Rühmkorf machte sich als Dichter Essayist und Dramatiker einen Namen. Er war für seine virtuose Poesie und seine spitze polemische Feder berühmt.
Wie der Rowohlt Verlag am Montag in Reinbek bei Hamburg mitteilte, starb Peter Rühmkorf am Sonntag in einer Bauernkate im Lauenburgischen in Schleswig-Holstein im Alter von 78 Jahren an Krebs. Dort hatte er zuletzt mit seiner Ehefrau Eva-Maria gelebt. Sein Haus am Elbstrand in Hamburg hatte er wegen seiner Krankheit verlassen müssen.
Der Dichter, Essayist und Dramatiker hat sich mit virtuoser Poesie und spitzer polemischer Feder einen Namen als scharfsinniger politischer Kopf gemacht.
Der gebürtige Dortmunder studierte in Hamburg Literaturwissenschaften und Psychologie. Während seiner Tätigkeit als Lektor beim Rowohlt Verlag von 1958 bis 1964 und 1966/67 entwickelte er sich zu einem Lyriker und Essayisten von Format. Als Redakteur des "Studentenkurier" zog der Autor bereits in den 50er Jahren gegen die Adenauer-Ära zu Felde und engagierte sich Ende der 60er Jahre in der Studentenbewegung.
In seiner Lyrik experimentierte Rühmkorf mit der Sprache und bezog sich - oft parodierend - auf seine großen Vorbilder aus der Literaturgeschichte wie Brockes, Eichendorff, Heine, Tucholsky oder Brecht.
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Er war stets empfindsamer Poet und politischer Mahner zugleich. Seine Werke bewegten sich im "Spannungsfeld von politischer Wirkungs- und persönlicher Ausdrucksästhetik", befanden einst die Juroren des Büchnerpreises. "Schizografie" nannte der Autor Peter Rühmkorf, der am Sonntag im Alter von 78 Jahren in der Nähe von Hamburg starb, einmal seine beiden Schreibantriebe. Von sich selber sagte er: "Ich bin eine bröcklige Existenz, die sich aufgerufen fühlt, sich jeden Tag neu zu verfassen. Das ist geradezu triebhaft bei mir. Ich versuche, in einem Hochspannungsfeld die Balance zu halten. Zwischen Himmel und Erde spanne ich mir selber ein Seil und bemühe mich, nicht herunter zu fallen."
Rühmkorfs letzte größere Veröffentlichung erschien 2004 mit seinen Tagebüchern aus der Zeit von 1971 bis 1972 unter dem Titel "Tabu II". Im Jahr 2008 veröffentlichte er, bereits sterbenskrank, noch einmal Gedichte und Gedankensplitter: "Paradiesvogelschiß". Vieles darin kreiste um die Vergänglichkeit: "Es hat sich ausgepsaltert,/ nicht nur das Herz, das Hirn, die Seele altert."
Engagierter Linksintellektueller
Der engagierte
Linksintellektuelle, der neben virtuoser Poesie auch immer eine spitze
politisch-polemische Feder führte, bezeichnete den Verlust von Hoffnungen
als einen Antrieb zum Schreiben. "Das betrifft auch die politischen
Hoffnungen und Illusionen. Immer wenn ein politisches Glaubensfeld für mich
zusammenbrach, ist hinterher ein besonderer Sog daraus entstanden, aus dem
sich dann neue Gedichte entwickelt haben", sagte er einmal in einem
dpa-Gespräch. Das sei auch nach dem Zusammenbruch der APO so gewesen. "In
der ganzen politisierten Zeit hatte ich Prosa, aber zehn Jahre keine
Gedichte geschrieben. Und als die Zeit abgeschlossen war, und es war wenig
Hoffnung übrig geblieben, da klammerten sich alle neuen Hoffnungswurzeln an
neue Gedichte."
Die politische Entwicklung nach der deutschen Einheit und der Umbruch in Osteuropa hatten dem Schriftsteller und Jazzliebhaber eine Zeit lang die "rhetorische Rednersuada" verschlagen. "Ich habe mich in Prosa fast überhaupt nicht zu den deutschen Dingen geäußert, weil diese irrationalen Vorgänge für mich in nüchterner Prosa nicht mehr zugänglich waren. Ich habe viel Zorn, Wut, Verzweiflung, Sarkasmus und Ironie auf Gedichte verwendet, die sich damit weniger ins Benehmen als ins Unbenehmen setzen", sagte der 1993 mit dem Büchnerpreis ausgezeichnete Dichter. Rühmkorf war sicher: "Es hat das Verfassen von Kunst auf allen Ebenen etwas mit Therapie, vor allem aber etwas mit Kompensation zu tun."
Zwischen Ordinärem und Bildungszitaten
Der hagere Autor, der
alle Nuancen der Sprache kannte, das Ordinäre ebenso wie das Bildungszitat,
und in feinsinnig ausgetüftelten, oft schnodderig klingenden Wortspielen das
Schwere leicht machte, litt als Jugendlicher unter pubertärer Magersucht.
"Bestimmte Anfechtbarkeiten auf dem gesamten psychosomatischen Gebiet haben
sich erhalten - der schwache Magen, schlechter Schlaf und Angst, die sich
als Atemnot bis zu Erstickungsanfällen steigern kann", verriet der sensible
Autor einmal. Rühmkorf selber nannte sich einen "autonom herausgebildeten
Atheisten aus Widerstand gegen das christliche Mutterhaus".
Schreiben war für den unehelichen Sohn einer evangelischen Pfarrerstochter und eines reisenden Puppenspielers, den er nie kennengelernt hat, etwas Magisches. "Das Schreiben ist eine Art von Selbstverdoppelung. Man stellt Schatten von sich her, ein zweites Ich, an dem man sich auch aufrecht hält. Eigentlich möchte man immer ein ideales Ich von sich selbst verfassen." Und so war ihm Schreiben wohl auch ein Mittel gegen Angst und Unsicherheitsgefühle: "Wenn man merkt, dass es wieder auf so ein ideales Ich zuläuft und ein Gedicht sich vervollständigt und ein Aufsatz sich rundet, dann ist man außerordentlich erhoben und hat gerade der Angst entgegengesetzte Grandiositätsgefühle."
Gedichte waren für Rühmkorf "ein Klangkörper, der etwas ausdrückt, eine Naturgebärde, ein Naturprodukt wie eine Krankheit oder ein Traum". Der Autor, der sich selber gerne einen Jäger und Sammler nannte, hatte in seinem Arbeitszimmer mit Blick auf die Elbe Kisten voller Zettel mit spontan festgehaltenen Eindrücken. "Das eine ist die Inspiration. Auf die hat man keinen Einfluss. Da fliegt einem eben unberechenbar etwas zu, so wie Sternschnuppen aus dem Sternbild der Lyra."