Wiener Straflandesgericht

Bub angeschossen: Prozess um Mordanschlag

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Angeklagter beschuldigte Bekannten, der mittlerweile verstorben ist.

Am Wiener Straflandesgericht ist am Mittwoch der Prozess um einen Mordanschlag in Wien-Brigittenau eröffnet worden, der einem 13-jährigen Buben beinahe das Leben gekostet hätte. Das Kind geriet in die Schusslinie, als auf einen Mann das Feuer eröffnet wurde. Nun stand ein 37-Jähriger wegen versuchten Mordes in zwei Fällen vor einem Schwurgericht.

Hintergrund der Schießerei am 5. Juli 2015 dürfte eine Unterwelt-Fehde gewesen sein. Ein Serbe, der in Wien lebte, soll mit einem Landsmann wegen Geldschulden in Streit geraten sein. Weil die Forderungen nicht einbringlich waren, soll schließlich der Angeklagte nach Wien geschickt worden sein, um auf Aleksandar A. zu schießen, wie die Anklagebehörde darlegte.

Laut Staatsanwalt mietete sich der 37-Jährige in Belgrad ein Auto, fuhr über Ungarn nach Wien und legte sich in der Marchfeldstraße auf die Lauer. Als A. an dem sehr heißen Sonntagvormittag beim nahen Bäcker Frühstück holen war, fiel ihm der Mann, der trotz Hitze lange Hosen, eine Jacke und eine dunkle Schirmkappe trug, auf. Er hatte ein ungutes Gefühl, ließ das zuvor gekaufte Brot fallen und flüchtete Richtung Pasettistraße. Beim Davonlaufen pfiffen ihm schon die Kugeln aus einer Pistole des Typs Browning um die Ohren.

Laut schreiend und Zickzack-laufend bog Aleksandar A. in die Pasettistraße, als ihm der 13-Jährige und dessen Vater auf Fahrrädern entgegenkamen. Sie wollten einen Badeausflug zur Donauinsel unternehmen. Zwei Schüsse verfehlten den Flüchtenden, einer traf A. im Becken und ein Schuss drang in den Bauch des Burschen auf dem Rad ein. Der 13-Jährige sackte in der Sekunde mit einer lebensgefährlichen Verletzung zusammen.

Täter mit auffälligen Sportschuhen

Auf den Bildern aus den Überwachungskameras am Tatort ist zwar nicht das Gesicht des Täters zu sehen, jedoch seine Kleidung und auffällige Turnschuhe in Schwarz-Weiß. Als der 37-Jährige nach der Tat mit dem Auto wieder über die Grenze Richtung Serbien fuhr, wurde er von Grenzbeamten aufgehalten und kontrolliert. Diese Überprüfung wurde ebenfalls von Überwachungskameras gefilmt. Auf den Aufnahmen ist Slobodan C. mit den auffälligen Sportschuhen zu erkennen.

Wiedererkannt wurde C. auch von seinem Opfer. Aleksandar A. kannte den 37-Jährigen seit seiner Kindheit in Serbien. Der Beschuldigte wurde schließlich am 8. Dezember 2015 festgenommen.

Der Angeklagte wollte mit dem Mordanschlag nichts zu tun haben. Vielmehr beschuldigte er einen Bekannten der Tat. Dieser Freund habe sein gemietetes Auto dafür verwendet, um von A. 3.000 Euro zu kassieren. Als dieser Bekannte - er wurde später als 35-jähriger Serbe identifiziert - mit dem Fahrzeug zurückkam, habe er davon gesprochen, dass es "Probleme" bei der Geldübergabe gegeben habe. Auf dem Beifahrersitz sei plötzlich eine Waffe gelegen, die der 37-Jährige hätte verschwinden lassen sollen. Das habe er auch gemacht, meinte C. zum Vorsitzenden des Schwurgerichts, Andreas Böhm.

"Ich war total verwirrt, habe die Pistole in die Hand genommen und gesehen, dass sie echt ist", meinte der Beschuldigte. "Ich habe mich gefragt, was da los war." Der 37-Jährige hat nicht die Polizei gerufen, sondern sei mit Auto und Waffe geflüchtet. Die Pistole habe er aber nach 15 Sekunden aus dem Wagen geschmissen.

