Im ersten Interview nach der Wahl zeigt sich Finanzminister Karl-Heinz Grasser bereit für eine Rolle in der Großen Koalition.
ÖSTERREICH: Sie waren vor der Wahl der größte Skeptiker der Großen
Koalition?
GRASSER: Mein Motto ist: Der Wähler hat immer recht. Der
Wähler hat entschieden, daher haben die Parteien eine Regierung in seinem
Sinn zu formen. Wenn sich Grüne und FP verweigern, bleiben nur zwei übrig:
SPÖ und ÖVP. Daher glaube ich, dass es richtig und ein konstruktiver Weg
ist, dass die ÖVP in diese Verhandlungen hineingegangen ist. Neuwahlen wären
für mich ein ganz falscher Schritt.
ÖSTERREICH: Sie waren immer gegen eine Große Koalition.
GRASSER:
Von der Papierform her ja. Aber entscheidend ist nur der Inhalt und die
Ambition. Neuwahlen sind indiskutabel. Verantwortungsvoll sind nur jene, die
sagen: Wir akzeptieren den Wunsch des Wählers – und der hat entschieden,
dass er eine stabile Regierung will. Aber die Große Koalition wird nur dann
Existenzberechtigung haben, wenn sie wirklich die großen Probleme löst.
Deswegen sage ich: Schluss mit Kleinkariertheit, Schluss mit dem
parteipolitischen Hick-Hack, konzentrieren wir uns auf die großen Probleme
des Landes: Jugendbeschäftigung, Arbeitsmarkt ankurbeln, Kaufkraft heben,
raus aus der Armutsfalle vor allem für Pensionisten. Aber auch:
Zuwanderungsstopp, freie Ladenöffnung.
ÖSTERREICH: Sie stehen einer Großen Koalition also zu meiner
Überraschung höchst positiv gegenüber?
GRASSER: Wenn
sie den großen Schritt im Inhalt, im Programm schafft, wenn sie dieses
Projekt mit hoher Ambition angeht, wenn sie die Vision hat, Österreich zu
Europas Nummer 1 als Wirtschafts- und Arbeitsstandort zu machen, wenn sie
Vollbeschäftigung und Bekämpfung der Armut schafft - dann Ja!
ÖSTERREICH: Das klingt nicht gerade nach Ausstieg aus der Politik, den
Sie überlegt haben. Das klingt eher wie einer, der bereit ist, Vizekanzler
zu werden.
GRASSER: Für mich entscheidet der Inhalt. Erst wenn der
Inhalt einer Koalitionsvereinbarung steht, entscheide ich, wohin für mich
die Reise geht
ÖSTERREICH: Sind Sie bereit, in einer Großen Koalition mitzumachen?
GRASSER:
Ich bin bereit, in einer Großen Koalition mitzumachen, wenn ein großes
Programm, eine Vision da ist, wenn man sieht, das zahlt sich aus für die
österreichische Bevölkerung - dann natürlich Ja! Aber zuerst muss die
Reiseroute definiert sein.
ÖSTERREICH: Einen Abschied aus der Politik wird es in den nächsten Tagen
nicht geben?
GRASSER: Überhaupt nicht. Ich versuche jetzt, mich
bestmöglich in die Verhandlungen einzubringen, versuche, meine Handschrift
in der Finanz- und Wirtschaftspolitik unterzubringen - aber auch darüber
hinaus: Ich will einen Zuwanderungsstopp, keinen EU-Beitritt der Türkei.
ÖSTERREICH: Daraus kann man schließen: Wenn die Inhalte stimmen, bleiben
Sie auch in einer Großen Koalition Finanzminister.
GRASSER: Ich
bin in den letzten Wochen als so viel gehandelt worden: Einmal als
Bauernopfer, dann als Doch-Finanzminister, dann in einer Zeitung als
ÖVP-Spitzenkandidat für Neuwahlen, dann in Ihrer Zeitung als Vizekanzler.
