Am Ballhausplatz gab es nach der Angelobung der ersten türkis-grünen Regierung Applaus.
Wien. Ein Tag der Premieren: Der erste grüne Bundespräsident Alexander Van der Bellen gelobte in der Hofburg die erste türkis-grüne Regierung Österreichs an. Werner Kogler ist der erste grüne Vizekanzler und der Erste, der zur Angelobung ohne Krawatte erschien. Sebastian Kurz ist der erste Regierungschef, der mehr Frauen als Männer als Minister hat. Mit Alma Zadic hat die erste Justizministerin Migrationshintergrund. Und mit Klaudia Tanner – Oberbefehlshaber Alexander Van der Bellen unterhielt sich auffallend lang mit ihr – wird erstmals eine Frau Verteidigungsministerin.
Zum ersten Mal erhält eine Regierung zudem mit Karoline Edtstadler eine Europa-, mit Susanne Raab eine Integrations- und mit Christine Aschbacher eine Arbeits- und Familienministerin.
Ebenfalls neu: Leonore Gewessler, die mit dem Rad zur Angelobung kam, leitet künftig mit Umwelt und Infrastruktur in einer Hand ein Super-Ministerium. Die Premiere für die insgesamt 15 Regierungsmitglieder und zwei Staatssekretäre fand jedenfalls in ausgelassener Stimmung statt. Die zwölf Türkisen und fünf Grünen scherzten miteinander.
Bundespräsident: "Reden Sie auch mit Ihren Gegnern"
Appell. Der Bundespräsident nützte seine kurze Ansprache vor dem neuen Team in den altehrwürdigen Räumlichkeiten der Hofburg für einen Appell: „Heute schließt sich der Kreis. Seien Sie eine rot-weiß-rote Regierung. Reden Sie mit allen – mit Ihren Freunden und Gegnern.“
Acht Monate, nachdem Heinz-Christian Straches Skandalaussagen in Ibiza die damalige türkis-blaue Regierung zum Platzen brachten, hat Österreich „endlich wieder eine handlungsfähige Regierung“, freute sich jedenfalls der nach wie vor jüngste Regierungschef Europas. Für ihn war die Stimmung bei der Angelobung wohl eine andere als 2017.
Applaus. Als Kurz und seine türkis-grünen Minister nach der Angelobung über den Ballhausplatz marschierten, klatschten einige Zuschauer wohlwollend. Österreichs Demokratie sei „lebendig. Sie hat die Kraft zur Selbstreinigung“, sagte Van der Bellen mit einem Seitenhieb auf die Skandale vergangener Monate. Und bedankte sich bei der ersten Kanzlerin Österreichs, Brigitte Bierlein. Isabelle Daniel
Erste Reise führt Kurz am Sonntag nach Brüssel
Eine lange Einarbeitungszeit hat Kurz jedenfalls nicht: Schon am Sonntag fliegt der neue, alte Kanzler zu EU-Chefin Ursula von der Leyen nach Brüssel.
Kurz: "Steuerreform ist 2021 und 2022 geplant"
Bundeskanzler Sebastian Kurz im Talk mit oe24.TV.
oe24.TV: Werner Kogler und Sie waren einander nicht immer grün. Er hat Sie ja einmal als Schnösel bezeichnet …
Sebastian Kurz: Ich habe ihn nie beleidigt. Es stimmt, dass wir zwei unterschiedliche Persönlichkeiten sind. Was ich an ihm schätze, ist seine Handschlagqualität und dass man Dinge vertrauensvoll mit ihm besprechen kann. Darum glaube ich, dass die Zusammenarbeit gut funktionieren kann.
oe24.TV: Beide haben Sie viele Wahlversprechen durchgebracht. Sie schreiben ja fast Türkis-Blau fort …
Kurz: Wir nehmen keine Beschlüsse zurück, die wir mit der FPÖ gefasst haben und die gut sind. Es ist wichtig, unsere konsequente Linie in der Migrationspolitik fortzusetzen. Auf der anderen Seite, beim Umweltschutz, haben die Grünen ihre Punkte eingebracht – das ist das Erfolgsgeheimnis.
oe24.TV: Wann kommt die Steuerreform? Warum fällt die kalte Progression nicht?
Kurz: Die kalte Progression abzuschaffen ist nach wie vor unser Ziel. Aber die Senkung der Lohn- und Einkommenssteuer ist vom Volumen her größer. Daher hat sie Priorität. Der erste Teil der Steuerreform kommt mit 1. Jänner 2021, Teil 2 dann 2022.
oe24.TV: Wann kommt das 3-Euro-Öffi-Ticket?
Kurz: Wir werden uns bemühen, das möglichst zeitnah auf den Weg zu bringen. Das wird eines der wichtigen Projekte der neuen Infrastrukturministerin sein.
oe24.TV: Gegen eine Ministerin, Alma Zadic, machen die Rechten mobil. Gibt es dazu ein Wort des Kanzlers?
Kurz: Ja, zum einen verurteile ich das, zum anderen sollte man Personen, die da im anonymen Raum Postings absetzen, nicht zu viel Raum geben.
Stolz, strahlende Gesichert und viele Freudentränen
Herzlich und bewegend: So feierten die Familien mit den neuen Ministern in der Hofburg.
© TZOe Artner
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Zeremonie. Am Ende atmet er tief durch, lächelt: „Ich bin so stolz auf sie“, so Leo (18), gelernter Zimmerer und Sohn von Karoline Edtstadler (38), ÖVP-Europaministerin. Neben ihm Theresa Edtstadler (31), Schwester der Ministerin aus Elixhausen in Salzburg: „Ein großer Moment für uns.“
Familie. Angelobung – ein sympathisches Familienfest: Van der Bellen fühlt sich wohl. Kanzler Sebastian Kurz, Angelobungsprofi, hat seine Freundin Susanne Thier an seiner Seite, Eltern, Cousine. Vizekanzler Werner Kogler kommt mit Lebensgefährtin Sabine Jungwirth. Er hat als Einziger keine Krawatte.
Neben Thier die hochschwangere TV-Moderatorin Clivia Treidl, Freundin von VP-Finanzminister Gernot Blümel. ÖVP-Verteidigungsministerin Klaudia Tanner freut sich mit Ehemann Martin, ihrer 14-jährigen Tochter, ihren Eltern. Katharina Nehammer, Ehefrau des ÖVP-Innenministers, hat ihre beiden Kinder dabei, ein Bub, ein Mädchen.
Stolz. Neben der grünen Justizministerin Alma Zadic freuen sich still ihre Eltern. Sie stammen aus Tuzla in Bosnien, kamen als Flüchtlinge nach Österreich. Alma Zadic war 10, sprach kein Wort Deutsch – jetzt
Ministerin.
Ruhig. Gestützt am Gehstock verfolgt Wolfgang Schallenberg, Vater des Außenministers und selbst einst Diplomat, die Zeremonie. Familienministerin Christine Aschbacher wird von Ehemann, Vater und dem ältesten Sohn begleitet, Heinz Faßmann hat Frau und Sohn Jürgen mit. ÖVP-Ministerin Margarete Schramböck Lebensgefährten Marcel, Elisabeth Köstinger Thomas Kassl, ihren Lebensgefährten. Sozialminister Rudi Anschober seine Langzeitfreundin Petra Ramsauer. K. Wendl