Bei Amokläufen an Schulen gebe es häufig "Kränkungserlebnisse" im Vorfeld, erklärte Paul Plener, der Leiter der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Med-Uni Wien, im oe24.TV-Interview.
Ein 21-jähriger Österreicher tötete am Dienstagvormittag 10 Menschen an seiner ehemaligen Schule. Wie konnte es dazu kommen, wie kann man mit seinen Kindern nun darüber sprechen und wie lässt sich sowas künftig verhindern? Dazu war Paul Plener, Leiter der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Med-Uni Wien, im oe24.TV-Interview bei Isabelle Daniel.
oe24.TV: Was geht in so einem 21-Jährigen vor sich?
Paul Plener: Das können wir letzten Endes nicht sagen. Wir haben ja keine wirklich näheren Hinweise zum jetzigen Zeitpunkt über mögliche Tatmotive. Es ist aber häufig so, dass wir zumindest bei Taten, die in den USA geschehen sind und wo es mehr Forschung gibt, häufig von Kränkungserlebnissen im Vorfeld ausgehen.
oe24.TV: In einem Abschiedsbrief ist auch von Mobbing die Rede. Kann sich sowas über so viele Jahre halten, aufbauen und dann erst entladen?
Plener: Tatsächlich wissen wir mittlerweile, dass Mobbing durchaus eigentlich wie ein Trauma verstanden werde kann, das auch nach vielen Jahren noch Spuren hinterlässt.
oe24.TV: Rund 20 Prozent der Jugendlichen fühlen sich gemobbt. Was bedeutet das?
Plener: Zunächst bedeutet das nicht, dass das alles potenzielle Amokläuferinnen oder Amokläufer sind. Und die Schulen sind ja dran an dem Thema. Viele Schulen widmen sich dem Thema, dass da auch was passiert.
oe24.TV: Nachbarn berichten, dass der Täter sehr in sich gekehrt gewesen sein soll. Ist das etwas, das Sie überrascht?
Plener: Nicht wirklich. Das sind Schilderungen, die man auch häufig aus den USA hört, dass es nicht wirklich eine deutliche psychische Erkrankung im Vorfeld gab.
oe24.TV: Wir sprechen ja von einem Amoklauf, weil es keinen konkreten Begriff dafür gibt in Österreich, aber eigentlich war es kein klassischer Amoklauf, oder?
Plener: Genau. In der Fachwelt würde man eigentlich über School Shootings sprechen. Der Amoklauf, wie er ursprünglich definiert ist, ist jemand, der in einem sehr hohen emotional aufgeladenen Zustand plötzlich in die Aggression geht, während diese School Shootings meistens einen Vorlauf haben, eine Planung haben.
oe24.TV: Der Täter hatte ja auch eine Waffenbesitzkarte. Ist der psychologische Test, den man dafür braucht, ausreichend?
Plener: Man muss, denke ich, wegkommen von der Illusion, dass es Sicherheit geben kann. Die Tests sind schon mal eine gute Methode, um ein paar Menschen, die tatsächlich Schwierigkeiten hätten im Umgang mit Waffen, auszusortieren. Es kann nie hundertprozentige Sicherheit geben und es wäre illusorisch, so etwas anzunehmen.
oe24.TV: Gibt es Möglichkeiten, dass man rechtzeitig ein Alarmsystem hat, wenn jemand gemobbt wird und sich Kränkungen ansammeln?
Plener: Es gibt Mobbing-Präventionsangebote, die auch tatsächlich funktionieren. Es geht dabei oft darum, zu sagen, wir als Schule haben eine klare Haltung. Es geht vor allem darum, die sogenannten Bystander, also die, die still am Rand stehen und zuschauen, zu aktivieren und in eine Position zu bringen, wo sie sagen: Das, was du gerade machst, das ist nicht in Ordnung.
oe24.TV: Wie sollte man oder wie kann man den Betroffenen und deren Familien helfen?
Plener: Normalerweise haben wir Schutzmechanismen, die biologisch gesehen sinnvoll sind. Diese Symptome, die dürfen bestehen für einige Tage, auch für einige Wochen. Dass wir sagen, wir schlafen schlecht, wir können uns nicht so gut konzentrieren. Und dann muss man sich anschauen, wie entwickelt sich das im Verlauf. Dann gibt es Menschen, die haben noch nach drei Monaten bis zu einem halben Jahr später diese Symptome, die sie wirklich stark leiden lassen. Dann ist es Zeit, eine Traumatherapie zu machen.
oe24.TV: Und für jetzt akut?
Plener: Für jetzt akut gilt: Wenn ich darüber sprechen mag, ist es gut, den Leuten eine Möglichkeit zu geben, darüber zu sprechen. Wenn sie das nicht schaffen, soll man sie nicht drängen. Aber gut ist es erst einmal, für die, die nicht sprechen wollen, auch zu schreiben. Wir wissen, das hilft. Es muss nicht die konkrete Tat sein.