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Kopfschuss in Brigittenau

Mordprozess: Mann im Liegen erschossen

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Laut Gutachten des Gerichtsmediziners und des Ballistikers.

Die Schilderung, die der 28-jährige Kosovare wenige Minuten nach dem tödlichen Schuss zum angeblichen Tatablauf auf einer nahe gelegenen Polizeiinspektion dargeboten hatte, kann nach Ansicht des Gerichtsmediziners Christian Reiter und des Ballistikers Ingo Wieser nicht dem realen Geschehen entsprochen haben. Ihnen zufolge wurde der 26-jährige Igor Z. im Liegen erschossen.

Der Angeklagte hatte auf der Polizeiinspektion Pappenheimgasse einer Kriminalbeamtin erklärt, er hätte im Zuge einer Rauferei dem gebürtigen Bosnier seine Pistole auf den Kopf schlagen wollen. Dabei hätte sich unabsichtlich ein Schuss gelöst. Die Beamtin hält diese Darstellung bis heute für glaubwürdig, wie sie als Zeugin dem Schwurgericht (Vorsitz: Georg Olschak) erklärte: "Ich hab's wirklich geglaubt, weil er auch wirklich fertig war. Für mich war das so, wie er es erzählt hat. Ich hab' keinen Grund gehabt, daran zu zweifeln." Der Mann hätte geweint und einen aufgelösten Eindruck gemacht.

Im Liegen erschossen

Der Gerichtsmediziner, der ursprünglich eine Tötung im Zuge eines Schießunfalls für nicht ausgeschlossen gehalten hatte, sah sich im Anschluss gezwungen, sein schriftliches Gutachten zu modifizieren. Der Sachverständige hatte bei der Erstellung seiner Expertise noch nicht die Ergebnisse der Schmauchspuren-Analyse zur Verfügung. Unter Einbeziehung dieser Erkenntnisse ging Reiter nun nicht mehr von einer Schussabgabe im Nahbereich aus: "Da hätte die Außenseite der Jacke massiv beschmaucht sein müssen."

Für Reiter stand vielmehr fest, dass der Kopf des 26-Jährigen "in unmittelbarer Nähe des Asphalts lag", als er von einem Projektil aus der Tokarev-Pistole getroffen wurde, wie er den Geschworenen erklärte. Dafür würden die Blutspritzer am Tatort sprechen: "Wenn das Opfer die Schussverletzung im Stehen erfahren hätte, hätten die Partikel weit verstreut auf den Asphalt niederregnen müssen." Im gegenständlichen Fall war das Blut am Boden aber "sehr eng und keilförmig konfiguriert", was nach Reiters Ansicht auf folgenden Ablauf hindeutet: Igor Z. , dessen Leiche Prellmarken an der Schulter und an der Stirn aufwies, dürfte zunächst zwei Schläge mit dem Magazinknauf der Pistole kassiert haben, die ihn zu Fall brachten. Der 26-Jährige, der in rechter Seitenlage zu liegen kam, versuchte sich noch aufzurichten, wobei er den rechten Arm hob. Erst dann fiel der Schuss, der dem Mann in den rechten Oberarm drang, diesen durchschlug, an der rechten Wange in den Kopf eintrat und in der linken Schläfenregion wieder austrat.

Fallversuche mit Waffe

Bei der verwendeten Tokarev-Pistole handle es sich "um eine der wirkungsvollsten Faustfeuerwaffen überhaupt", sagte der Schießsachverständige Ingo Wieser. Er schloss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus, dass sich bei diesem Waffen-Modell ein Schuss bei einem bloßen Schlag auf die Hand lösen könne: "Da müsste der Schlag schon sehr heftig sein." Bei Fallversuchen mit der Waffe sei selbst aus einer Höhe von zwei Metern "kein einziges Mal ein Schuss gebrochen".

Wieser verwies ebenfalls auf die geringe Beschmauchung des Angeklagten. Hätte dieser geschossen, wären an dessen Jacke "1.000 bis 2.000 Partikel" zu erwarten gewesen. Zum Getöteten führte der Ballistiker aus, dessen Kopf müsse sich "bei Erhalten des Treffers in Bodennähe befunden haben."

Mordanklage

Der beigezogene Chemiker Reinhard Binder bestätigte die Erkenntnisse der Kriminaltechniker vom Bundeskriminalamt, die beim Angeklagten nur geringste Mengen von Bleipartikeln gefunden hatten. Laut Binder wurde Igor Z. aus einer Entfernung von zumindest eineinhalb Metern zu Tode gebracht. "Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kann man ausschließen, dass der Schuss im Nahbereich wie zum Beispiel bei einer Rangelei oder einer Rauferei ausgelöst wurde."

Dessen ungeachtet hielt Staatsanwalt Christoph Wancata an seiner Mordanklage fest. Er erinnerte die Geschworenen an die Aussage des Angeklagten wenige Minuten nach der Tat, wo er den Waffengebrauch gestanden hätte: "Spontane Geständnisse haben die höchste Glaubwürdigkeit überhaupt." Es sei "absolut klar, dass der Angeklagte geschossen hat", meinte Wancata in seinem Schlussplädoyer. Dass bei der Abnahme der Schusshände und der Untersuchung der Jacke keine Schmauchspuren gefunden wurden, sei kein Entlastungsbeweis: "Das ist ein Testverfahren. Da gibt's Fehlerquellen." Außerdem wären fast dreieinhalb Stunden vergangen, ehe man sich nach der Festnahme des Mordverdächtigen dem Thema Schmauchspuren widmete: "Da kann viel passieren. Er kann sich die Hände gründlich waschen. Und vielleicht hat er bei der Schussabgabe gar nicht die Jacke angehabt."

Der Staatsanwalt zeigte sich auch überzeugt, dass der Angeklagte Igor Z. vorsätzlich erschossen hat. Das Motiv: Eifersucht. Der 28-Jährige hätte erfahren, dass der gebürtige Bosnier Interesse an derselben Frau hatte, mit der er seit mehreren Jahren eine Affäre unterhielt. Das habe der Angeklagte nicht toleriert, sich eine Aussprache mit dem Nebenbuhler ausgemacht und sei zu dieser mit einer geladenen Pistole gefahren. "Er hat bewusst geschossen. Es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln", insistierte Wancata.

"Nicht jeder Tote ist ermordet worden"

"Es ist eine Zumutung, auf diesen Beweisergebnissen eine Mordanklage aufzubauen", konterte Verteidiger Werner Tomanek. In dieser Sache sei nicht mehr ermittelt worden, nachdem der Angeklagte nach seiner Festnahme augenscheinlich unrichtigerweise den Waffengebrauch zugegeben hatte. Mittlerweile hätte sich allerdings bestätigt: "Nicht jeder Tote ist ermordet worden."

"Ich hab' schon Verkehrsunfälle erlebt, wo ausführlicher ermittelt wurde", stellte Tomanek fest. Er und Co-Verteidiger Philipp Wolm gaben sich zutiefst überzeugt, dass mit der vorliegenden Beweislage nicht die für ein Strafverfahren erforderliche Sicherheit gegeben ist, um ihren Mandanten als Mörder verurteilen zu können.

Mit dem Urteil war nicht vor 15.00 Uhr zu rechnen.

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