spitze des Hauses. Alain setzte weiter auf die bewährten Rezepte des Vaters, doch es dauerte nicht lange, bis das "Maison Pic" einen seiner drei Sterne verlor.

Es war eine harte Zeit, es gab Eifersüchteleien mit dem Bruder und Spott von den Kollegen über die "Lehrlings-Chefin", die nicht einmal einen Abschluss als Köchin hatte. "Du hast mir gar nichts zu sagen, Dich hab ich schon in Windeln gekannt", habe sie sich öfter von männlichen Angestellten anhören müssen. "Mehr als einmal hätte ich am liebsten alles hingeworfen", gesteht sie. "Ich hatte Angst, zu versagen, aber ich habe mich in die Aufgabe verbissen, weil ich das Gefühl hatte, es meinem Vater schuldig zu sein."

Mit Hilfe ihres Mannes David Sinapian arbeitete sie sich allmählich nach oben. Einen Namen musste sie sich nicht mehr machen, als Vertreterin der vierten Generation Pic, wohl aber einen Vornamen. Die Küchenchefs Paul Bocuse und Michel Bras, letzterer wie sie ein Autodidakt, zählt sie zu ihren Vorbildern. Ihr Bruder überließ ihr schließlich das Feld und eröffnete ein eigenes Restaurant in Grenoble.

"Endlich ein Mädchen!"

2007 hat sie es geschafft: Der "Guide Michelin" zeichnet das "Maison Pic" wieder mit drei Sternen aus. "Endlich ein Mädchen!" krakelt ihr der Drei-Sterne-Koch Frédéric Anton als Glückwunsch auf die doppelreihig geknöpfte Kochuniform.

Die Vorspeise wird serviert: Ein buntes, duftendes Gemüsehäufchen in einem schmalen Ring aus Mürbeteig mit Kräutern und einer schaumigen Soße. Transparente Radieschenscheiben, kleine Pilzwürfel, knallgrüne Erbsen, Silberzwiebeln, Blumenkohlröschen - jedes Gemüse hat seinen intensiven Eigengeschmack und ist punktgenau gegart, so dass es gerade noch knackig ist.

Mittags und abends herrscht in der Küche konzentrierte Anspannung. Anne-Sophie Pic legt größten Wert auf Präzision. "La chef", ruft ein junger Kellner und präsentiert ihr ein Tablett mit zwei Vorspeisen. Die Küchenchefin schaut genau hin, ob die Dekoration stimmt und wischt noch einmal mit einem Tuch über den Rand, um mögliche Fingerabdrücke zu entfernen. Kaum hat sie den Teller abgenommen, schiebt ihr einer der Köche einen Probierteller mit einem Stück Fleisch hin. Sie drückt es kurz mit Daumen und Zeigefinger, um die Festigkeit zu prüfen, probiert mit einem kleinen Plastiklöffel von der Soße und nickt es ab.

Hasenbraten bleibt 36 Stunden im Ofen

"Produkte, die der Jahreszeit entsprechen, sind das Wichtigste", sagt Anne-Sophie Pic, die jeden Montagmorgen selbst zum Markt geht. In diesem Jahr habe sie lange auf die Pilze warten müssen, weil es nicht genügend geregnet habe. "Außerhalb der Saison schmeckt das Gemüse nicht so, wie es soll", sagt sie. Einen Teil ihrer Waren bekommt sie direkt von einem Biobauern. Ihr macht es Vergnügen, vergessene und lange unterbewertete Gemüsesorten auf den Tisch zu bringen wie etwa Topinambur, Rüben oder Gurken.

Zum dampfgegarten Sankt Petersfisch gibt es neben Anisbutter auch dunkelgrünes Gurkenmus mit einem überraschenden Aroma. Es ist geschmacklich so weit von der Supermarkt-Schlangengurke entfernt wie ein mit Wasser angerührter Kakao von einer heißen Schokolade. Beim Fleisch experimentiert Anne-Sophie Pic so lange, bis sie die richtige Garmethode gefunden hat. Ihr "Hasenbraten à la royale" verbringt exakt 36 Stunden bei 62 Grad im Ofen. "Dann hat er einen ganz besonderen Geschmack und bleibt trotz der langen Garzeit zart", erklärt sie.

Viermal im Jahr kreiert die Küchenchefin ein neues Menü. "Es ist viel Intuition dabei", sagt sie. Ihr Mitarbeiter dürfen Vorschläge machen, aber ihre Handschrift soll erkennbar bleiben. "Mein Ziel ist eine Autorenküche", sagt sie. Es müsse immer etwas Überraschendes dabei sein, eine markante Geschmacksnote oder eine unerwartetes Nebeneinander von knusprig, schaumig, fest oder flüssig. Die japanische Küche schätzt sie sehr, die deutsche kennt sie kaum. "Ich weiß nur, dass viele Deutsche keine Gänseleber oder Markknochen mögen", sagt sie und lacht.

"Zögern Sie nicht, Ihr Dessert zum Einsturz zu bringen", empfiehlt ein Kellner im hellgrauen Anzug freundlich und serviert ein kleines Kunstwerk aus Maronen-Creme mit Tannenknospen-Sorbet, das durch ein zartes Keksquadrat von einer Scheibe Maronen-Nougat getrennt ist. Für die Süßwaren ist Chef-Patissier Philippe Rigollot zuständig, und der lässt vor dem eigentlichen Dessert schon mal was raffiniert Süßes servieren, "um den Gaumen einzustimmen". Und zum Kaffee schickt er noch einige luxuriöse Makronen mit einem Fetzen Blattgold hinterher.

Von Krise keine Spur

Von Krise keine Spur, es scheint noch immer genügend Liebhaber guter Küche zu geben, die sich ein Menü zwischen 110 Euro (mittags unter der Woche) und 320 Euro leisten können. Die Atmosphäre ist freundlich-diskret, die Kellner sind aufmerksam, aber nicht arrogant. Ein junges Paar mit Kleinkind bekommt umstandslos einen Teller Gurkenpüree serviert, mit dem das Mädchen sich gerne füttern lässt.

"Mutter zu sein, hat mein Kochen verändert", sagt Anne-Sophie Pic, deren Sohn Nathan gerade vier geworden ist. Heute liegt ihr daran, gute Küche zugänglicher zu machen. "Es gibt so viele Kinder, die schlecht ernährt sind", klagt sie. Sie wolle das Vorurteil bekämpfen, dass selbst kochen aufwendig und teuer sei. "Nur ein Beispiel: Eine Gemüsebrühe macht wenig Arbeit und lässt sich gut einfrieren", sagt sie. Sie sehe einen Trend zu guten, regionalen Produkten, der nicht zuletzt durch die Krise verstärkt werde. "Immer mehr junge Leute lehnen Fertigprodukte ab und schätzen Selbstgemachtes", meint sie.

Dass ihr Luxus-Restaurant letztlich aus einer Autoraststätte hervorgegangen ist, hat Anne-Sophie Pic nie geleugnet. Im Gegenteil: Vor drei Jahren eröffnete sie in Anlehnung an die traditionelle Ferienstraße "La 7" das Bistrot "Le 7". Dort gibt es ein mehrgängiges Mittagessen schon ab 28 Euro, das Menü erinnert an eine faltbare Straßenkarte, die Stühle sind aus verkehrsschildrotem Plexiglas, und auf dem asphaltgrauen Boden markieren eingelassene Neonlampen einen imaginären Mittelstreifen.

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