Der Experte erklärt, wie Sie mit Ihrem Laster abschließen.
Erinnern Sie sich noch? Damals als Sie – wahrscheinlich wie so viele andere auch – am Schulhof das erste Mal an einer Zigarette gezogen haben? „Die erste Zigarette ist meist nicht mehr als ein Hilfsmittel zur externen Persönlichkeitsstabilisation in jungen Jahren, die auf jugendlicher Unsicherheit beruht. Natürlich gibt es auch Ausnahmefälle, in denen Personen später zu rauchen beginnen“, kennt Dr. Arif de Mendelssohn, FA für Psychiatrie und Suchtexperte, die Motivation für den erstmaligen Griff zur Zigarette. „Auch wenn die erste Zigarette meist zu Übelkeit und Hustenreiz führt, sind wir durch das Belohnungsgefühl, als „cool“ wahrgenommen zu werden und die Identifikation mit Vorbildern – seien es Schauspieler oder Bekannte – getrieben, weiter zu rauchen. Das Rauschgefühl selbst ist beim Nikotinkonsum im Vergleich mit anderen Drogen nach Gewöhnung vergleichsweise gering und selten Hauptgrund für den Konsum. Es sorgt für ein leicht beschwingtes Gefühl, macht fokussierter, konzentrierter und leicht euphorisch. Allmählich dient das Rauchen immer mehr der Selbstregulation, um positive Situationen positiver zu machen und negative abzumildern – die Zigarette übernimmt somit eine Funktionalität. Ein Gewöhnungseffekt stellt sich ein, veranlasst uns, mehr zu rauchen, und sorgt für Denkmuster, die uns annehmen lassen, dass es uns mit Zigarette besser geht. Fakt ist aber, dass es uns eigentlich nach eingetretener Gewöhnung nur ohne schlechter geht. Wir schlittern zunehmend in die Abhängigkeit“, erklärt der Suchtexperte.
Die sechs Suchtkriterien
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1. Wunsch oder Zwang
Ein starker Wunsch oder eine Art Zwang, psychotrope Substanzen zu konsumieren.
2. Mangelnde Kontrolle
Verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung und der Menge des Konsums.
3. Entzugssyndrom
Ein körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung oder Reduktion des Konsums, nachgewiesen durch die substanzspezifischen Entzugssymptome oder durch die Aufnahme der gleichen oder einer nahe verwandten Substanz, um Entzugssymptome zu mildern oder zu vermeiden.
4. Toleranz
Nachweis einer Toleranz. Um die ursprünglich durch eine niedrigere Dosis erreichten Wirkungen der psychotropen Substanz hervorzurufen, sind zunehmend höhere Dosen erforderlich.
5. Vernachlässigung
Fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügen oder Interessen zugunsten des Substanzkonsums, erhöhter Zeitaufwand, um die Substanz zu beschaffen, zu konsumieren oder sich von den Folgen zu erholen.
6. Anhaltender Konsum
Anhaltender Substanzkonsum trotz Nachweises eindeutiger schädlicher Folgen, wie krankhafte Veränderungen der Lunge durch exzessives Rauchen. Es sollte dabei festgestellt werden, dass der Konsument sich tatsächlich über Art und Ausmaß der schädlichen Folgen im Klaren war oder, dass zumindest davon auszugehen ist.
Schockierende Bilder sollen uns die Zigarette weniger schmackhaft machen – eine Strategie, die bei süchtigen Rauchern häufig keine Früchte trägt. Aber wie gelingt es uns nun, mit unserem Laster ein für allemal abzuschließen?
So werden Sie rauchfrei
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Sich die Sucht vergegenwärtigen
Trugschluss. Der Grund, weshalb Sie rauchen, ist ein leeres Versprechen – Erwartungshaltungen an den Nikotinkonsum werden nicht erreicht. Es gilt einzusehen, dass es einem als süchtiger Raucher nicht mehr besser geht, wenn man raucht, sondern schlechter, wenn man nicht raucht. Schafft man es nicht, sich dessen bewusst zu werden, ist dem Suchtexperten zufolge die Chance auf eine dauerhafte Abstinenz als gering einzustufen.
Selbstbeobachtung
Zwei gängige Ansätze. „Einen abrupten Rauchstopp einzulegen, halte ich für wenig sinnvoll. Legen Sie zu erst eine Phase der Selbstbeobachtung ein, um zu schauen, weshalb Sie rauchen und was Sie sich davon erwarten“, erklärt der Experte.
1. Eine gängige Methode zur Veranschaulichung ist die Vier-Felder-Technik. Ein Blatt Papier wird in vier Felder unterteilt – die Vor- und Nachteile des Rauchens und die des Nichtrauchens werden einander jeweils gegenübergestellt.
2. Ein andere gängige Methode ist das Führen eines Protokolls – dokumentieren Sie jede Zigarette und schreiben Sie auf, wann und wieso Sie diese konsumieren, was Sie sich erwarten und inwiefern die Erwartung erfüllt wurde. Anhand der Notizen lässt sich nach einer Woche ein Profil erstellen. In weiterer Folge wird nach Ersatzstrategien gesucht.
„Doppelte Buchführung“
Verdeutlichung. Nachdem Sie versucht haben, den persönlichen Nutzen von Zigaretten für sich zu klären, geht es nun darum, diesen Eindruck zu verstärken. „Ich spreche mit meinen Patienten hier von der ‚doppelten Buchführung‘: wir betrachten entweder nur die für uns positiven Aspekte des Rauchens (Einkommensbuch) oder die negativen (Ausgabenbuch). Was zumeist fehlt ist die gleichzeitige Sicht auf beide Aspekte.“ Hilfreich kann es sein, sich die Aspekte wortwörtlich vor Augen zu führen: Sammeln Sie über 14 Tage die Stummel aller gerauchten Zigaretten in einem Glas und werfen Sie den äquivalenten – für Ihre Sucht ausgegebenen – Geldbetrag in ein anderes Glas.
