"Gerade in Zeiten der Pandemie will kein Mensch Neuwahlen."
ÖSTERREICH: Haben Sie Sebastian Kurz zum Rücktritt geraten?
Johanna Mikl-Leitner: Nein, das war seine höchstpersönliche Entscheidung. Aber es bleibt eine BiIanz, die sich sehen lassen kann: tief greifende Reformen, Zusammenlegung der Krankenkassen, zwei Steuerreformen – oder sein beeindruckendes Agieren auf dem internationalen Parkett. Dafür kann man nach 10 Jahre wirklich Danke sagen. Es war aber für jeden klar, dass die Situation – so wie sie war – nicht dauerhaft sein konnte. Das hat er selbst gespürt und auch den richtigen Schritt gemacht. Es war eine richtige Entscheidung, um in der ÖVP wieder geordnete Verhältnisse herzustellen. Auch dafür gebührt ihm Respekt.
ÖSTERREICH: Kurz war ein sehr starker Obmann – ist jetzt wieder die Macht der Landeshauptleute zurück, die entscheiden, wer unter ihnen Bundesparteiobmann und Kanzler ist?
Mikl-Leitner: Nein, jeder wusste, dass diese Konstellation – Teilung der Funktionen Parteiobmann und Kanzler – keine Dauerlösung war.
ÖSTERREICH: Und wie schwer war es, sich auf Karl Nehammer zu einigen?
Mikl-Leitner: Wenn man eine Neuaufstellung vornimmt, so einen großen Schritt, ist völlig klar, dass in der Volkspartei mit neun Ländern offene Gespräche geführt werden. Wer kann das Amt ausüben? Da sind wir aber sehr schnell auf Karl Nehammer gekommen. Für uns war rasch klar: Er hat die Kompetenz und die Kraft, für stabile Verhältnisse zu sorgen.
ÖSTERREICH: Das VP-Team ist nach Ländern austariert. Ist das noch Team Nehammer – oder doch Ihres?
Mikl-Leitner: Das ist das Team, das er sich ausgesucht hat. Das ÖVP-Team Karl Nehammer. Es ist aber das Normalste der Welt, dass man darüber redet, wer die besten Köpfe sind. Aus welchem Land die Ministerinnen und Minister stammen, spielt keine Rolle.
ÖSTERREICH: Jetzt hat aber NÖ an Gewicht zugelegt, Nehammer wurde in der nö. VP groß. Mit Klaudia Tanner, Gerhard Karner besetzen Sie drei Ressorts.
Mikl-Leitner: Ich werde mich jetzt nicht dafür entschuldigen, dass Niederösterreich junge politische Talente fördert, die erfolgreiche Karrieren machen. Aber wie gesagt: Es kommt nicht darauf an, woher wer kommt. Sondern was sie oder er kann.
ÖSTERREICH: Wie kann der neue Kanzler Erfolg haben?
Mikl-Leitner: Er hat die besten Voraussetzungen: Verantwortungsbewusstsein, den Willen zum Gestalten. Und die Erfahrung, dass man nur erfolgreich sein kann, wenn es Geschlossenheit gibt. Und diese Geschlossenheit erwarte ich mir von der gesamten Regierung, also auch vom Koalitionspartner.
ÖSTERREICH: Also sind Sie gegen Neuwahlen?
Mikl-Leitner: Selbstverständlich soll die Regierung bis zum Ende der Funktionsperiode halten, das erwarten sich die Menschen doch. Gerade in Zeiten der Pandemie braucht kein Mensch Neuwahlen. Jetzt muss mit aller Kraft gegen die Pandemie gekämpft werden.
ÖSTERREICH: Sie mahnen zur Geschlossenheit – Ministerin Gewessler hat den Lobautunnel gestoppt. Gefährdet das die Koalition?
Mikl-Leitner: Da wird grüne Parteitaktik über das Wohl der Menschen einer ganzen Region gestellt. Ich erwarte, dass sie sich einmal selbst ein Bild vor Ort macht. Dort herrscht jetzt Verzweiflung und Wut. Es braucht endlich eine Lösung.