Antisemitismus

JMW-Direktorin: "Es hätte ein Frühwarnsystem für Hass gebraucht!"

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Barbara Staudinger sieht in der Welle des Antisemitismus "auch ein gesellschaftliches Versagen": "Man hätte nicht viel zu lange wegschauen dürfen." - Fordert Dialog statt "Opfer-Aufrechnen"

Für die Direktorin des Jüdischen Museums Wien, Barbara Staudinger, kommt angesichts der aktuellen Entwicklungen, der Arbeit von Institutionen wie der ihren verstärkte Bedeutung zu. "Die jetzige Welle des Antisemitismus und des Hasses ist erschreckend. Sie zeigt aber auch, wie wichtig unsere Arbeit ist, wichtiger denn je. Wir müssen noch viel mehr Aufklärungsarbeit leisten", sagt sie im Telefonat mit der APA.

Die Nachricht von dem Brandanschlag und den Beschmierungen im jüdischen Teil des Wiener Zentralfriedhofes hat Staudinger in New York City erreicht, von wo sie erst am Donnerstag den Heimflug antritt. "Beim Lichtermeer am Heldenplatz werde ich daher leider nicht dabei sein können, aber viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Museums werden dort sein. Es ist wichtig, nicht nur dagegen zu sein, aber zu Hause zu bleiben. Das Nichtstun muss aufhören!"

Aufflammender Judenhass

Man mache es sich zu leicht, für den jetzt aufflammenden Judenhass hierzulande alleine Migranten aus arabischen Ländern verantwortlich zu machen. "Es steckt auch ein gesellschaftliches Versagen dahinter. Man hätte viel mehr Arbeit in die Integration stecken müssen. Man hätte nicht viel zu lange wegschauen dürfen, es hätte vielmehr ein Frühwarnsystem für Hass gebraucht! Jetzt wird eine große gesellschaftliche Anstrengung nötig sein", so die Museumschefin.

Schon am Montag eröffnet Staudinger gemeinsam mit den Kuratoren Tom Juncker und Adina Seeger im Museum Judenplatz eine Ausstellung mit dem Titel "Frieden". "Die Ausstellung ist unter dem Eindruck des Ukraine-Kriegs entstanden, hat sich aber natürlich seit dem 7. Oktober (dem Überfall der Hamas, Anm.) verändert. Darauf mussten wir reagieren. In der jetzigen Situation ist es noch wichtiger, einen Schritt zurückzutreten und zu fragen: Was ist Frieden?"

"Unser Museum ist ein Ort des interkulturellen Dialogs, ein Ort der Toleranz. Wir werden natürlich den Nahost-Konflikt nicht im Museum lösen können, aber wir versuchen dazu beizutragen, aus dem Opfer-Aufrechnen herauszukommen", sagt Staudinger. "Wir haben eine Kriegssituation. Es gibt zivile Opfer auf allen Seiten. Es hilft niemandem, sie gegeneinander aufzurechnen. Das ist kein Dialog, sondern ein sich gegenseitiges Anschreien."

Seit ihrem Amtsantritt im Juli 2022 fordert Staudinger ein eigenes Holocaust-Museum. Die Entwicklung der vergangenen Monate zeige, wie wichtig die Etablierung eines solchen Gedenkortes sei, sagt sie: "In einer Zeit, in der vor allem mit dem Finger auf andere gezeigt wird, wäre es ganz wichtig, bei sich selbst anzufangen. Österreich braucht ein Holocaust-Museum als einen Ort, an dem man sich mit der eigenen Täterschaft auseinandersetzt und gleichzeitig der Opfer gedacht wird."

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