"Er ist krank"

Prozess um Eisenstangen-Attacke: "Ihr Gesicht war nicht mehr zu erkennen"

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'Das ist an Brutalität kaum zu übertreffen', sagte die Staatsanwältin in ihrem Eröffnungsplädoyer und präsentierte zwei A3-große Lichtbilder von einem Opfer, das Gesicht der Frau war nach der Attacke auch ansatzweise nicht mehr zu erkennen. 

Wien. Unter regem Publikumsinteresse ist am Wiener Straflandesgericht am Dienstag ein Prozess gegen einen Mann gestartet, der Ende Dezember 2018 zwei Frauen mit Eisenstange bzw. Maurerhammer attackiert haben soll. Dem 42-jährigen droht wegen zweifachen Mordversuchs lebenslange Haft und zudem die Unterbringung im Maßnahmenvollzug. Dass die Frauen überlebt haben, grenzt an ein Wunder.
 
Der Mann soll aus sexueller Unzufriedenheit ab Anfang Dezember bei U-Bahn-Stationen Frauen im Alter von 25 bis 40 Jahren abgepasst und ihnen nachgefahren sein. Er wollte sie ansprechen und fragen, ob sie mit ihm Sex haben wollen. Weil er sich aber stundenlang nicht traute, wurde er laut Staatsanwaltschaft immer frustrierter und attackierte schließlich am 30. und 31. Dezember zwei Wienerinnen. Angeklagt ist auch zweifacher schwerer Raub.
 
Prozess um Eisenstangen-Attacke:
© APA/HERBERT NEUBAUER
 

Gesicht des Opfers total entstellt

 
"Das ist an Brutalität kaum zu übertreffen", sagte die Staatsanwältin in ihrem Eröffnungsplädoyer und präsentierte zwei A3-große Lichtbilder von einem Opfer, das Gesicht der Frau war nach der Attacke auch ansatzweise nicht mehr zu erkennen. Die Taten "machen fassungslos". Auf die Frage nach dem Warum, meinte die Anklägerin: "Die Frauen waren schlicht zur falschen Zeit am falschen Ort." Opfer und der Täter hätten sich nicht gekannt, die Frauen "hatten keine Chance".
 
Zu den Vorwürfen bekannte sich der vierfache Familienvater vor dem Schwurgericht (Vorsitz: Ulrich Nachtlberger) schuldig. Der Angeklagte sei zuvor nie als gewalttätig in Erscheinung getreten, sagte seine Verteidigerin Astrid Wagner. "Umso überraschender und entsetzlicher ist das, was hier geschehen ist." Es gebe nicht zu beschönigen, aber: "Er ist ein Mensch und keine Bestie, er ist krank. Es besteht bei ihm eine schwere Persönlichkeitsstörung", so Wagner.
 
Am 30. Dezember postierte sich der 42-Jährige nach Mitternacht mit seinem Fahrrad in der Nähe der U-Bahn-Station Margaretengürtel, um Frauen abzupassen, die alleine unterwegs waren. Mehrmals fuhr er Frauen nach, war aber dann doch zu feig, um sie anzusprechen. Nach fünf Stunden war er derart frustriert, dass er mit einer 1,58 Kilogramm schweren Eisenstange, die er bei einer Baustelle gefunden hatte, einer 25-Jährigen folgte, die nach 5.00 Uhr von einem Lokalbesuch nach Hause unterwegs war.
 

Vor der Wohnungstür überrascht

 
Die Frau bemerkte nicht, dass sie verfolgt wurde. Kurz vor ihrer Wohnung in der Margaretenstraße drosch ihr der Täter die Stange mit voller Wucht von hinten auf den Kopf. Die 25-Jährige stürzte zu Boden und kam in Rückenlage zu liegen. Als sie sich aufzurichten versuchte, schlug ihr der Mann laut Anklage die Waffe noch zwei bis drei Mal ins Gesicht. Sie verlor das Bewusstsein.
 
Laut Staatsanwaltschaft nahm ihr der Täter ihre Brieftasche aus der Jackentasche, fuhr mit dem Rad zu einer nahen Postfiliale und versuchte Geld zu beheben. Als das nicht gelang, kehrte er an den Tatort zurück, um sich am wehrlosen Opfer zu vergehen. Als er jedoch sah, wie die Frau zugerichtet worden war, ließ er von seinem Vorhaben ab und wählte den Notruf, wobei er behauptete, er habe die Verletzte zufällig am Gehsteig gefunden.
 
