Natascha im TV

Das komplette Interview im Wortlaut

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Millionen von Zuschauern habne gespannt das Interview mit Natascha Kampusch verfolgt. Hier das Interview im Wortlaut.

Frage: Ganz viele Menschen haben mich in den letzten Tagen gefragt, wie es Ihnen geht. Es ist unglaublich, dass Sie jetzt dasitzen. Frau Kampusch, wie geht es Ihnen?
Natascha: Ja, den Umständen entsprechend gut.

Frage: Sie sind jetzt zwei Wochen in Freiheit. Wie haben Sie die neue Freiheit erlebt? Was machen Sie die ganze Zeit?
Natascha:
In erster Linie mich von den Strapazen der Flucht erholen. Mich entspannen. Mit meinen Eltern telefonieren. Ich habe mich gestern und vorgestern schon mit meiner Mutter getroffen. Auch bei der Polizei habe ich mich schon mit meinen Eltern getroffen. Gestern habe ich zum ersten mal meine jüngere, ältere Schwester getroffen. Die Sabine. Gestern hat mein Neffe Geburtstag gehabt. Er hat sich gewünscht, dass ich ihn anrufe. Was ich erledigt habe. Obwohl ich so viel zu tun habe.

Frage: Sie sind um Stress!
Natascha: Schon!

Frage: Wer sind die Menschen, mit denen Sie am meisten sprechen? Denen Sie am meisten vertrauen?
Natascha: Ja, also denen ich am meisten vertraue? Hm, ich weiß nicht. Der Doktor Friedrich z.B. Aber auch die ganzen Psychologen und so, die sich um mich kümmern. Aber hauptsächlich vertraue ich eigentlich meiner Familie und auf mich.

Frage: Das ist gut.
Natascha. Ja.

Frage: Sie sind ja jetzt ziemlich von der Außenwelt abgeschirmt. Sie haben in Ihrem Brief auch geschrieben, dass es Ihnen sehr gut geht. Und das man Sie super gut behandelt. Sie haben aber auch gesagt, Sie fühlen sich vielleicht ein bisschen bevormundet.
Natascha: Ja, das wollte ich gerade andeuten. Es ist wirklich sehr schwer. Alle Leute wollen einen irgendwie beeinflussen. Sie meinen es zwar gut, aber ?... Die ersten Nächte haben sie versucht, mich dazu zu bringen zu schlafen. Sie wollten am Anfang nicht verstehen warum ich um 4.00 Uhr in der Früh schon munter bin und mich erst um 11.00 Uhr oder so schlafen lege. Aber ich habe sie davon überzeugt, dass ich das selbst in den Griff bekommen werde. Und ohne Schlafmittel oder sonst irgendwelche Medikamente auskomme.

Frage: Sind Sie eine Frühaufsteherin.
Natascha. Ja. Sicher.

Frage: Was war der erste Wunsch, den Sie sich erfüllt haben?
Natascha: Hm. Kann sich da wer erinnern? Ist nicht so wichtig. Es hat wahrscheinlich so viele gegeben. Ja, schon.

Frage: Also es gab sehr viele Wünsche.
Natascha: Der hauptsächliche Wunsch, den ich mir erfüllt habe in den letzten Tagen, ist die Freiheit.

Frage: Was ich wissen wollte, weil Sie von der Öffentlichkeit abgeschirmt sind: Waren Sie trotzdem schon draußen? Spazieren? Einkaufen?
Natascha: Ja. Einkaufen war ich. Ich war inkognito Eis essen.

Frage: Wie hat dieses inkognito ausgeschaut?
Natascha: Ich war mit dem Dr. Berger auf der Währingerstrasse... In einem Eissalon. Aber wir wollen da nicht Werbung machen!

Frage: O.k.
Natascha:
Und da haben wir uns einen Eisbecher bestellt. Ich hatte eine Sonnenbrille auf, ein Kopftuch um. Da hat man mich nicht erkannt. Wir sind auch mit der Schnellbahn oder was? Mit der U-Bahn sogar! Wir sind auch mit der U-Bahn gefahren. Es war toll, die Menschen alle anzulächeln. Und keiner hat mich erkannt!

Frage: Haben Sie schon außerhalb des Betreuerteams, das Sie auch ständig umhegt, Freundschaften schließen können?
Natascha: Ja. Sozusagen auf der Station, wo ich aufgehoben bin. Da habe ich schon Freundschaften geschlossen.

Frage: Sie sind auch jetzt schon mit anderen jungen Menschen zusammen?
Natascha: Genau.