Rauchstopp
Rauchfrei. Durch die vorangehenden Punkte, die individuelle Entwicklung und die Gabe bestimmter Medikamente über 14 Tage vor dem Rauchstopp, reduziert sich das Rauchverhalten meist allgemein um bis zu 80 Prozent. Legen Sie als „Rauchstopp-Tag“ einen Tag fest, der es Ihnen erlaubt, sich mit anderen Aktivitäten ablenken zu können.
Ersatzhandlungen finden
Durchhalten. Nach drei bis vier rauchfreien Tagen ist die erste Hürde genommen. Allerdings können Sie Ihrem Körper nicht etwas wegnehmen, ohne Alternativen zu bieten – diese helfen Ihnen, Ihr Rauchverlangen auszutricksen. „Um das Verlangen nach oraler Tätigkeit zu stillen, beginnen viele zu essen, was eine Gewichtszunahme als Folge haben kann – kauen Sie lieber Kaugummi. Für motorische Befriedigung sorgen handwerkliche Tätigkeiten wie Stricken oder Origami.“
Eins, zwei, drei – rauchfrei?
Ganz so einfach geht es leider nicht. Um überhaupt aufhören zu können, bedarf es viel mehr als nur dem Willen dazu. Neben der kognitiven Einsicht braucht es das emotionale Verständnis, dass der Gedanke „mit Zigarette geht’s besser“ nur mehr einen Trugschluss darstellt und wir in Wirklichkeit durch den fortgesetzten Konsum weitgehend versuchen, das ursprüngliche Ausgangsniveau – vor Gewöhnung und Toleranzentwicklung – wiederherzustellen. „Das Ziel ist, dass es uns auch ohne Nikotinkonsum wieder gut gehen kann, indem wir die Sucht bekämpfen. Rauchen Nikotinabhängige nämlich eine Zigarette“, so Dr. de Mendelssohn, „steigt die Konzentration nicht wie vermutet an, sondern wir sind lediglich bemüht, auf das Ausgangsniveau zurückzukehren. Denn bei Toleranz und Suchtentwicklung verschlechtert sich das Ausgangsniveau und muss zunehmend durch den fortwährenden Konsum und Dosissteigerung ausgeglichen werden.“
Die Führung eines Raucherprotokolls, in dem jede gerauchte Zigarette genau dokumentiert wird, hilft uns mit sachkundiger Begleitung das zu erkennen. Zudem müssen wir lernen, uns die positiven und negativen Aspekte des Rauchens zeitgleich vor Augen zu führen, anstelle sie gesondert zu betrachten. Erst dann macht ein Rauchstopp Sinn. Häufig sind gerade in der Phase des Nichtrauchens Ersatzaktivitäten wie Kaugummi kauen (oral) sowie häkeln oder Origami (motorisch) sinnvoll, die bereits vor dem Rauchstopp entwickelt werden sollten. „Letztlich ist das Ziel der Behandlung immer die Entwicklung einer positiven und stabilen Identifikation als Ex-Raucher“, so de Mendelssohn.
Dr. Arif de Mendelssohn im Talk
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Muss man, um mit dem Rauchen aufzuhören, den Willen dazu haben?
Dr. Arif de Mendelssohn: Viel mehr als den Willen zu haben, müssen Sie verstehen, dass die Nikotinsucht nicht mehr als ein Spiel ist – ein Trugschluss. Unter „den Willen haben“ versteht man immer, dass man eine kognitive Abwägung macht, sich die Gründe aufzählt, warum das Rauchen schlecht ist. Wichtiger ist aber das emotionale Wissen, dass Sie sich beim Rauchen schlicht etwas vormachen – es geht einem mit Zigarette nicht besser, aber ohne schlechter. Das gilt es zu verstehen, um erfolgreich aufzuhören.
Hat jeder Mensch dasselbe Suchtpotenzial?
Dr. Mendelssohn: Nein, das ist sicher individuell. Die Frage ist, wo beginnt eine Sucht und wo hört sie auf? Jede Verhaltensweise, die zu einem guten Gefühl führt, kann Suchtcharakter bekommen. Reduziert man die Palette an Regulationsmöglichkeiten zugunsten einer bestimmten, steigt die Wahrscheinlichkeit, einen Suchtmechanismus zu entwickeln. Ob man nun mehr oder weniger gefährdet ist, eine Sucht zu entwickeln, hängt von frühkindlichen Prägungen, der Genetik und dem Umfeld ab.
Heißt, nicht jeder kann auf dieselbe Art und Weise mit dem Rauchen aufhören?
Dr. Mendelssohn: Es gibt standardisierte Programme, die so zugeschnitten sind, dass sie für viele Leute ein brauchbares Angebot bieten. Setzt man sich mit einer Person zusammen, bieten sich allerdings viel mehr Möglichkeiten, da man auf die individuellen Stärken und Schwächen eingehen kann.
Ab wann gilt man als geheilt?
Dr. Mendelssohn: Eine Suchterkrankung ist eine Rückfallserkrankung, die nicht heilbar ist. Man kann seine Abstinenz lediglich immer weiter festigen und eine stabile Identifikation als Nichtraucher erreichen.
Wann sollte sich ein Betroffener vom Experten Hilfe holen?
Dr. Mendelssohn: Hat man festgestellt, dass zwei bis drei ernst gemeinte Rauchstopps ohne Erfolg blieben, ist professionelle Hilfe indiziert, da ein Rauchstopp aus eigener Kraft vermutlich nicht mehr möglich ist.