Zu wenig Beweise

Justizschlappe: Freispruch für IS-Kämpfer in Wien

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Dem Gericht fehlte es am Ende an eindeutigen Beweisen für einen Syrienaufenthalt. Die Staatanwaltschaft hatte dem 27-Jährigen vorgeworfen sich dem IS angeschlossen zu haben, ein Mithäftling hatte ihn verpfiffen. 

Ein 27-Jähriger ist am Montag am Wiener Landesgericht im Zweifel vom Vorwurf freigesprochen worden, im Juni 2014 nach Syrien gereist zu sein, sich dort dem "Islamischen Staat" (IS) angeschlossen und auf Seiten der radikalislamistischen Terror-Miliz gekämpft zu haben.

Prozess IS-Kämpfer
© Roman Fuhrich
× Prozess IS-Kämpfer

Einem Schöffensenat fehlten am Ende eindeutige Beweise für den Aufenthalt des Angeklagten auf dem Gebiet des IS. Der Freispruch ist nicht rechtskräftig, die Staatsanwältin gab vorerst keine Erklärung ab. 

Der Prozess fand unter allerstrengsten Sicherheitsvorkehrungen statt. Der 27-Jährige gilt als hochgefährlich, nachdem er während seiner letzten Strafhaft - er weist insgesamt sieben Verurteilungen auf - in der Justizanstalt (JA) Stein eine Justizwachebeamten mit einem Buttermesser attackiert hatte. Der Angeklagte wurde mit Hand-und Fußfesseln sowie einem um die Leibesmitte fixierten Bauchgurt in den Gerichtssaal gebracht, die Fußfesseln wurden ihm auch während seiner Einvernahme und danach nicht abgenommen. Direkt neben dem Stuhl, auf dem er Platz nahm, postierten sich in einer Entfernung von nur wenigen Zentimetern drei bewaffnete, maskierte und mit Schutzhelmen versehene Spezialkräfte der Justizwache. Drei weitere Beamte derselben Spezialeinheit befanden sich zusätzlich im Raum, darüber hinaus waren noch etliche Polizeibeamte in Uniform und zivil sowie Verfassungsschützer zugegen. Auch am Gang vor dem Saal hatten Polizisten und Justizwachebeamte mit Sturmgewehren bzw. Schusswaffen im Holster Stellung bezogen.

Es handelte sich um den zweiten Prozess gegen den angeblich nach Österreich zurückgekehrten IS-Kämpfer. Er war am Ende der ersten Verhandlung im September 2018 vom Vorwurf freigesprochen worden, im Juni 2014 über Bulgarien und die Türkei nach Syrien gereist zu sein und sich dort als Kämpfer für den IS betätigt zu haben. Aufgrund neuer Beweismittel bekam die Staatsanwaltschaft jedoch eine Wiederaufnahme bewilligt, so dass sich der gebürtige nun ein zweites Mal wegen terroristischer Vereinigung und krimineller Organisation verantworten musste.

Mithäftling wandte sich an den Verfassungsschutz

Zum einen hatte sich ein ehemaliger Mithäftling, mit dem sich der Angeklagte mehrere Monate in der Justizanstalt Suben eine Zelle geteilt hatte, an den Verfassungsschutz gewandt und berichtet, der Tschetschene habe ihm erzählt, er habe in Syrien für den IS gegen die Jesiden gekämpft und dabei auch auf Leute geschossen. Das habe er mit rund 20 Videos untermauert, die er auf seinem Handy hatte und die er hergezeigt habe, behauptete der Zeuge. Auf dem Bildmaterial soll der Tschetschene unter anderem mit einer Kalaschnikow vor zerstörten Häusern zu sehen gewesen sein. Außerdem habe der Tschetschene "dem IS versprochen, dass er in Europa und auch Österreich definitiv weitermachen wird", hatte der Zeuge zu Protokoll gegeben.

Zum anderen belegt laut Staatsanwaltschaft ein Datenblatt der IS-Grenzpolizei die Einreise des Angeklagten nach Syrien und seine Anwesenheit in der nordsyrischen Stadt Jarabulus, wo er der Anklageschrift zufolge sich terroristisch betätigt haben soll, "sei es dadurch, dass er in den bewaffneten Dschihad zog oder sonstige Hilfstätigkeiten (als Sanitäter, Arzt bzw. andere Berufe) ausübte und als Mitglied des ausgerufenen Kalifats auf dessen Gebiet als Bewohner lebte und gesellschaftliche Aufgaben übernahm". Wie die Staatsanwältin dazu im Detail erklärte, habe man im Oktober 2015 im syrischen Kriegsgebiet einen USB-Stick mit einem Datensatz gefunden, der 1.700 Einreisebewegungen von ausländischen IS-Sympathisanten gefunden, der in den Besitz des FBI gelangte. Nun sei es der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) gelungen, eine gerichtsverwertbare Kopie des Datenblatts betreffend des Angeklagten im Original zu bekommen: "Das lässt keinen anderen Schluss zu, dass er vom IS erfasst wurde."

