Der Prozess gegen eine 38-Jährige, die ihre Tochter 2004 ertränkte, muss wegen "wegen Irrtums der Geschworenen" wiederholt werden.
Die Frau hatte am 11. Oktober 2004 in Saalfelden im Pinzgau ihre fünfjährige Tochter in einer Badewanne ertränkt. Dafür wurde Brigitte S. am 28. März 2006 wegen Totschlags zu sieben Jahre Haft verurteilt. Weil der Oberste Gerichtshof das Urteil aufhob, musste sich die Pinzgauerin nun erneut vor einem Schwurgericht wegen Mordes verantworten. Die Berufsrichter mussten den Prozess aussetzen - wegen "Irrtums der Geschworenen". Der Akt geht an den Obersten Gerichtshof, der ein neues Schwurgericht festsetzen muss.
Keine Anklage wegen Totschlag
Im zweiten Prozess wurde heute die
Eventualfrage nach Totschlag nicht mehr gestellt. "Hätte das Gericht diese
Frage zugelassen, hätte das Urteil vielleicht anders ausgesehen", sagte
Verteidiger Peter Lechenauer. Er stellte nach der Urteilsverkündung einen
Enthaftungsantrag, den das Gericht ablehnte.
Mutter hat nicht mehr denken können
In schwarzem Hosenanzug
und das Gesicht mit einem schwarzen Tuch umhüllt betrat die Angeklagte den
Schwurgerichtssaal. Auf die Frage des Richters, ob sie sich schuldig
bekenne, brach sie in Tränen aus. "Ich habe meiner geliebten
Tochter das Leben genommen." Umbringen hätte sie Sarah aber nicht
wollen, erklärte Brigitte S. später. "Ich sah keinen Ausweg
mehr. Es ist einfach passiert, wie wenn man ausrastet. Ich habe zu dem
Zeitpunkt nicht mehr denken können."
Vater missbrauchte Tochter sexuell
Zeitweise völlig emotionslos
und in monotonen Sätzen schilderte die gebürtige, bisher unbescholtene
Pinzgauerin den acht Geschworenen, wie es aus ihrer Sicht zu der tragischen
Tat kommen konnte. Zwei Jahre davor sei für sie die Welt zusammengebrochen,
als ihr Sarah erzählt habe, der Papa würde sie sexuell missbrauchen. "Ich
bekam einen Schock. Mein Mann und ich haben eine sehr glückliche Beziehung
geführt. Wir wohnten in München und haben geheiratet, als ich schwanger
wurde. Dennoch waren die Erzählungen meiner Tochter glaubwürdig. Sie hat
auch sonst nie etwas erfunden."
Rosenkrieg ab 2002
Mit der heilen Familienwelt war es also im
Herbst 2002 vorbei. Brigitte S. zog mit ihrer Tochter zu Verwandten nach
Saalfelden. Dort ging Sarah in den Kindergarten und "blühte wieder auf".
S. brachte eine Anzeige bei der Kripo München ein, die allerdings
niedergelegt wurde. Die Betriebsassistentin schaltete den deutschen
Kinderschutzbund ein, später Psychologen und das Gericht in Österreich, um
einen "begleitenden Umgang" zu erreichen. Damit sei gemeint, dass
der Vater sein Kind nur unter Aufsicht einer dritten Person treffen dürfe - "um
einen weiteren sexuellen Missbrauch zu vermeiden", erklärte die
Angeklagte.
Mord um Tochter vor Vater zu schützen
Im laufenden
Scheidungsverfahren folgte Gutachten auf Gutachten. Doch die Gutachten seien
nicht eindeutig gewesen, und der Anwalt ihres Mannes habe "alles
niedergemacht". Als sie am Abend vor der Tat den Brief ihres
Rechtsvertreters gelesen hatte, wonach ihr Mann sie als "psychisch krank"
bezeichnete und meinte, die von ihr bestellte Kindertherapeutin sei nicht
neutral, "schwand meine letzte Hoffnung. Ich hatte Angst, dass er das
Sorgerecht kriegt und Sarah wieder missbraucht. Da habe ich gemerkt, dass
ich keine Nerven mehr habe, wollte nicht mehr leben."
Tochter in Fußwanne ertränkt
Völlig verzweifelt sei
sie dann den Flur entlang gegangen, und als sie das Kinderzimmer sah, nahm
sie die Springschnur, legte sie um den Hals der schlafenden Tochter, konnte
aber nicht zuziehen. "Sarah wurde wach. Ich ging mit ihr ins Bad, dort
hatte ich mir zuvor ein Fußbad wegen meiner Kreislaufprobleme eingelassen.
Ich setzte sie in die Wanne und tauchte den Kopf unter. Sie hat keine
Gegenwehr geleistet. Es ist ganz leicht gegangen." Nach gescheiterten
Selbstmordversuchen und einem kurzen Schläfchen alarmierte sie die Polizei.
Täterin in psychischer Behandlung
Die Pinzgauerin wurde zur
psychischen Behandlung in die Christian-Doppler-Klinik gebracht. Zum
Tatzeitpunkt war sie laut Gerichtspsychiater Reinhard Haller eingeschränkt
zurechnungsfähig. Ihr Anwalt Peter Lechenauer wollte heute wie beim ersten
Prozess die Öffentlichkeit ausschließen, um die Intimsphäre der Familie und
deren geheimen Lebensbereich zu schützen, blitzte aber ab. Die Themen der
Verhandlung würden bis auf weiteres nicht die persönliche Intimsphäre der
Angeklagten treffen, argumentierte Richter Reifenberger. Ein Urteil wird
gegen Abend erwartet.