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Bluttat in Gerasdorf

Mord weckt Erinnerungen an Fall Israilov

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27-Jähriger Tschetschene wurde im Jänner 2009 auf offener Straße in Wien erschossen 

Die Bluttat in Gerasdorf, wo am Samstagabend der gebürtige Tschetschene Martin B. erschossen worden ist, weckt Erinnerungen an den Fall Israilov. Der aus seiner tschetschenischen Heimat geflüchtete Asylwerber Umar Israilov war am 13. Jänner 2009 auf offener Straße in Wien-Floridsdorf erschossen worden.
 
Die damaligen Täter stammten - wie der Verdächtige im aktuellen Fall - ebenfalls aus Tschetschenien. Beide Opfer waren zudem öffentlich gegen den tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow aufgetreten.
 
Dieser dürfte die Ermordung Israilovs in Auftrag gegeben haben - zu diesem Schluss kam jedenfalls die Staatsanwaltschaft Wien am Ende ihrer Ermittlungen. Der 27-Jährige hatte gegen Kadyrow ein Verfahren wegen Folter-Vorwürfen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) betrieben und sollte daraufhin nach Tschetschenien verschleppt werden. Als die Entführung scheiterte - Israilov wehrte sich heftig, als er von mehreren Männern nach einem Einkauf in einem Supermarkt überwältigt werden sollte -, "war das sein Todesurteil", wie die Wiener Anklagebehörde später feststellte.
 

Verurteilungen

Drei tschetschenisch stämmige Männer - darunter ein enger Vertrauter Kadyrows - konnten nach umfangreichen Ermittlungen ausgeforscht und wegen ihrer Verwicklung in den Mordfall festgenommen werde. Sie wurden von einem Wiener Schwurgericht wegen Beteiligung am Mord, versuchter Überlieferung an eine ausländische Macht und Bildung einer kriminellen Vereinigung zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Der Mann, der zumindest mit Kadyrows Billigung das Verbrechen geplant hatte, erhielt lebenslang. Dem eigentlichen Schützen, der Israilov auf dem Gewissen hatte, war nach der Bluttat die Flucht nach Tschetschenien gelungen, wo er von Kadyrow angeblich zum Chef einer Milizeinheit befördert worden sein soll.
 
Mitschuldig an Israilovs Ableben hatte sich aber auch die Republik Österreich gemacht - zu diesem Schluss kam jedenfalls das Wiener Landesverwaltungsgericht im Juni 2015. In einem Urteil wurde festgestellt, dass das Innenministerium, das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) und das Wiener Landesamt für Verfassungsschutz (LVT) es unterlassen hätten, den Mann ausreichend zu schützen, obwohl es - offenbar eine weitere Parallele zum aktuellen Fall - Hinweise auf eine konkrete Bedrohung gab. Damit sei das in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verankerte Recht auf Leben verletzt worden.
 
Das Landesverwaltungsgericht bescheinigte den Polizeibehörden wörtlich "Gleichgültigkeit" und "Naivität". Hinweisen, dass Israilov eine mögliche Zielscheibe des tschetschenischen Regimes war, habe man "nicht ernst genug genommen". Das Bedrohungsszenario für Israilov sei "unterschätzt" und "heruntergespielt" worden, bemängelte das Landesverwaltungsgericht. Dem Flüchtling sei der "notwendige und auch im zumutbaren Rahmen verfügbare aktive Schutz des Lebens" versagt worden, indem auf ein im Sommer 2008 beim BVT eingebrachtes Ersuchen um Personenschutz erst reagiert wurde, als Israilov bereits tot war.
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