Prozess um Eisenstangen-Attacke:
© APA/HERBERT NEUBAUER
 
Die 25-Jährige verbrachte in einem Spital mehr als drei Wochen im künstlichen Tiefschlaf, ehe ihr Überleben gesichert war. Ihre Schädel- und Kopfverletzungen waren laut einer gerichtsmedizinischen Expertise "unmittelbar lebensbedrohend". Wäre nicht rasche ärztliche Hilfe erfolgt, wäre die 25-Jährige nach Dafürhalten des Gerichtsmediziners Christian Reiter gestorben.
 

Zweites Opfer mit Hammer angegriffen

 
Der zweite inkriminierte Überfall ereignete sich am 31. Dezember im Resselpark. Die Betroffene - eine damals 36 Jahre alte Frau - habe ihn "deppert angeschaut", erzählte der 42-Jährige nach seiner Festnahme bei seiner polizeilichen Einvernahme. Das habe ihn geärgert, daher habe er beschlossen, "dass ich ihr eine drüber klopfe mit dem Hammer". Weshalb er einen 800 Gramm schweren Maurerhammer eingesteckt hatte, konnte er nicht sagen.
 
Die 36-Jährige erlitt einen Eindrückungsbruch des Schädels verbunden mit einem Bruchspalt absteigend in die Schädelbasis und Hirnblutungen. Dennoch gelang ihr die Flucht, wobei sie jedoch mehrfach stürzte, was der 42-Jährige eigenen Angaben zufolge mit Genuss beobachtete. "Es hat mir getaugt, dass die Frau ein paar Mal auf die Fresse gefallen ist. Das habe ich lustig gefunden. Sonst habe ich keine Gefühle dabei empfunden", gab er dazu an.
 
Für den beigezogenen Gerichtspsychiater Peter Hofmann steht fest, dass der Angeklagte im Tatzeitpunkt zwar zurechnungsfähig war, aber hochgefährlich ist. Ausschlaggebend dafür ist dem psychiatrischen Gutachten zufolge eine Persönlichkeitsstörung, die auf hirnorganische Defekte zurückzuführen ist. Im Hinblick auf die geistig-seelische Abartigkeit des Mannes hat die Anklagebehörde auf Basis von Hofmanns Feststellungen zusätzlich zur Verurteilung die Einweisung des 42-Jährigen in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher beantragt.
 

"Ich möchte wieder im Leben stehen" 

 
Das Opfer der ersten Attacke hat am Donnerstag vor Gericht unglaublichen Lebenswillen gezeigt. Trotz ihrer schweren Verletzungen, monatelangen Spitalsaufenthalten und ihrem nun völlig entstellten Gesicht wollte sie vor den Geschworenen aussagen. "Ich möchte wieder im Leben stehen", sagte die 25-Jährige.
 
Zunächst wollte sie auch ihre Zeugenaussage im Beisein des Beschuldigten machen, hat sich aber nach kurzer Überlegung doch dazu entschlossen, diese in Abwesenheit des 42-Jährigen zu tätigen. Von dem Überfall weiß die junge Frau nichts mehr. "Ich kann mich an den Abend davor erinnern. Zu dem Zeitpunkt, wo er mich getroffen hat, hab ich ein Blackout", sagte die 25-Jährige. "Ich hab' ihn nicht bemerkt, weder vor der Tat, noch währenddessen."
 
Sie leide bis heute durch den Vorfall, hat Albträume sowie Panikattacken und ist in ihrer Bewegung schwer eingeschränkt. Vor der Tat wollte sie eigentlich ausziehen, jetzt lebe sie wieder bei ihrer Mutter. "Dass ich jetzt hier so reingehen kann, verdanke ich den Ärzten und Therapeuten, die mich in all der Zeit unterstützt haben." Anfangs habe sie geglaubt, dass ihr ein Leben im Rollstuhl bevorsteht. "Ich möchte wieder selbstständig werden, selbst leben, arbeiten, in die Arbeit fahren können", betonte die Frau.
 
