Der NME-Award wäre als friedvoller Event in die Geschichte eingegangen - wenn nicht die USA plötzlich mit der Moralkeule schwingen würde.
Kelly Osbourne durfte im Rahmen der amerikanischen NME-Awards einen Musikpreis überreichen. Die zuckersüße Tochter des großen Oz ist deutlich erschlankt, im Moment strahlend schön und auch besonders friedlich unterwegs - und bietet keinerlei Anlass für ein "Pieps". An der Geschichte ist bislang nichts Außergewöhnliches festzustellen.
(c) Matt Sayles
"Böse" Trophäe
Doch dann kam das Unheil:
Nicht die Rockröhre selbst bietet plötzlich den Anlass zur eigentümlichen
Zensur des Bildes, sondern die Vereinigte Presse, die in dem NME-Award ("New
Musical Express") plötzlich das Unheil des Bösen sieht. Die kleine
Messing-Trophäe hat nämlich die Gestalt eines sogenannten Stinkefingers. Und
dieser ist als extremes Negativomen in Amerika äußerst unbeliebt.
Stinkefinger-Handlungen, ob sie nun tatsächlich getätigt wurden oder ob
Journalisten bloß glauben, in einer bestimmten Haltung einen sogenannten
schlimmen Mittelfinger zu erkennen, haben in Amerika bereits desöfteren zur
diktierten Zensur und zu öffentlichen Diskussion geführt. Die AP, American
Associated Press, hat jetzt nämlich einfach kurzerhand beschlossen, das
Photo von Kelly Osbourne und der Trophäe aus ihrem Bildangebot
zurückzuziehen und das Bild mit einer Warnung versehen: "Obszöne
Geste". Dabei ist auf dem Bild nicht wirklich etwas zu erkennen.
Eigentümliche Moralvorstellung
Abgesehen von dieser Aktion,
von der man nicht unbedingt weiß, welchem menschlichen Antrieb sie
entsprungen ist, gibt es seltsamerweise zahlreiche andere Bilder, die
ähnlich sind, welche allerdings nicht von der AP zensiert wurden. Nun wird
mit diesem Bild wieder einmal die gerade von Amerika so hochgelobte
Pressefreiheit in Frage gestellt. Das publizistische Gesetz, wonach
Journalisten oder Fotografen stets die Wirklichkeit abbilden sollten, wie
sie ist, hat in den USA jetzt anhand dieses Fotos eine neue Welle der
Entrüstung ausgelöst. Inwieweit die Vereinigten Staaten von Amerika jetzt
mit ihren plötzlich verschärften moralisierenden Geboten die Pressefreiheit
einschränken, ist zu diskutieren, fest steht jedoch, dass Wirklichkeit und
Wahrheit ja bekanntlich subjektiv ist. Und diese dürfte in Amerika doch
andere Formen haben als in Europa.
Eine himmlische Familie vs. Teufelszeichen
Gerade die
long-lasting-Serie "Eine himmlische Familie" zeigte vor, in wie
weit Amerika bereits in konfusen Glaubensgrundsätzen verstrickt ist.
Seltsame Keuschheitsgebote, übertriebene Werthaltungen und pedantische
Überzeugungen: Die Religiösität und Prüderie des Vorzeigestaates der Welt
nimmt langsam seltsame Formen an. Etliche andere Bilder, sei es George Bush
mit hochgerecktem Arm (die Presse erkannte darin ein Teufelszeichen) oder
Hillary Clinton: die Frage, welches Foto und warum genau dieses unbedingt
zensuriert werden muss, wird die Öffentlichkeit sowieso - vielleicht Einher
mit der Diskussion rund um die zunehmende Überwachung und der Kontrollwut
des Staates, bald beantworten müssen, ehe die Dinge zu schnell
voranschreiten.
Hier zeigt Kanzler-Tochter Selina Gusenbauer, die Kelly Osbourne zum Mode-Vorbild nimmt, den Stinkefinger.