Frage: Mit denen man sich gut unterhalten kann.
Natascha: Genau. Auch mit jüngeren, mit Zehnjährigen.

Frage: Wie war das erste Wiedersehen mit Ihren Eltern?
Natascha: Ja. Das Komische war, dass meine Eltern so wie sämtliche Verwandte mehr geweint. Also sie haben geweint und mich umarmt und gedrückt. Und ch weiß nicht. In dem Moment ...

Frage: Es war ein bissel viel?
Natascha: Ja, schon. Ich habe mich ein bisschen überfordert und ein bisschen beengt gefühlt durch dieses plötzliche Einfallen.

Frage: Die Polizisten zum Beispiel?
Natascha: Die haben es ja auch nicht gefasst. Die wollten mich fasst vor Glück zerquetschen! Ja also ...

Frage: Und Sie brauchen Zeit, um das zu realisieren?
Natascha: Ja, sicher. Sicher. Weil ich meine, nicht so sehr ich, sondern eher die Polizisten. Weil die haben mir erzählt, dass sie ein paar Tage, bevor ich floh, noch eine Genehmigung beantragt haben, um nach meiner Leiche zu graben.

Frage: Und sie haben die Hoffnung schon fast aufgegeben.
Natascha: Dazu muss ich noch sagen: Meine Mutter hat die Hoffnung nie aufgegeben, dass ich noch lebe.

Frage: Ich weiß.
Natascha: Und ...

Frage: Was ist das jetzt für eine Verbindung? Acht Jahre liegen da dazwischen.
Natascha: Das liegt bei uns nicht dazwischen. Die Öffentlichkeit meint ja, ich sei kein gutes Kind, oder meine Mutter sei keine gute Mutter, weil sie mich nicht bei sich haben möchte. Oder ich sie bei mir haben möchte. Aber bei uns ist es eher so als wären überhaupt gar nichts geschehen.

Frage: Schön. Ich habe damals auch Ihre Schwestern kennen gelernt. Die hatten damals ganz kleine Kinder.
Natascha: Ja.

Frage: Die sind ja jetzt groß. Haben Sie die wieder erkannt? Wie war das?
Natascha: Ich hab sie noch nicht gesehen. Aber auf Fotos. Und ich hab sie natürlich wieder erkannt. Ich hab sogar eine neue Nichte dazu bekommen. Sieben Jahre ist sie jetzt. Die kleine Alina. Und ich, ja ich hab mich sehr gefreut, dass ich jetzt noch eine Verwandte dazu habe.

Frage: Eine Nichte schon?!
Natascha: Ja, sicher. Wenn das die Kinder von meinem ...

Frage: Ach so! Ja, stimmt. Ich war jetzt immer beim Cousin und Cousine.
Natascha: Ja, ich hatte damals eine Cousine, eine neue. Ich meine, was heißt neu?! Eine kleine. Sie war ungefähr zwei Jahre oder so damals. Die wird jetzt auch schon ungefähr zehn sein. Und ich hatte – ich weiß nicht wie alt meine ältere Cousine ist. Die wird jetzt auch eine junge erwachsene Frau sein.

Frage: In diesen zwei Wochen haben Sie sich ja sicher viele Gedanken um Ihre Zukunft gemacht. Was haben Sie für Pläne? Gibt es einen Berufswunsch?
Natascha: Na ja, konkrete Berufswünsche habe ich noch nicht. Ich möchte zuerst meine Bildung komplettieren. Und die Matura machen. Und vielleicht studieren. Aber ich weiß noch nicht, was ich studieren möchte.

Frage: Irgendjemand hat mir erzählt, dass Sie gerne Schauspielerin werden möchten.
Natascha: Ja, schon. Aber seien wir uns doch ehrlich! Hollywood ist auch nicht so ...

Frage: Es muss nicht immer Hollywood sein. Wir haben auch ein schönes Burgtheater!
Natascha: Ja, meine Mutter hat immer gesagt: „Wenn du groß bist, kommst Du auf die Burg“. Dieser Berufswunsch allein schon dieser Gedanke:

Frage: Ich habe von Ihnen Kinderfotos gesehen. Da habe ich gesehen: Sie haben sich gerne verkleidet.
Natascha: Ja, schon.

Frage: Ich habe Sie mit Hüten gesehen. Auch ein bisschen schon geschminkt. Hat das auch damit zu tun? Irgendwie schon damals?
Natascha: Ja, schon. Außerdem war das immer so eine Art Alibi, Geburtstag zu feiern. Also ich meine, weil ich feierte gerne. Aber ich wollte auch nicht sagen, ich möchte gerne feiern. Sondern ich habe den Geburtstag dann immer als Anlass genommen. Und es mussten sich alle verkleiden. Das mit dem Verkleiden hat mich irrsinnig amüsiert. Überhaupt so Kleidervorschriften. Für mich eigentlich nicht, aber für die anderen.

