ÖSTERREICH-Interview

Natascha Kampusch: "Ich will einfach glücklich sein"

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Die Zukunft: Wie Natascha Kampusch langsam ins Leben zurückfindet - und sich eine Zukunft als engagierte Frau aufbauen möchte.

Kinder möchte sie. Gleich mehrere. Großfamilien findet Natascha Kampusch praktisch, weil sich da alle „gegenseitig helfen können“.

Und einen Beruf möchte sie auch. Die Lebensvision von jener fast schon 19-jährigen jungen Frau, die achteinhalb Jahre in einem Verlies gefangen war und all das versäumte, was „normal“ aufwachsende Mädchen an weiblichem Vorbildverhalten automatisch mitbekommen, ist die einer berufstätigen Mutter.

„Eine Mutter muss nicht den ganzen Tag an den Kindern picken“, sagt Natascha, und dass ihre Großmutter und Mutter sie früher, als sie klein war, auch oft bei der Arbeit mit dabei hatten. Und, nein, das hätte ihr nicht geschadet, im Gegenteil: „Viele Leute sagen ja eine Mutter gehört an den Herd und zu den Kindern. Ich sehe das nicht so.“

Sie träumt von einem Haus, in dem sie - mit einer, nein besser: mit ihrer eigenen Familie, viel Platz hat. Und von einer Zukunft, die auch öffentlich sein darf: Beim Radio oder Fernsehen. Oder als Journalistin...


ÖSTERREICH: Frau Kampusch, wenn ich Sie jetzt spontan frage, was Sie seit Ihrer Flucht in Freiheit am meisten genießen was ist das?
NATASCHA:
Dass ich mir die Lebensmittel leisten kann, die ich gerne mag. Dass ich keine Familienpackungen von irgendetwas Ungesundem, Junk-Food, bei einem Diskonter kaufen muss.

ÖSTERREICH: Sie haben eine Abneigung gegen ungesundes Essen? Oder gegen große Portionen?
Natascha:
Es ist keine Abneigung. Aber es ist so, dass ich vieles einfach nicht vertrage. Ich vertrage verschiedene Lebensmittel nicht. Ich vertrage Straßenlärm nicht so gut, ich vertrage Menschen nicht, die zu stark parfümiert sind oder die zu laut sind. Mir geht es oft ganz schlecht, wenn ich auf die Straße muss, der Lärm, die üblen Gerüche, die aus den Kanälen kommen, die Abgase und natürlich die Nähe, zum Beispiel in öffentlichen Verkehrsmitteln, zu wildfremden Menschen. Das ist alles noch überfordernd.

ÖSTERREICH: Und wie bewältigen Sie diese Situationen derzeit?
Natascha:
Es kostet mich halt Vieles irrsinnig viel Kraft. Manche Leute meinen zwar, dass ich mich an das alles schon gewöhnen werde. Ich meine aber: Auf was hinauf soll ich mich daran gewöhnen? Wenn man etwas nicht mag, heißt das doch nicht, dass man es immer in Kauf nehmen muss. Wenn man zum Beispiel einen großen Fleck auf einer weißen Bluse hat, heißt das doch auch nicht, dass man ihn akzeptieren muss, nur, weil er da ist.

ÖSTERREICH: Was haben Sie dann also vor, um sich trotzdem im lauten, stinkenden Alltag zurechtzufinden?
Natascha:
Ich werde einfach versuchen, mich zu arrangieren. Aber ich werde nicht alles akzeptieren und hinnehmen und ich werde nicht resignieren.

ÖSTERREICH: Konkret auf ihre Ausbildung und berufliche Zukunft bezogen: Was haben Sie vor? Und haben Sie überhaupt schon Pläne?
Natascha:
Ja. Zunächst einmal werde ich alles nachholen, was ich versäumt habe. Die schulischen Belange, aber auch alle anderen. Aber ich werde nicht fünfzig verschiedene Sachen auf einmal anfangen, denn ich mag keine halben Sachen. Es ist mir irrsinnig wichtig weiterzukommen, auch was Fremdsprachen betrifft.

