ÖSTERREICH wanderte mit Marcel Hirscher zur Stuhlalm bei Annaberg.
Wenn Hirscher auf „seine“ Alm einlädt, kommen die Reporter sogar aus Deutschland, Frankreich, Italien und natürlich auch aus Holland, der Heimat seiner Mutter. Gemeinsam mit Papa Ferdinand hatte Sylvia Hirscher die Stuhlalm ab 1989 bewirtschaftet. „Am Anfang hatten wir nicht einmal fließendes Wasser“, schildert Marcel seine ersten Kindheitserinnerungen. „Es war eiskalt, und wir haben uns mit der Gießkanne geduscht.“ Ein Stein in Hirschers Erfolgs-Puzzle – da Ablenkungen wie Videospiele und Fernseher fehlten, war in frühester Kindheit viel Zeit, die motorischen Fähigkeiten zu schulen.
Fit durch Radtraining im Mallorca-Urlaub
Bei der Wanderung auf die Stuhlalm fällt aufmerksamen Reportern auf, dass Hirscher seit der Skisaison abgenommen haben muss. „Stimmt“, bestätigt der fünfmalige Weltcupsieger. „Das kommt von den vielen Kilometern, die ich seither auf dem Rennrad verbracht hab.“ Auf den Geschmack gekommen ist er im Urlaub auf Mallorca. Hirscher: „Im Vorjahr hab ich extrem viel Kraft trainiert, was sehr gut funktioniert hat, heuer versuch ich es zur Abwechslung mit mehr Grundlagentraining.“ Hirscher wirkt topfit, auf der einstündigen Wanderung sind seine Begleiter schnell außer Atem.
Oben angekommen, zieht es Marcel zuerst zu den Kühen. Im Hintergrund zeichnen sich Umrisse der wolkenverhüllten Großen Bischofsmütze ab. Inzwischen gibt es auf der 1.467 Meter hoch gelegenen Hütte zwar Strom und Fließwasser. Die Idylle ist aber geblieben. Vier-, fünfmal kommt Hirscher auch jetzt noch auf „seine“ Alm. Er genießt den Sommer. Skifahren? Das wird erst im September wieder ein Thema.
Marcel Hirscher im ÖSTERREICH-Interview
ÖSTERREICH: Wie geht es Ihnen, wenn Sie zu Ihren Wurzeln zurückkehren?
Marcel Hirscher: An den Ort, an dem du aufgewachsen bist, hast du brutal viele Erinnerungen: Die laufen wie ein Film bei mir ab. Viele tolle Erlebnisse: mein Baumhaus, die erste Kletter-Tour im fünften Schwierigkeitsgrad, wie ich von einem Felsbrocken runtergefallen bin oder wie es mich in die Brennnesseln g’haut hat.
ÖSTERREICH: Kommen Sie noch immer regelmäßig auf „Ihre“ Alm zurück?
Hirscher: Ja, drei- bis fünfmal schaff ich es noch jeden Sommer.
ÖSTERREICH: Wie war Ihr Sommer bisher?
Hirscher: Richtig entspannend. Mir hat es brutal gutgetan, dass ich eine Zeit lang offline war, dass ich nicht überall meinen Senf dazugeben musste. Aber ich habe auch viel trainiert. Viel Grundlangen-Training, hauptsächlich auf dem Rad. Nach dem Motto „Weniger ist mehr“ habe ich sehr viel Zeit daheim verbracht.
ÖSTERREICH: Bleiben Sie bei Ihrem Plan, auch diesen Sommer auf das Übersee-Schneetraining zu verzichten?
Hirscher: Genau. Wenn du die guten Tage am Gletscher ausnützt, ersparst du dir anstrengende Flugstrapazen und dem Skiverband Geld.
ÖSTERREICH: Juckt es Sie schon wieder, die Ski anzuschnallen?
Hirscher: Wenn ich ehrlich bin: überhaupt nicht. Jetzt genieße ich den Sommer. Anfang dieser Woche zum Beispiel war ein wunderschöner Sommertag, ich war im See schwimmen. Wunderbar! Ich freu mich auf mehr solche Tage. Trotzdem werde ich jetzt das Trainingspensum ordentlich nach oben schrauben. Mit dem Skifahren will ich erst Anfang September beginnen.
ÖSTERREICH: Könnte man sich bei dem, was Sie erreicht haben, nicht denken: Ich lass es überhaupt bleiben und genieße den Sommer noch länger …
Hirscher: Ich muss zugeben: Es ist nicht mehr ganz so wie früher, als meine Motivation nicht zu bändigen war. Manchmal muss ich mich schon extra pushen.
ÖSTERREICH: Ihr nächstes Ziel ist der nächste Gesamtweltcupsieg in Serie, oder?
Hirscher: Natürlich. Aber nicht um jeden Preis. Ich glaub nicht, dass ich ein glücklicherer Mensch bin, nur weil ich die sechste Kugel daheim hab.
Knut Okresek