Frage: Lesen Sie eigentlich alles, was über Sie oder über den Fall Natascha Kampusch in den Zeitungen veröffentlicht wird?
Natascha: Im Prinzip möchte ich mich nicht mit solchen Verunglimpfungen, Verleumdungen und Demütigungen belasten momentan. Das ist auch zuviel. Ich möchte mir nicht jede Zeitung zu Gemüte führen. Ich habe soviel zu tun. Medizinische Untersuchungen, Gespräche, alles Mögliche.

Frage: Was sind die Dinge, die Sie am meisten ärgern?
Natascha: Ja, also zum Beispiel so Sachen, die einfach der Unwahrheit entsprechen. Missbrauch oder ... Vor allem ärgern mich diese Fotos von meinem Verlies. Weil das geht niemanden etwas an. Ich möchte auch nicht in die Wohnzimmer und Schlafzimmer von den Leuten schauen. Warum sollen die Leute dann, wenn sie ihre Zeitung aufschlagen, in mein Zimmer schauen? Das ist schon ein Eingriff in die Persönlichkeit und ich glaube, dass geht einfach niemanden etwas an.

Frage: Sie sagen jetzt „das Verlies“.
Natascha: Ja.

Frage: Im Brief haben Sie geschrieben, es war „ihr Raum“.
Natascha: Na ja. Das hat mir der Dr. Friedrich so vorgeschlagen um ehrlich zu sein. Es ist ja auch MEIN RAUM. Aber trotzdem: Verlies klingt einfach besser. Weil es kommt dem nahe. Es ist unterirdisch. Ja, und die Deutsche Sprache bietet einfach nicht mehr Möglichkeiten.

Frage: Ich habe gehört, dass Sie ein Buch schreiben wollen. Sie wollen nicht, dass irgendjemand ein Buch über Sie schreibt. Sondern Sie wollen selbst schreiben.
Natascha: Ja, ich werde vielleicht oder auch nicht ein Buch über mich schreiben. Aber ich möchte auf keinen Fall, dass irgendwer anderer sich als Experte über mein Leben ausgibt. Wenn, dann schreibe ich das selbst.

Frage: Was wollen Sie in diesem Buch erzählen?
Natascha: Das weiß ich noch nicht, da ich noch überhaupt nicht sicher bin, ob ich je ein Buch schreiben werde.

Frage: Auf der Titelseite einer Zeitung habe ich gelesen: „Natascha Kampusch, das begehrteste Gesicht der Welt“. Ist dieses enorme mediale Interesse ein bissel zuviel für Sie?
Natascha: Was heißt ein bissel zu viel?! Ja. Schon. Aber auf der anderen Seite ist mir dadurch klar geworden, dass ich durch diese Berühmtheit und, wie Sie gesagt haben, durch das berühmte Gesicht, das ich dadurch eine gewisse Verantwortung habe und die auch nützen möchte. Mir ist klar geworden, dass man das nicht einfach so verstreichen lassen sollte, sondern dass man das auch zu seinem eigenen Vorteil und zum Vorteil von vielen Menschen, denen man helfen kann ... Also ich plane, eine Foundation zu gründen. Wo ich gewisse Hilfsprojekte aufstellen möchte, die sich mit der Thematik von zum Beispiel verschwundenen Leuten, die nie gefunden worden sind – so wie ich.

Frage: Sie haben gesagt, dass Sie einen Teil der Spendengelder auch für etwas spenden wollen. Was schwebt Ihnen da vor?
Natascha: Es geht dann auch noch um diese verschleppten, missbrauchten und gefolterten und ermordeten jungen Frauen, die in Mexiko verschwinden. Da gibt es eine gewisse Gegend, wo sehr viele Frauenmorde passieren. Da werden die Frauen vor oder nach der Arbeit gekidnappt und auf brutalste und bestialische Art und Weise misshandelt. Und da möchte ich auch eingreifen. Ich möchte das Geld dazu verwenden, um weitere Fälle zu verhindern. Und ferners plane ich, da ich ja weiß, wie entwürdigend um unmenschlich es ist, andere Leute hungern zu lassen. Ich möchte Hunger leidenden Menschen sozusagen ... Ich möchte ein Programm aufbauen, dass die Leute sich selbst helfen können, den Hunger zu bekämpfen. Sie sollen ...