Ich habe dazu sehr lange geschwiegen, habe versucht mich medial
zurückzuhalten. Sie durchbrechen das heute. Deshalb sag ich ganz ehrlich: Es
gibt zwei Varianten. Die eine sind attraktive Angebote aus der
Privatwirtschaft, die ich gottseidank habe – und auf der anderen Seite der
Reiz, das Land zu gestalten. Wenn ich einen Beitrag leisten kann für mein
Land, dann ist das das höchste Gut. Aber das macht nur dann einen Sinn, wenn
es eine Regierung gibt, die Vertrauen zueinander hat.
ÖSTERREICH: Hat Ihnen Wolfgang Schüssel den Vizekanzler in einer Großen
Koalition angeboten?
GRASSER: Ich werde über vertrauliche Gespräche
nicht reden. Wolfgang Schüssel, Willi Molterer und ich haben eine Reihe von
Diskussionen, weil uns ein Vertrauensverhältnis verbindet. Wir diskutieren,
warum die ÖVP die Wahl verloren hat, ob es einen Sinn hat, in eine Große
Koalition hineinzugehen, was wir an inhaltlichen Ansprüchen haben - und dass
ein Stillstand wie in der alten Großen Koalition keinen Sinn macht.
ÖSTERREICH: Noch einmal: Wurde Ihnen der Vizekanzler letzte Woche
angeboten?
GRASSER: Ich kommentiere das nicht.
ÖSTERREICH: Dementieren Sie es? Ein klares Wort?
GRASSER:
Es gibt zwei Optionen. Die eine ist, in die Privatwirtschaft zu gehen - oder
ich entscheide mich, in der Politik zu bleiben. Und ich werde die
Entscheidung, welchen Weg ich gehen will, ganz alleine treffen.
ÖSTERREICH: Welchen Horizont haben Sie für die Bildung einer Großen
Koalition?
GRASSER: Ich glaube, die Bevölkerung hat ein Recht,
möglichst schnell eine stabile Regierung zu haben. Mir persönlich wäre es
deshalb ein großes Anliegen, dass diese Regierungsbildung rasch weitergeht.
Das Bekenntnis beider, zusammenarbeiten zu wollen, ist jetzt ja da. Wenn
dieses Bekenntnis ehrlich ist und man vertrauensvoll aufeinander zugeht,
dann kann die Regierungsbildung bis Weihnachten fertig sein. In vier, fünf
Wochen muss man doch den Inhalt so festlegen können, dass das wirklich ein
großer Wurf für unser Land wird. Das ist möglich.
ÖSTERREICH: Dass die Regierung bis Weihnachten steht, ist für sie also
realistisch?
GRASSER: Das muss der Anspruch sein - und dann ist es
realistisch. Mein Ziel ist es.
ÖSTERREICH: Ihre Entscheidung fällt vor Weihnachten?
GRASSER:
Meine Entscheidung hängt davon ab, wie beide Parteien miteinander umgehen.
Wenn man versucht, die Braut am Weg zum Altar dauernd anzupatzen, wenn man
aus dem Bankenausschuss parteipolitisches Hick-Hack, aus dem
Eurofighterausschuss ein Tribunal macht, wenn jeder jedem das Hackl ins
Kreuz haut, dann steh' ich nicht zur Verfügung. Die letzten Tage haben
wieder das ganze Misstrauen der SPÖ gezeigt, die alten Wunden. Das muss man
vergessen. Man muss bereit sein zu sagen: Schwamm drüber über die
Vergangenheit - wir gehen das jetzt neu an und wollen in der politischen
Champions League ganz vorne mitspielen.
ÖSTERREICH: Und Sie als Meist-Geprügelter der SPÖ, Sie wären bereit, mit
Gusenbauer zusammen in einer Regierung zu arbeiten?
GRASSER: Wenn
man sagt: Es ist ein Neustart und ein Neubeginn, dann habe ich kein Problem
damit, dann bin ich bereit an einer Regierung mitzuarbeiten, wenn die ÖVP
das will. Ich bin kein nachtragender Mensch. Ich bin auch jemand, der die
Parteipolitik nicht besonders ernst nimmt. Ich kann mit allen
zusammenarbeiten, wenn es ein gemeinsames Wollen gibt.