"Wenn ein Krimineller mit meinem Auto wegfährt und das für ein Verbrechen verwendet, dann versuche ich doch herauszufinden, was passiert ist. Das ist doch völlig unglaubwürdig", sagte Richter Böhm. "Es ist alles so schnell gegangen. Ich habe mich naiv verhalten", meinte der Angeklagte. Befragt werden kann der Bekannte nicht mehr. Er wurde am 29. September in Belgrad ermordet.

"Zur falschen Zeit am falschen Ort"

Die Verletzungen beider Opfer hätten tödlich ausgehen können, wie die Sachverständigen, Gerichtsmedizinerin Elisabeth Friedrich und Schussexperte Ingo Wieser, darlegten. Der 13-Jährige erlitt einen Abdomen-Steckschuss, der die untere Leberlappe durchschoss. Nur die rasche medizinische Versorgung rettete sein Leben.

"Ich habe sieben Tage auf der Intensivstation und dann drei Tage auf der Normalstation verbracht", berichtete der Bursche im Zeugenstand. Als er auf dem Fahrrad hinter seinem Vater fuhr, fielen ihm die Männer auf, die "rasend schnell um die Ecke gerannt sind", erzählte er. "Dann waren Schüsse zu hören und ich hab' ein Stechen im Bauch gefühlt. Ich bin vom Rad gestiegen und gleich zusammengesackt", sagte der 13-Jährige.

Er hatte längere Zeit Schmerzen im Bauchbereich gehabt, das Gehen bereitete ihm Schwierigkeiten. Auf die Frage von Richter Andreas Böhm, ob er auch psychisch an den Geschehnissen zu leiden hat, verneinte der Bursche. "Es ist ja nichts Persönliches gewesen. Ich war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort", meinte er selbstsicher und schloss sich dem Verfahren mit einem Schmerzengeld von 4.000 Euro an.

"Auf ein Fahrrad ist er seither nicht mehr gestiegen", meinte hingegen sein Vater. Er habe noch versucht, seinen Sohn vor den Schüssen zu warnen. Doch als er sich umdrehte, um nach ihm zu sehen, bemerkte er, dass der 13-Jährige bereits zusammengebrochen war.

Zweites Opfer mit Erinnerungslücken

Am Mittwochnachmittag ist das zweite Opfer intensiv befragt worden. Der Serbe konnte in mehreren Befragungen nicht immer den Täter eindeutig identifizieren. Zunächst erkannte er den 37-Jährigen nicht, dann kam er ihm bekannt vor, danach lag die Wiedererkennung bei 70 Prozent.

"Wenn er verurteilt wird, dann sitzt er Jahre oder Jahrzehnte im Gefängnis, da müssen Sie sich schon solche Fragen gefallen lassen", meinte der beisitzende Richter Norbert Gerstberger. "Sind Sie sich sicher, dass er der Täter ist?", fragte Gerstberger erneut nach. "Ich bin davon überzeugt", meinte Aleksandar A. Er kenne den 37-Jährigen bereits seit einigen Jahren über gemeinsame Bekannte.

Der beschuldigte Slobodan C. sei mit einem Serben befreundet, für den er eine Unterkunft in Wien hätte besorgen sollen. Da A. wusste, dass die beiden mit Drogen zu tun hätten, habe er sich geweigert, eine Wohnung anzumieten. Daraufhin seien der Bruder und die Mutter von A. in Serbien bedroht worden.

Der Verteidiger des Beschuldigten, Michael Schnarch, zeichnete ein ganz anderes Bild des Opfers Aleksandar A. Er habe sieben Aliasnamen und zahlreiche Vorstrafen. Dazu legte der Anwalt einen gefälschten Pass des angeblichen eigentlichen Täters vor, der dem Rechtsbeistand übermittelt worden und der im Herbst 2015 in Belgrad ermordet worden ist. Aleksandar A. sei "mehr involviert, als er sagt", meinte Schnarch.

Der Prozess wird am Donnerstag mit weiteren Zeugen fortgesetzt. Da soll auch ein Urteil ergehen.

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