Frage: Sie haben vorher gesagt, dass Sie aus eigener Erfahrung kennen, was Hunger heißt. Was meinen Sie damit? Wollen Sie uns darüber was erzählen?
Natascha: JA. Ich habe in meiner Gefangenschaft auch sehr oft gehungert. Und hab dadurch auch miterlebt, was man da alles hat. Kreislaufbeschwerden, Konzentrationsschwierigkeiten, man ist nur noch zu den primitivsten Gedanken fähig. Man kann sich gar nicht mehr auf irgendetwas fixieren. Man hat nur noch so ... Ja. Jedes Geräusch, jedes Kratzen ... ist schon so aufreibend und schmerzend. Jeder Gedanke quält sich aus einem heraus. Und ich kann mir vorstellen, dass diese Leute unmenschliche Qualen durchmachen müssen. Und deswegen möchte ich mich dafür einsetzen, dass die zumindest, ja zumindest dass die Kinder dort was Gutes zum Essen kriegen. Weil das setzt sich auch ... Ich meine, die Intelligenz. Wir tun immer so, als wenn wir so gescheit wären. Aber wenn wir das ganze Essen nicht hätten, dann würden wir auch blöd sein. Ich meine, es lässt sich ja leicht reden. Die roden dort die Wälder und so. Aber wenn man einen irrsinnigen Hunger hat: Was soll man sonst tun?

Frage: Sie haben in Ihrem Brief an die Medien symbolhaft geschrieben, er habe Sie auf Händen getragen und mit Füßen getreten.
Natascha: Ja.

Frage: Sie seien aber gleich stark gewesen.
Natascha: Ich finde ja eher, dass ich stärker war. Mhm.

Frage: Inwiefern?
Natascha: Naja. Er hatte einfach eine labile Persönlichkeit. Ich hatte dadurch, dass ich früher ein sehr gesundes soziales Umfeld hatte, eine – naja – nicht unbedingt glückliche, aber dafür eine liebevolle Familie. Also beide Eltern haben mir immer wieder glaubhaft versichern können, dass sie mich lieben. Und er hatte so was nicht. Ihm fehlte in gewisser Weise so etwas wie Selbstsicherheit. Und so was. Diese, diese Geborgenheit. Das hat ihm gefehlt.

Frage: Das muss aber auch im Laufe der Zeit passiert sein, dass Sie sich dessen bewusst geworden sind.
Natascha: Im Prinzip war ich mir schon innerhalb der ersten paar Stunden nach meiner Entführung dessen bewusst, dass ihm etwas fehlt. Dass er ein Defizit hat.

Frage: Frau Kampusch, wollen sie uns erzählen, was an diesem Morgen, dem 2. März 1998, passiert ist?
Natascha: Ja. Möchte ich. Also ich bin in der Früh aufgestanden. Hab natürlich noch nicht geahnt, was passiert. Ich war sehr traurig. Es gab am Abend eine Auseinandersetzung mit meiner Mutter. Weil mein Vater mich zu spät nach Hause brachte. Und das schon öfters vorkam, dass ...

Frage: Ja.
Natascha: Meine Mutter war vordringlich auf meinen Vater böse. Aber irgendwie auch auf mich. Und ich hab, ich war sehr traurig darüber, weil es war nicht der erste diesbezügliche Streit. Und so. Übrigens: das, was mit dieser Auseinandersetzung da geschildert wurde in den Medien, dass meine Mutter mir eine Watschen gegeben haben soll, das stimmt nicht. Oder jedenfalls nicht in der DER Form, wie das in den Medien geschildert wurde. Ich war einfach nur so geknickt. Bevor ich aus der Wohnungstür gegangen bin, habe ich mir noch gedacht ... meine Mutter hat nämlich diesen Merksatz, dass sie meinte, ... ah ... Man soll nie böse auseinander gehen. Man soll sich immer vertragen. Denn es könnte ja ihr oder mir etwas passieren. Und wir sehen uns nie wieder. Was ja fast passiert wäre. Und ja, ich dachte mir an der Tür noch: Mir ist eh bis jetzt nichts passiert. Also vertrag ich mich zum Trotz jetzt extra nicht mit meiner Mutter. Und also ich ... ich bin dann den Schulweg gegangen bis zu dieser ... Wie heißt die Gasse? Mollardgasse?

Dr. Friedrich: Melangasse.

