Ein Kommentar von ÖSTERREICH-Politik-Chefredakteurin Isabelle Daniel.
Schock. „Sagt Nein zu Le Pen“, konnte man exakt vor 20 Jahren auf den Titelseiten der führenden französischen Zeitungen lesen. 2002 stand die überwiegende Mehrheit Frankreichs unter Schock. Jean Marie Le Pen – der damalige Führer des rechtsextremen Front national“ – hatte es mit 16,86 % überraschend erstmals in die Stichwahl um das Präsidentenamt gegen Chirac (19,88 %) geschafft. Alle Parteien, zivilen Gruppen, Medien standen auf. Le Pen wurde deklassiert, Chirac triumphierte mit 82,2 % in der Stichwahl. Heute ist Frankreich wieder im Schockzustand: Le Pens Tochter, Marine, steht mit 45 % vor den Toren des Élysée – Nähe zu Putin hin oder her.
Sanft und links. Die sonst so aggressive älteste Tochter Le Pens versuchte sich ruhiger zu geben und rutschte in der Sozialpolitik immer mehr nach links. Hat sich Le Pen aber gewandelt? Mitnichten. In ihrer Partei tummeln sich nach wie vor Neonazis, Putinisten und Orbánisten. Ihre Bewegung steht gegen alles, was liberale Demokratien ausmacht. Ihr Sieg würde nicht nur Frankreich – er würde die ganze EU gefährden und Putin stärken. Ihr Durchmarsch ist freilich nicht überraschend. 20 Jahre lang hatte das einst so stolze Land Zeit, die Abstiegsängste der Mittelschicht und die Sorgen der Zurückgelassenen ernst zu nehmen.
Aufwachen. Macron dürfte es nochmal schaffen „die Katastrophe zu verhindern“. Aber Frankreich muss aufwachen, wenn es die Schlüssel zum Élysée nicht den Lakaien Putins übergeben will.