Prozess um Eisenstangen-Attacke:
© APA/HERBERT NEUBAUER
 
Das erste Opfer hatte Glück, dass sie den Angriff des 42-Jährigen überlebt hatte, sagte Gerichtsmediziner Christian Reiter in seinen Ausführungen. Beim Auffinden war die Frau stark unterkühlt, hatte nur noch eine Körpertemperatur von 31 Grad. Allein das wäre bereits lebensbedrohlich gewesen. Schwer waren auch die Kopf- und Gesichtsverletzungen: "Kaum ein Knochen des Gesichtsschädels war nicht zertrümmert", erklärte der Gutachter. Neben der Gesichtszertrümmerung wurden ihr zahlreiche Zähne ausgeschlagen. Sie hatte diese sogar verschluckt. Durch den Angriff atmete sie auch Blut ein. "Das Risiko des Erstickungstod war gegeben", so Reiter. Eine Zeugin, die nahe des Tatorts lebt und durch die Schläge wach wurde, bezeichnete das Gesicht als einen "einzigen Fleischklumpen". Er sei zunächst nicht mehr erkennbar gewesen, ob es sich bei der Verletzten um eine Frau oder einen Mann gehandelt hat.
 
Die 25-Jährige musste mittlerweile zahlreiche Operationen über sich ergehen lassen. Der Schädel musste aufgrund des starken Gehirndruckes eröffnet werden. Allein im Gesichtsbereich mussten 24 Metallplatten eingepflanzt werden. "Das ist nicht mehr die Person, die sie mal war", sagte Reiter. Sie habe nun eine auffallende Verunstaltung. Auch Verletzungen des Hirngewebes haben zu bleibenden neurologischen Problemen geführt. Der Geruchs- und Geschmackssinn ging verloren, auch eine motorische Schädigung im linken Bein war die Folge, die Frau muss eine Schiene tragen, um nicht zu stolpern. "Sie hat dennoch ihren Lebenswillen nicht verloren", sagte der Gutachter. "Diese Frau ist tapfer und bewundernswert."
 
Das zweite Opfer hatte durch den kräftigen Schlag mit dem Hammer auf den Hinterkopf eine Rissquetschwunde erlitten und dürfte laut Reiter "kurz bewusstlos gewesen sein", konnte sich aber retten. Der Eindrückungsbruch durch die stumpfe Gewalteinwirkung bewirkte eine Hörminderung. Sie sei allerdings psychisch sehr stark angeschlagen. Sie habe vermutlich eine massive posttraumatische Belastungsstörung. "Sie traut sich nirgends mehr wo hinzugehen", sagte Reiter. Sie war auch nicht in der Lage am Donnerstag vor Gericht auszusagen.
 
Prozess um Eisenstangen-Attacke:
© APA/HERBERT NEUBAUER
 
Sie schloss sich mit 30.000 Euro Schmerzengeld dem Verfahren an, die 25-Jährige mit einem Betrag von etwa 70.000 Euro. Ihre Mutter - der Beschuldigte kontaktierte sie nämlich kurz vor seiner Festnahme und erkundigte sich über den Gesundheitszustand der 25-Jährigen - wollte 1.000 Euro.
 

Persönlichkeitsstörung attestiert

 
Der gerichtliche Sachverständige Peter Hofmann attestierte dem Beschuldigten eine hoch relevante krankheitsbedingte hirnorganische Persönlichkeitsstörung, nachdem er als Kind mehrfach unter Hirnhautentzündungen gelitten hatte. Zu den Tatzeitpunkten war die Diskretion- und Dispositionsfähigkeit zwar gegeben, jedoch die Persönlichkeitsstörung handlungsbestimmend. Er habe angefangen, Runden zu drehen, um Frauen zu suchen, habe sich allerdings schlussendlich nicht getraut, sie anzusprechen. "Es ist am Schluss nie was dabei herausgekommen, dann kam es zu diesen Tathandlungen", meinte Hofmann. Auch ein Gesicht so dermaßen zu zertrümmern oder sich über die Flucht seines Opfers zu amüsieren, "spricht von enormer sozialer Kälte".
 
Der 42-Jährige stamme aus "desaströsen sozialen Verhältnissen" und sei bereits sehr früh verhaltensauffällig gewesen. Die Gefährlichkeitsprognose sei dermaßen ungünstig, sodass der Gutachter zusätzlich zu einer möglichen Verurteilung eine Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach Paragraf 21 Absatz 2 empfahl.
 
Nach einer Mittagspause wird der Prozess mit den Plädoyers fortgesetzt. Danach werden sich die Geschworenen zur Urteilsberatung zurückziehen. Die Entscheidung wird für den späten Nachmittag bzw. am frühen Abend erwartet.
 
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