Natascha: Melangasse. Genau. Melangasse. Also bis zur Melangasse. Und?aus einigen Metern Entfernung habe ich ihn schon bei seinem Auto stehen gesehen. Ich dachte mir noch, ich wechsle die Straßenseite. Ich weiß auch nicht. Aus irgendeinem Bauchgefühl heraus vermutete ich,... ich weiß nicht. Es war mir einfach unangenehm. Was man über diese „Kinderverzahrer“ gehört hat in der Schule. Ich weiß auch nicht warum. Und dann hab ich aber dieses Bauchgefühl meiner emotionalen aufgeladenen Stimmung zugeschrieben. Und bin einfach ... Ich dachte: Der wird dich schon nicht beißen. Und bin einfach weitergegangen. Und...er packte mich. Ich versuchte zu schreien. Aber es ist nicht ... es kam kein Laut raus. Ja.

Frage: Wie war? Hat er da auch etwas zu Ihnen gesagt? Hat er da schon mit Ihnen gesprochen?
Natascha: Also bei dem Reinzerren und ... Also bevor er, also während des Startens hat er schon gesagt, dass es ... dass mir nichts passiert oder so, wenn ich das mache, was er sagt. Und dass ich ruhig sein soll. Und mich nicht rühren soll. Und dann, später, also ein paar Minuten später hat er dann gesagt, dass es angeblich eine Entführung ist. Und wenn meine Eltern was zahlen, dann könnte ich noch am selben Tag oder am nächsten Tag wieder zu Hause sein.

Frage: Haben Sie den Weg dann real mitbekommen? Ich meine, da müssen sie ja unglaubliche Ängste ausgestanden haben.
Natascha: Ich hatte vom ersten Moment an eigentlich überhaupt ... außer den schlimmsten Befürchtungen, was er mit mir anstellen könne, keinerlei Angst. Im Gegenteil. Ich dachte mir: Der bringt dich sowieso um. Also kannst du deine letzten paar Stunden, Minuten oder was immer noch gezielt nützen, um wenigstens zu versuchen, irgendetwas daraus zu machen. Zu fliehen oder auf ihn einzureden oder so irgendwie.

Frage: Haben Sie auf ihn eingeredet?
Natascha: Na ja. Ich hab ihm gesagt, dass das nichts wird und dass Unrecht Gut nie gedeihen wird. Und dass die Polizei ihn schon schnappen wird und so.

Frage: Wie war das denn beim Haus?
Natascha: Beim Haus.

Frage: Wollen Sie darüber sprechen?
Natascha: Ja, also ... Beim Haus war’s dann so, dass ich ihn, weil ich mir dachte, vielleicht kann ich irgendwelche Einzelheiten des Hauses erkunden, vielleicht kann ich irgendwas erkennen. Um später dann der Polizei ... Ich war zu dem Augenblick, zu diesem Zeitpunkt noch sicher, dass mich die Polizei finden und befreien wird. Und dass das ein gutes Ende haben wird. Nehmen wird.

Frage: Wollen Sie beschreiben, wie das war, als Sie das erste Mal den Kellerraum gesehen haben?
Natascha: Ja, also das erste Mal habe ich den Kellerraum überhaupt nicht gesehen. Weil es dort stockdunkel war. Es war keine Lampe eingeschraubt. Die brachte er erst nach einigen Minuten. Oder, ich weiß nicht, nach einer halben Stunde.

Frage: Sie waren zuerst im Stockfinsteren?
Natascha: Ja, genau. Ich war sehr verzweifelt und sehr wütend. Ich hab mich darüber geärgert, dass ich die Straßenseite nicht gewechselt habe. Oder dass ich nicht mit meiner Mutter in die Schule gefahren bin. Das war sehr ... Ja, also es war furchtbar.

Frage: Wollen Sie uns erzählen,... ?
Natascha: Vor Un-Macht auch. Dieses ... Weinen vor Un-Macht. Dass man nichts dagegen machen kann.

Frage: Wollen Sie erzählen über die Stille, die dort geherrscht haben muss? Wie haben Sie denn das damals als zehnjähriges Mädchen gespürt?
Natascha:
Also ...

Frage: Das muss ja doch ...
Natascha: ... da war ein Ventilator.

Frage: Sie meinen in den ersten Minuten?
Natascha: Auch später. Später ... es war ein Ventilator. Ich konnte dieses ewige Geräusch des Ventilators am Anfang überhaupt kaum ertragen. Das ist mir dermaßen auf die Nerven gegangen. Es war furchtbar. Und ich habe beinahe klaustrophobische Zustände bekommen. In diesem kleinen Raum. Und schlug mit Mineralwasserflaschen an die Wände oder mit den Fäusten. Und ... ja, ... ich weiß nicht. Auch damit irgendwer mich vielleicht hört oder so. Ich weiß nicht. Es war, es war grauenvoll. Und wenn er mich nicht irgendwann rauf ins Haus genommen hätte, damit ich ein bisschen mehr Bewegungsfreiheit hab, ... Ich weiß nicht, ob ich dann nicht wahnsinnig geworden wäre.

