Online-Gefahr "Pro-Ana/Pro-Mia" und vielfältige Risikofaktoren für Bulimie, Anorexie und Co: Das Ministerium setzt auf Medienkompetenz und schließt Verbote nicht aus.
Einer WHO-Studie zufolge waren 2002 rund 60 Prozent der Elfjährigen in Österreich überzeugt, "ungefähr das richtige Gewicht" auf die Waage zu bringen. 2010 sank die Zahl auf 52 Prozent. Familienministerin Sophie Karmasin (VP) präsentierte bei einer Pressekonferenz am Donnerstag in Wien ihre Strategie im Kampf gegen die "Pro-Ana/Pro-Mia"-Bewegung: Sie setzt vor allem auf Prävention.
97% Msind Mädchen & Frauen
7.500 Österreicher unter 20 leiden derzeit an Bulimie oder Anorexie. Bis zu 97 Prozent sind weiblich - und viele sehr jung. Nicht einmal die Hälfte der Unter-16-Jährigen ist hierzulande mit ihrem Gewicht zufrieden: Im Vorjahr stimmten knapp die Hälfte der 13- und 15-Jährigen der Frage zu (42 bzw. 42,5 Prozent). Karmasin hält den "Kult um Essstörungen" für extrem gefährlich. "Ana und Mia sind keine Freundinnen, sie sind eine Krankheit."
"Pro-Ana/Pro-Mia" propagiert und glorifiziert die Essstörungen Bulimie oder Anorexia als erstrebenswerten Lebensstil. Ein wichtiger Schritt sei, Eltern für diesen "Trend" zu sensibilisieren und ein gesundes Körper- und Selbstbewusstsein zu entwickeln. "Frauen definieren sich immer noch über ihren Körper, gab die Ministerin zu bedenken.
Das sind die häufigsten Essstörungen:
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Stressorexie - alles wichtiger als Essen
Sie tritt vorrangig bei Frauen zwischen 20 und 40 Jahren auf, die in ihrer Arbeit aufgehen, und keinesfalls weniger arbeiten möchten. Sie versuchen perfekt zu sein: sexy, schlank und modisch gekleidet. Sie wollen in ihrem Beruf glänzen und eine perfekte Mutter und Ehefrau sein. Sie wollen alles.Stressorexie geht im Gegensatz zu Magersucht und Bulimie nicht auf eine psychische Erkrankung zurück. Betroffene lassen das Essen aus, um mehr Arbeit im Beruf erledigen zu können. Nach dem stressigen Arbeitstag haben sie zu Hause kein Hungergefühl mehr, weil Stress dieses blockiert.
Bulimie - Die Ess-Brech-Sucht
Bulimie zeichnet sich durch Freßanfälle aus, in denen die Person große Mengen von Nahrungsmittel ohne Unterbrechung zu sich nimmt. In der Regel werden solche Anfälle durch anschließendes selbstinduziertes Erbrechen beendet.Diese Freßanfälle sind von einem Gefühl begleitet, die Nahrungsaufnahme nicht mehr unter Kontrolle zu haben. Die hochsteigende Magensäure greift Zähne und Speiseröhre an - im Fall von Lady Gaga hätte ihr das beinahe die Stimme geraubt.
Die Gedanken der betroffenen Frauen dreht sich ständig um ihre Figur, ihr Gewicht und um das Essen. Die Angst zuzunehmen, ist sehr groß. Bulimikerinnen empfinden sich selber als häßlich und abstoßend in ihrer Körperlichkeit, zweifeln stark an sich selbst und ihren Wert.
Anorexia Nervosa - Magersucht
Der Beginn dieser Essstörung liegt meist in der Pubertät, nach einer Diät. Ein Ereignis – Foto oder Bemerkungen – lässt das Gefühl entstehen „zu fett“ zu sein. Betroffene halten meist eine strenge Diät oder verweigern Essen komplett.Die meisten erkrankten leiden unter einen Körperschemastörung. Sie nehmen sich trotz Untergewichts als zu dick wahr. Etwa 2000 Kalorien sollten täglich zugeführt werden, Magersüchtige essen häufig weit darunter und kontrollieren jedes Nahrungsmittel nach seinem Kalorienwert.
Freßsucht
Die betroffenen Menschen haben die Kontrolle über ihr Eßverhalten verloren und sind durch die sie überkommenden Eßanfälle sowie den Jojo-Effekt von Schnell-Diäten meist leicht bis stark übergewichtig - ein Zustand, unter dem sie stark leiden.
Orthorexia nervosa - Gesundheits-Fressen
Auch "Gesundheits-Fressen" kann eine Sucht werden. Experten sprechen hier von krankhaftem Gesundessen. Lieblingsspeisen gibt es nicht mehr. Die Gedanken engen sich immer mehr auf "gesunde" Nahrungsmittel ein. Die Sache wird auch häufig gegenüber Angehörigen und Freunden mit höchstem missionarischen Eifer betrieben. Dabei reduziert sich die Zahl der verschiedenen konsumierten Nahrungsmittel. Auch das kann zu Problemen - nicht zur zu psychischen - führen. Nur noch Müsli - das ist auch eine einseitige Ernährung.
Verbote gewisser Formate, die ein gefährliches Schönheitsbild vermitteln, und Kennzeichnungspflichten bei retouchierten Bildern schließt Karmasin als ergänzende Maßnahmen nicht aus. In gezielten Seminaren und Workshops soll Medienkompetenz vermittelt werden. Eltern sollen zusätzlich darin geschult werden, Warnsignale schneller und besser zu deuten. Eine Anlaufstelle soll Angehörigen den Druck und die Hintergründe und Machtverhältnisse in Foren, Social Media und Whatsapp-Gruppen verständlich machen.
Workshops
Die neue Workshopreihe body.talks thematisiert ab dem kommenden Jahr ganz konkret diese Themen. Das omnipräsente Smartphone kann zu einem Risikofaktor werden, erläuterte Medienforscher Jochen Tschunko. Denn online finden Gleichgesinnte sowohl öffentlich als auch in geschlossenen Gruppen zueinander. Im Netz findet man regelrechte "Abnehmwettbewerbe", nicht selten befeuert von ominösen Teilnehmern mit falschen Identitäten. Das Internet ermögliche es der "Pro-Ana/Pro-Mia"-Bewegung nicht nur, sich gegenseitig in der "sektenartigen Glorifizierung von pathologischem Essverhalten zu bestärken", Druck und allgegenwärtige gegenseitige Überwachung in teils geschlossenen Gemeinschaften verstärken das Phänomen.