ÖSTERREICH: Welche wollen Sie lernen?
Natascha:
Auf jeden Fall Englisch und Spanisch, vielleicht Französisch. Ungarisch interessiert mich, und auch die nordischen Sprachen.

ÖSTERREICH: In welchem Land würden Sie später einmal am liebsten leben?
Natascha:
Ein Land mit einem angenehmen Klima sollte es sein. Aber eigentlich ist meine Wunschvorstellung, dass ich in Österreich bleibe.

ÖSTERREICH: Wo und wie sehen Sie sich da? In einem Haus? Mit einer eigenen Familie? Viele Kinder und ein Hund?
Natascha
(lacht): Ja, bei mir sind es mindestens zehn Kinder, und dafür kein Hund. Und ein Haus, in dem ich viel Platz habe. Aber dazu möchte ich eigentlich nichts sagen, sonst kommt noch jemand darauf zu sagen: Ich biete dir ein Haus und sieben Kinder an (lacht wieder).

ÖSTERREICH: Fänden Sie das praktisch, wenn die sieben Kinder schon im Hausstand inkludiert wären?
Natascha:
Nein, nein, die Kinder sollen langsam wachsen (lacht wieder). Sonst hat man ja selbst keinen Platz mehr, wenn man in ein Haus mit sieben großen Kindern zieht.

ÖSTERREICH: Könnten Sie sich vorstellen, Kinder zu haben und zusätzlich einen Beruf, der ihnen Freude macht? Können Sie sich vorstellen, eine typische berufstätige Mutter zu sein?
Natascha:
Natürlich, wenn man sich das alles gut einteilt, dann geht das schon. Generell sehe ich es so, dass es immer auf die sozialen, familiären und finanziellen Zwänge ankommt, bei einer Frau. Und darauf, was ihre eigene Erwartungshaltung ist. Ich kann mir durchaus vorstellen zu arbeiten, wenn ich die Kinder bei mir hätte. Als ich klein war, war ich sehr viel mit meiner Großmutter und meiner Mutter zusammen bei der Arbeit. Und mein Vater hat mich auch oft mitgenommen.

ÖSTERREICH: Und das hat Ihnen Spaß gemacht?
Natascha:
Ja! Geschadet hat es mir nicht, im Gegenteil, ich habe viele soziale Erfahrungen machen können. Viele Leute sagen ja, eine Mutter gehört an den Herd und zu den Kindern. Ich sehe das nicht so ausschließlich.

ÖSTERREICH: Eine Vision von Ihnen ist also, eine Großfamilie zu haben und berufstätig zu sein?
Natascha:
Ja, ich möchte das verknüpfen. Eine Mutter muss nicht den ganzen Tag an den Kindern picken. Und eine Großfamilie ist natürlich praktisch. Da können sich alle gegenseitig helfen.

ÖSTERREICH: Wir haben schon darüber gesprochen, dass Sie gerne und viel schreiben. Können Sie sich eine schreibende Zukunft vorstellen, als Journalistin?
Natascha:
Ja, auf alle Fälle. Ich bin mir aber über meinen Schreibstil noch nicht sicher. Und mit meiner Schrift bin ich derzeit auch nicht ganz zufrieden.

ÖSTERREICH: Warum?
Natascha:
Ich habe unterschiedliche Schriftbilder. Schon meine Volksschul-Lehrerin meinte, dass sie meine Schrift oft nicht erkennt, weil ich so unterschiedlich schreibe. Ich überlege jetzt gerade, welche Schrift zu mir passt, da bin ich mir noch nicht schlüssig.