Frage: Können Sie sich erinnern, wann dieser Moment war? Dass er Sie ins Haus hinauf genommen hat? War das nach Jahren oder war ...
Natascha: Nein, das war nach einem halben Jahr. Da durfte ich dann immer zum Waschen rauf. Also baden im Badezimmer. Und so.

Frage: Aber ein halbes Jahr waren Sie nur im Keller?
Natascha: Ja.

Frage: Wie haben Sie sich über die Außenwelt informiert? Was haben Sie mitbekommen?
Natascha: Am Anfang eben nicht viel. Die ersten zwei Jahre hab ich keine Nachrichten sehen ... dürfen. Er hat gemeint, dass vielleicht auch etwas über mich gebracht würde. Was mich aufregen könnte oder ... Ich weiß nicht, was für Gründe er hatte, warum er mir keine Nachrichten zeigte.

Frage: Nach zwei Jahren haben Sie dann Radio bekommen. Was noch? Wie ist das dann weitergegangen?
Natascha: Na ja, also nach zwei Jahren habe ich einfach die Nachrichten im ORF oder so gehört. Nicht, dass ich mich einschmeichle! Aber ... ja, es war ... Zeitungen hab ich eigentlich am Anfang nur Wochenzeitungen bekommen. Und dann durfte ich auch schon Zeitungen lesen. Er hat mir einfach ... Er hat’s gelesen, ich hab’s gelesen. Dann hat er jede einzelne Seite durchgeblättert, ob ich nicht was drauf geschrieben hab. Das war seine Paranoia. Überhaupt, er hat immer alles kontrolliert. Und untersucht, dass ich ja keine Botschaft schreibe oder so. Oder Nachrichten verschlucke, die ich dann wieder irgendwie ... Ich weiß auch nicht. Er war sehr paranoid. Hm.

Frage: Haben Sie Geburtstag, Weihnachten, Ostern gefeiert? So die großen Feiertage auch für einen, eine Jugendliche?
Natascha: Äh? Ja. Ich habe Geburtstag, Weihnachten und Ostern gefeiert.

Frage: Haben Sie das auch mit Herrn Priklopil gefeiert?
Natascha: Ja, sicher hab ich’s mit dem Herrn Priklopil gefeiert. Ich habe ihn dazu genötigt, es mit mir zu feiern. Ja, er hat mir viele Sachen geschenkt. Ostereier oder Weihnachtsgeschenke und so. Schließlich war das einfach ... Andere Kinder und Jugendliche können sich etwas kaufen. Und er war offenbar der Meinung, dass er mir wenigstens in dieser Art eine gewisse Entschädigung oder Gleichberechtigung mit den anderen Menschen draußen in der normalen Realität gibt.

Frage: Da sagen Sie etwas sehr interessantes. Glauben Sie, hatte er ein schlechtes Gewissen?
Natascha: Ja, schon sehr. Sehr. Irgendwie war das so zwiespältig. Ich glaube, er hatte ein sehr starkes schlechtes Gewissen. Aber er versuchte, es massivst zu verdrängen und abzuleugnen. Und gerade das ... hat sozusagen ... gezeigt, dass er ein schlechtes Gewissen hat.

Frage: Sie waren nicht immer allein in dem Haus. Es war ja oft die Mutter von Priklopil da. Haben Sie das mitbekommen? Wie haben Sie das mitbekommen?
Natascha: Ich habe es mitbekommen, indem er vorher erzählt hat, dass seine Mutter kommt. Und nachher war dann halt das Haus oben blitzeblank geputzt. Manchmal waren auch Sachen, die sie brachte, dort. Und vorgekochtes Essen und so. Ja. Einfach alles. Ja. Ich, ich habe es einfach bemerkt.

Frage: Sie haben vorher gesagt, er wollte Meldungen verstecken über die Suche nach Ihnen.
Natascha: Ja.

Frage: Haben Sie gar nichts über die Suchaktion mitbekommen?
Natascha: Später dann schon. Weil ich ihm gesagt hab, dass das nicht recht wäre, mir diese Informationen, da sie ja mich betreffen, zu entziehen.

Frage: Hat er Ihnen über Ihre Eltern etwas erzählt?
Natascha: Äh, ja.