Dazu teilte ein DSN- Beamter in der Verhandlung als Zeuge mit, der IS sei "wie eine Regierung aufgebaut. Die führen genau Buch". Daher würden auch die Daten ausländischer Kämpfer festgehalten. Der von einem Partnerdienst übermittelte Datensatz mit den IS-Kämpfern habe 25 Personen mit einem Österreich-Bezug enthalten. Sieben von ihnen, darunter den Angeklagten habe man identifizieren können: "Die Identifizierung war eine Zusammensetzung aus mehreren Informationen und forensischen Untersuchungen, die analytisch aufbereitet und bewertet wurden. Man ist zum Schluss gekommen, dass er die Person ist." Es bestünde "keine Verwechslungsgefahr". Der DSN merkte dazu noch an, dass dafür weiteres Beweismaterial "von Europol und Interpol" existiert, "das leider nicht gerichtlich freigegeben ist".

Am 27. Juli 2014 sei der Angeklagte nach Österreich zurück, weil ihm laut Anklage seine Familie vormachte, dass seine Mutter todkrank sei. "Man hat ihm vorgegaukelt, seine Mutter würde im Sterben liegen", berichtete die Anklagevertreterin. Der Mann habe jedoch vor seiner Abreise IS-Vertretern versichert, von Österreich aus jederzeit zur Verfügung zu stehen.

Verteidiger Florian Kreiner zeigte sich demgegenüber überzeugt, es werde "am Ende des Tages einen Freispruch geben". Die IS-Liste sei kein taugliches Beweismittel, da der Name, der darauf seinem Mandanten zugeordnet werde, nicht mit dessen korrektem, am amtlichen Reisepass angeführten Namen übereinstimme. Selbst der Vorname der Mutter des Tschetschenen, der am Datenblatt ebenfalls festgehalten wurde, sei falsch. Der Belastungszeuge wiederum sei "völlig unglaubwürdig", sagte Kreiner. Und überhaupt sei die Annahme völlig lebensfremd, der IS hätte es dem Angeklagten gestattet, nach wenigen Wochen über Istanbul mit dem Flugzeug nach Österreich zurückzukehren. "Er hat nur seine Freundin in Istanbul besucht. Es gibt keinen Beweis, dass er syrischen Boden betreten hat", bekräftigte der Anwalt.

Das betonte dann auch der Angeklagte, wobei er auf die Frage der Richterin, wie diese Frau denn ausgesehen habe, nur "Sie war jünger als ich" angab. Ihren Familiennamen wusste er nicht mehr, auch die Haarfarbe war ihm nicht erinnerlich. "Sie wollte, dass ich in die Türkei komme. So lange ich möchte bin ich geblieben", stellte der 27-Jährige fest. Und er versicherte: "Es gibt keine Videos, wo ich in Syrien bin. Er (der Belastungszeuge, Anm.) hat keine Videos gesehen. Ich war nicht in Syrien." Auf die Frage, wie er sich die ihn belastende Aussage seines früheren Zellengenossen erkläre, entgegnete der Tschetschene: "Vielleicht hat ihm der Verfassungsschutz irgendetwas gegeben."

Der frühere Mithäftling sorgte dann im Zeugenstand für eine Überraschung. Er zog unter Wahrheitspflicht seine den Angeklagten belastenden Angaben zurück: "Ich habe damals gelogen." Er sei seinerzeit auf den Angeklagten "eifersüchtig" gewesen. Dieser sei ihm "im Sport, beim Ringen und beim Boxen" überlegen gewesen, daher habe er unrichtig ausgesagt: "Es tut mir leid." Er habe außerdem "ein Drogenproblem", räumte der Zeuge ein. "Auch wenn ich kriminell bin, gibt es für mich Grenzen. Und daher möchte ich das jetzt aussagen", fügte der Mann, der sich nach wie vor in Haft befindet, hinzu.

Danach wurden drei Bekannte bzw. Freunde des Angeklagten vernommen, die behaupteten, dieser hätte sie vor knapp zehn Jahren aus der Türkei angerufen, wohin er sich begeben hätte, um eine Freundin zu besuchen. Auf die Frage der Staatsanwältin, weshalb er noch genau wisse, was man vor zehn Jahren telefonisch besprochen habe, meinte einer von ihnen, er habe das "halt im Kopf behalten. Ich war gut in der Schule". Ein anderer erklärte dezidiert, er habe sich mit dem Angeklagten per Videotelefonie unterhalten. Dieser sei "in einem türkischen Restaurant gesessen" und habe "Kaffee getrunken".

 Der Angeklagte befindet sich seit seinem 19. Lebensjahr durchgehend in Strafhaft. Er ist beinahe ausschließlich wegen Gewalttaten vorbestraft, zuletzt wurde er für den Messerangriff auf einen Justizwachebeamten zu sechs Jahren Haft verurteilt. Auch während seiner Inhaftierung betätigte sich der 27-Jährige für den IS und legte das entsprechende Gedankengut an den Tag. In seiner Zelle in der Justizanstalt Graz-Karlau zerriss er etwa eine Bettdecke und bastelte daraus eine Puppe, die eine Maschinenpistole in der Hand hielt, und brachte am Fußboden seiner Zelle den Schriftzug "Jihad" an. Das sei "schräg", gestand Verteidiger Kreiner ein, sein Mandant habe "provoziert". "Das war Ausdruck seiner Verzweiflung", erklärte der Anwalt.
 

 

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