ÖSTERREICH: Würden Sie später gerne andere Menschen interviewen so wie ich jetzt gerade Sie?
Natascha:
Ja, das würde mich interessieren. Ich könnte mir auch gut vorstellen, dass ich einmal im Radio oder beim Fernsehen arbeite. Aber derzeit kann ich mir viel vorstellen, sogar, dass ich die Stimme in den Straßenbahnen bin, die immer sagt: „Jetzt umsteigen zur Linie so und so.“

ÖSTERREICH: Bis auf die Straßenbahn-Stimme wären das alles Berufe, mit denen Sie in der Öffentlichkeit stehen würden. Stört Sie das nicht?
Natascha:
Was ist öffentlicher als die öffentlichen Verkehrsmittel? (lacht). Nein, im Ernst, die Öffentlichkeit muss man halt ausblenden. Beziehungsweise, man muss damit leben.

ÖSTERREICH: Sie haben einmal gesagt, dass Sie nicht gerne in der Öffentlichkeit stehen.
NATASCHA:
Naja, ich kann ja sowieso nicht mehr aus meiner Haut heraus. Zu einem gewissen Teil bin ich ohnehin schon öffentlich. Ich könnte zwar meinen Namen ändern, und nach Timbuktu oder so ziehen, aber eigentlich möchte ich lieber zu mir selbst stehen. Ich will mich nicht vermummen. Warum soll ich dafür büßen, dass irgendjemand mich entführt hat? Ich sehe eigentlich nicht ein, dass ich deswegen vor der Öffentlichkeit flüchten soll! Außerdem hätte das keinen Sinn, ich will ja auch den Kontakt mit meiner Familie haben und könnte nie gänzlich untertauchen.

ÖSTERREICH: Das heißt, Sie wollen das, was Ihnen passiert ist, annehmen. Sie sagen, o.k., es war so, und jetzt gehe ich damit hinaus?
Natascha:
Ich sage nicht, ich gehe damit hinaus. Aber ich habe nichts zu verbergen und ich lasse mir mein Leben nicht nehmen. Während meiner Jahre in Gefangenschaft habe ich mir immer wieder vorgesagt, dass ich mich nicht brechen oder sonst wie zerstören lasse, dass ich mich nicht zu jemand anderem machen lasse. Ich bleibe wie ich bin, das müssen die Leute akzeptieren.

ÖSTERREICH: Das klingt nach starkem Selbstbewusstsein. Wurde das in Ihrer Kindheit gelegt?
Natascha:
Ja, wahrscheinlich. Obwohl, in den Jahren der Gefangenschaft war das vielleicht auch ein Schutzmechanismus. Dort dachte ich nicht, dass ich ein starkes Selbstbewusstsein habe. Dort wurde alles, was ich konnte, permanent heruntergespielt.

ÖSTERREICH: Wenn Sie die Wahl hätten: Was würden Sie sich von den Menschen in Ihrem Umfeld wünschen?
Natascha:
Ich wünsche mir, dass es nicht irgendwelche Denunzianten gibt, die Gräulichkeiten über mich verbreiten. Ich wünsche mir, dass es nicht irgendwelche Leute gibt, die mich ausbeuten wollen und mir schaden. Und ich wünsche mir, dass ich ein relativ glückliches und zufriedenes Leben führen kann und es mir an nichts mangelt.

ÖSTERREICH: Wird der bevorstehende Jahreswechsel von Ihnen ganz besonders gefeiert werden?
Natascha:
Ich würde gerne einen geruhsamen Silvester verbringen. Obwohl, in der Gefangenschaft ist es mir zu Silvester abgegangen, dass ich nicht mit anderen Menschen zusammen sein konnte. Und diese kleinen Glücksbringer, die man sich gegenseitig schenkt, sind mir abgegangen. Trotzdem will ich dieses Jahr in Ruhe ausklingen lassen. Ich will einfach mit mir im Einklang sein, ein Feuerwerk sehen, ausnahmsweise einen Schluck Sekt trinken und vielleicht zu den Klängen des Wiener Walzer ein wenig mittanzen.

ÖSTERREICH: Tanzen Sie?
Natascha:
Derzeit nur, wenn ich mit mir alleine bin. Aber ich möchte die Standardtänze so gut beherrschen, dass ich später überall mittanzen kann. Ich will definitiv tanzen lernen.

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