2. Teil

"Ich habe heimlich geweint"

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Im 2. Teil des ÖSTERREICH-Interviews spricht Natascha über ihre Kindheit, die Gefangenschaft und über das unautorisierte Skandalbuch.

Natascha Kampusch, die in zwei Monaten ihren 19. Geburtstag feiern wird, erzählt über ihre Kindheit und darüber, wie sie die Trennung ihrer Eltern empfand. Das unautorisierte Skandal-Buch über ihre Gefangenschaft bezeichnet sie wörtlich als "Schmarren" - den sie im Übrigen gar nicht lesen möchte.

Immer wieder kommt das Thema auch auf die Jahre in der Gefangenschaft: Hier schildert sie in berührender Weise, wie sie gewisse Situationen empfand. Und wie sie mit ihrer Trauer umging.

"Er wollte mit aller Macht der Stärkere sein"

ÖSTERREICH: Frau Kampusch, haben Sie die in England erschienene Skandal-Biografie über Ihr Leben im Verlies schon gelesen?
Natascha: Nein. Ich habe mir Passagen durchgeben lassen, von Leuten, die sich überwinden konnten, so einen Schmarren zu lesen.

ÖSTERREICH: In dem Buch wird unter anderem behauptet, Sie hätten bereits vor Ihrer Entführung eine zutiefst unglückliche Kindheit gehabt, waren viel allein. Möchten Sie dazu etwas sagen?
Natascha: Ich erzähle Ihnen, wie meine Kindheit war: Als ich klein war, wurde ich von vielen Menschen sehr geliebt, auch von meinen Eltern. Ich hatte sehr viel Geborgenheit und Liebe. Auch meine Oma hat sich sehr um mich gekümmert, alle sind supertoll mit mir umgegangen. Ich habe auch gerne Zeit mit meiner - inzwischen leider verstorbenen - Oma verbracht. Ich bin sehr traurig, dass ich mich von ihr und vom Vater meiner Mutter nicht mehr verabschieden konnte.

ÖSTERREICH : Das heißt, Sie waren damals nicht unglücklich?
Natascha: Das habe ich so nicht gesagt. Ich wollte Ihnen das jetzt schildern: Später gab es gewisse Probleme. Ich bin in einen Kindergarten gekommen, meine Mutter wollte selbstständig sein, sie wollte nicht von jemanden abhängig sein. Meine Eltern haben sich dann getrennt. Das war eine schwierige Zeit für mich, aber es hat mir nie an etwas gemangelt.

ÖSTERREICH: Gab es viel Streit in der Familie?
Natascha: Meine Eltern waren so vernünftig, dass sie nicht vor mir gestritten haben. Sie waren immer sehr bemüht, ihre Konflikte nicht auf mich zu übertragen.

ÖSTERREICH: In einer anderen Passage des Buches wird darüber spekuliert, dass Ihr Entführer Sie los werden wollte und Ihnen die Flucht leicht gemacht hätte
Natascha: Los werden hätte er mich auch anders können, er hätte mich ja umbringen können. Und wieso sollte er sich dann nach meiner Flucht vor die Gleise werfen?

ÖSTERREICH: Laut dem Buch hat Ihnen Herr Priklopil zu Ihrem 18. Geburtstag ein Festmahl bereitet. Wie sehen Sie das?
Natascha: Von Festessen konnte keine Rede sein. Ich bekam zu meinem 18. Geburtstag von ihm zwar eine Torte, aber im Großen und Ganzen wurde ich an meinem 18. Geburtstag geprügelt und ich musste genauso kochen und putzen wie sonst auch immer. Generell herrschte eine ziemlich miese Stimmung.

ÖSTERREICH: Haben Sie Herrn Priklopil je gefragt, warum er gerade Sie entführt hat?
Natascha: Ja, mehrmals. ich habe ihm oft gesagt, er hätte es ohne mich so schön haben können, er müsste nicht jeden Tag zu mir runterkommen, er könnte überall hin auf Urlaub fahren, alles machen.

ÖSTERREICH: Was hat er Ihnen darauf geantwortet?
Natascha: Er hat mir unterschiedlichste Antworten gegeben.

ÖSTERREICH: War er, aus Ihrer Sicht, intelligent?
Natascha: Er war teilweise schon intelligent, aber nach und nach sind seine Fehler immer mehr zum Vorschein gekommen. Es war, wie wenn man ein Kontrastmittel über ihn geleert hätte. Er hat mit aller Macht versucht, richtig verkrampft versucht, zu zeigen, wer hier der Stärkere und der Gescheitere ist. Und er hat meine Fähigkeiten, und alles, was ich konnte, permanent herunter gespielt und in Frage gestellt.

ÖSTERREICH: Er hat versucht, Sie klein zu halten?
Natascha: Genau. So auf die Tour, ich kann ja eh nichts und bin strohblöd und solche Sachen.

ÖSTERREICH: Haben Sie in Gefangenschaft viel geweint?
Natascha: Ja, obwohl er das nicht so gerne hatte. Ich habe am Anfang einfach heimlich geweint. Mit der Zeit konnte ich dann nicht mehr weinen. Es ist mir erst jetzt wieder, vor ein paar Wochen, gelungen, zu weinen. Weinen reinigt die Seele. Das ist, wie Wäsche waschen. Und es ist entspannend. Ich habe das am Anfang der Gefangenschaft sehr stark gemacht: Zur Entspannung geweint, damit mir nicht so ein großer Druck auf der Seele liegt.

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