Frage: Ich meine, wie Sie reagieren. Hat er Sie da unter Druck gesetzt?
Natascha: Ach so, nein. Er meinte, meine Eltern würden sich nicht um mich kümmern oder nach mir suchen. Und später meinte er, dass meine Eltern im Gefängnis gewesen wären. Was ich dann auch erfahren habe, dass das stimmt. Weil man verdächtigte zu diesem Zeitpunkt relativ viele Menschen. Die dann in Untersuchungshaft waren damals. Das hat er mir schon erzählt. Aber er schilderte es mir ein bisschen überzeichnet und übertrieben. Aber ich hab natürlich gleich gewusst, dass das nicht der F all ist, dass meine Eltern jetzt im Knast sitzen.

Frage: Sie haben ihm nicht geglaubt?
Natascha: Nein.

Frage: Ich war mehrmals nach ihrem Verschwinden in Ihrem Kinderzimmer. Ihre Mutter hat es mir gezeigt. Könnten Sie sich vorstellen, dorthin zurückzukehren? Mit all den Erinnerungen, die dort sind? An die Zeit vor der Entführung?
Natascha: Also leben werde ich, glaube ich, nicht mehr dort. Aber ich werde ab und zu bei meiner Mutter in dem Zimmer übernachten. Und jetzt? Also meine Mutter hat es nicht fertig gebracht die Tapeten umzufärben. Aber ... Aber jetzt haben sie es gemacht. Mit Überwindung haben sie vor ein paar Monaten den Teppich rausgerissen, den alten grauen. Ich hab ihn sowieso irrsinnig gehasst. Er war äußerst hässlich. Und einen neuen Teppich, ich glaube, ... grün oder so? Und meine Nichte darf ab und zu bei meiner Mutter übernachten. Die Tapeten sind orange. Oder so. Und jetzt gefärbt. Frisch. Weil meine Mutter hat es eben nicht über sich gebracht, das zu machen. Sie hat die Möbel zwar schon von den Wänden gestellt. Aber ... hat ... lange gezaudert, bis sie ... Sie konnte es einfach nicht. Sie hat es einfach nicht über sich gebracht, die Tapeten ... Weil sie nicht wusste, ob mir die Farbe gefallen würde. Die neue.

Frage: Frau Kampusch, Sie haben öfter auch mit Herrn Priklopil das Haus verlassen.
Natascha: Ja.

Frage: Wie war das? Wie hat er sich da verhalten?
Natascha: Na ja. Er war sehr vorsichtig. Ist kaum von meiner Seite gewichen. Hat jedes mal panikartige Zustände bekommen, wenn ich auch nur drei Zentimeter von ihm entfernt gestanden bin. Er wollte immer, dass ich vor ihm gehe und nie hinter ihm. Damit er mich immer im Auge behalten kann. Und ... ich konnte mich keiner Menschenseele anvertrauen, weil er drohte mir immer damit, dass er ... dass er den Menschen etwa antun würde, wenn ich etwas sage. Dass er sie umbrächte. Jeden Mitwisser sozusagen beseitigen würde. Und das konnte ich nicht riskieren.

Frage: Wie war denn das für Sie, wenn Sie sich jetzt überlegen: Sie haben eigentlich viele Menschen getroffen.
Natascha: Ja, sicher.

Frage: Viele? Einige. Denen haben Sie in die Augen geschaut.

Natascha: Ja, schon. Es gab auch viele Menschen, denen ich versucht habe, Zeichen zu geben. Es gab auch schon viele Sachen, wo es eigentlich ...

Frage: Die Leute denken natürlich in dem Moment nicht an so was. Und kommen nicht auf die Idee. Ich hab zum Beispiel in einer Zeitung gelesen, dass dieser Mann ...
Natascha: Das stimmt auch. Weil ich mich an diese Begebenheit erinnern kann. Viele Sachen stimmen natürlich nicht.

Frage: Ich habe gelesen, dass ...
Natascha: In Oberösterreich? Das war aber nicht in Oberösterreich.

Frage: Aber diese Geschichte: Sie waren wirklich in einem Geschäft und haben versucht, mit dem Verkäufer Kontakt aufzunehmen.

Natascha: Ja, mit vielen Leuten. Aber generell ... Ich konnte denen ... Also, es war nicht genug Zeit, dass ich denen das erläutere. Hätte ich auch nur einen Mucks gemacht, hätte er das schon unterbunden und mich weggezerrt oder ... Selbst wenn es dann zu spät gewesen wäre, hätte er die Person umgebracht oder mich umgebracht. Oder was auch immer. Ich musste immer mit der ... Ja, es war furchtbar. Aber wo? Sie haben mich jetzt abgebracht von dem Thema. Was haben wir zuerst gerade gesprochen?

