Im Österreichs größtem Entführungsfall werden immer neue Geheimnisse bekannt. Jüngste Bombe: Natascha vertraut Priklopils Umfeld.
Der Kriminalfall Kampusch wird zum Dauerthriller mit verlässlichen Überraschungen: Zwei Jahre nach Nataschas Flucht vor ihrem Entführer meldete eine Untersuchungskommission unter Höchstrichter Ludwig Adamovic plötzlich massive Zweifel, ob „Wolfgang Priklopil wirklich ein Einzeltäter war“. Also wurden vergangenen November neue Ermittlungen angeordnet. Und plötzlich spricht die Kripo von „Kontakten Priklopils ins Porno-Milieu“.
Zweifel
Immer im Geraune dabei: Ernst H., 44, lange Jahre
Geschäftspartner und wohl auch der einzige Freund des pädophilen
Sonderlings. Ernst H. galt der letzte Anruf Priklopils, bevor der sich nach
Nataschas Flucht von einem Zug köpfen ließ. Und weil Misstrauen die Mutter
der Sicherheit ist, lassen Polizei und Presse den Chef einer Baufirma
seither nicht aus der Pflicht: Wusste Ernst H. wirklich 440 Wochen lang
nichts vom schrecklichen Geheimnis seines Kumpels? Hat er bei vielen
Besuchen in dessen Haus in Strasshof nie was von Natascha bemerkt? Und
wieso nennt ihn Priklopils Mutter Waltraud liebevoll „Ernstl“, obwohl er die
Frau nach eigenem Bekunden „kaum kennt“?
Zündstoff
Jetzt sorgen neun DIN-A-4-Seiten für neuen
Zündstoff in Österreichs größtem Entführungsfall: Der Kaufvertrag, mit dem
Natascha Kampusch das Haus ihres Peinigers – und damit ihr jahrelanges
Gefängnis – erworben hat. Zwei Drittel der Liegenschaft bekam die Käuferin
als Schadenersatz aus dem Erbe ihres Entführers, für den Rest zahlte sie
Miteigentümerin Waltraud Priklopil 100.000 Euro. Die erste Merkwürdigkeit
findet sich unter Punkt IV. Denn da ist geregelt, dass Ernst H. noch
„Werkzeuge, Geräte und gelagerte Restmaterialien“ aus dem Haus abholen kann.
Die Illustrierte Aktuelle leitet daraus einen ungeheuren Verdacht ab: „Hat
der Kampusch-Entführer das Verlies mit seinem Freund gebaut?“ Was freilich
eher die Stimmung gegen den Priklopil-Freund zeigt als eine ernsthafte
Belastung.
Bombe
Blatt 9 des Vertrages aber birgt tatsächlich eine Bombe.
Denn da zeigt eine „unbeschränkte Vollmacht“, dass sich Waltraud Priklopil
von einer Mag. Margit W. vertreten ließ – und die ist die Schwester von
Ernst H.; überdies wurde die Vollmacht schon am 2. Oktober 2006 ausgestellt.
Also sechs Wochen nach Nataschas Befreiung.
Anrüchig
Kriminalisten sagen über solche Verstrickungen:
„Das riecht“. Denn warum sollte Priklopils Mutter ihr Schicksal einer Frau
anvertrauen, deren Bruder sie „kaum kennen“ will? Die Bevollmächtigte Margit
S. erklärt’s so: „Frau Priklopil stand damals mit 65 über Nacht vor dem
Nichts. Sie hatte ihren Sohn verloren, ihr Ansehen und musste aus ihrer
Wohnung flüchten. Sie war dankbar für jede Hilfe – und ich tat’s gern?“
Und Bruder Ernst H. bleibt dabei: „Ich habe mit Priklopils Verbrechen nichts zu tun. Die ständigen Gerüchte ruinieren mich. Ich habe schon viele Kunden verloren.“ Nataschas Vater sagt dazu: „Wären seine Worte eine Brücke, würde ich nicht drübergehen.“ Aber auch er hat keine Antwort auf die Frage: Warum macht seine Tochter Geschäfte mit dem Umfeld ihres Kidnappers?