Frage: Eigentlich schon über das.
Natascha: Schon, aber was haben Sie genau gesagt?

Frage: Sie haben Menschen getroffen.
Natascha: Ja, genau.

Frage: Wie war das, wenn Sie denen in die Augen geschaut haben?
Natascha: Ja, beispielsweise die netten ... Diese netten Verkäufer im Baumarkt zum Beispiel. Die einen dann so fragen: Kann ich Ihnen helfen? Und ich steh da so panikartig und verklemmt ... mit Herzklopfen und Kreislaufproblemen dort. Und ich kann mich kaum rühren. Und ich muss dann so hilflos zuschauen, wie der dann den Verkäufer abwimmelt. Ich hab gerade noch die Möglichkeit, den Verkäufer anzulächeln, weil er so freundlich ist. Ich meine, der weiß das ja nicht. Und ... ja. Es ... ist ... Ich hab nämlich immer versucht, ein bisschen so ... zu lächeln, so wie ich auf den Fotos ausschaue, damit die Leute sich an mein Bild erinnern. Weil auf Fotos lächelt man ja meistens. Ja. Also ... Es war manchmal wirklich? ... Und ich hab am Anfang auch die Menschen nicht so vertragen. Ich war es ja nicht gewohnt. Und viele Menschen sind sehr missmutig und feindselig. Das ist natürlich auch sehr unangenehm.

Frage: Wenn Sie wollen – ich habe nur die Frage: Wenn Sie sie nicht beantworten wollen, sagen Sie sofort stopp. Nur um das zu verstehen. Dieses Verhältnis zu Herrn Priklopil, der auf der einen Seite Sie total überwacht hat.
Natascha: Ja.

Frage: Der Sie kontrolliert hat. Sie entführt hat.
Natascha: Ja.

Frage: Wie war sein Wesen? Wie war er? Wenn man jeden Tag mit diesem Menschen zu tun hat,... haben muss.
Natascha: Hin und wieder hat er mir sogar sozusagen in gewisser Weise vorgeschlagen, wie ich ihn sozusagen hintergehen könnte und fliehen könnte. Also innerhalb von seiner Paranoia ist ihm das sozusagen eingefallen. Es war fast so, als würde er absichtlich wollen, dass irgendwann, dass ich irgendwann einmal frei bin. Dass es schief läuft. Irgendwie, dass die Gerechtigkeit siegt oder so.

Frage: Was war am Tag der Flucht anders als sonst? Wo Sie sich immer so bedroht gefühlt haben?
Natascha: Ich wusste in dem Moment, ... wenn nicht jetzt, dann vielleicht nie mehr wieder. Ich hab ... geschaut. Er hat sich umgedreht. Ich hab ihm in den Monaten davor auch gesagt: Ich kann so nicht mehr leben. Ich werde sicherlich versuchen, von dir zu fliehen. Und ... Ja, ich dachte mir: Wenn nicht jetzt ... Ich hatte auch eine irrsinnige Sorge ... Seiner Mutter und seinen näheren Freunden und Nachbarn und Bekannten ihr Weltbild zu ruinieren. Und zu zerstören. Weil schließlich ... Sie wissen eh, er war sozusagen, der nette hilfsbereite Typ. Immer freundlich, immer korrekt. Ich wollte das auch seiner Mutter nicht antun, dass sie diese andere Seite von ihrem Sohn kennen lernt. Da das schon sehr durchgedrungen ist zu mir, dass sie ein sehr gutes Verhältnis zu ihm hat. Dass sie ihn sehr liebt, und er auch sie mochte. Sehr. Ja. Und ... es tut mir auch jetzt irrsinnig leid für die Frau Priklopil. Dass dieses Bild sozusagen zerstört ist. Und sie hat ihren Glauben an die Welt verloren an diesem Tag. Und ihren Glauben an ihrem Sohn. Und ihren Sohn auch. Und ... Der Herr Priklopil hat an diesem Tag sowohl mich ... Ich war mir völlig bewusst wie ich geflohen bin, dass ich damit auch ihn zum Tode verurteile, weil er mir immer mit Selbstmord drohte. Er hat sowohl mich als auch den Herrn, der ihn zum Bahnhof fuhr, und auch den Schnellbahnschaffner indirekt zum Mörder gemacht.

Frage: Wie haben Sie es gelernt, in diesen acht Jahren mit dieser Einsamkeit umzugehen?
Natascha: Ja, also ich war nicht einsam. In meinem Herzen war meine Familie. Und ... Glückliche Erinnerungen waren immer bei mir. Und ich hab

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