Fischer-Brief

Das Schreiben im Wortlaut

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Bundespräsident Heinz Fischer reagiert auf den Brief von " ÖSTERREICH" am 11. November 2006 mit einem Antwortschreiben.

Der Bundespräsident
Dr. Heinz Fischer

Wien, 11. November 2006

Sehr geehrter Herr Chefredakteur!

Im „ÖSTERREICH“ vom 7. November 2006 haben Sie im Namen Ihrer Leserinnen und Leser einen Brief an mich veröffentlicht, in dem Sie die Lahmlegung der politischen Arbeit in Österreich durch überlange bzw. gar nicht stattfindende Koalitionsverhandlungen beklagen.

Sie verlangen vom Bundespräsidenten entsprechende Aktivitäten und nötigenfalls die umgehende Durchsetzung von Neuwahlen.

Es entspricht meinem Amtsverständnis als Bundespräsident auf die Meinung der Bürgerinnen und Bürger zu hören und Anregungen ernst zu nehmen.

Gleichzeitig kann ich aber auch nicht darauf verzichten jeden Schritt sorgfältig auf seine Verfassungsmäßigkeit und auf seine Übereinstimmung mit den Gesamtinteressen unseres Landes zu prüfen. Außerdem ist es unübersehbar wie unterschiedlich die Auffassungen gerade zum Thema Regierungsbildung sind.

Manchmal habe ich sogar den Eindruck, dass der Wahlkampf noch gar nicht wirklich beendet ist – oder schon wieder begonnen hat – wenn ich mir verschiedene Äußerungen von Politikern, aber auch die Emotionalität in manchen Stellungnahmen, Leserbriefen oder öffentlichen Diskussionen vor Augen halte.

Lassen Sie mich daher folgende Fakten festhalten bzw. in Erinnerung rufen.

1. Das Wahlresultat vom 1. Oktober hat eine komplizierte Situation geschaffen: Eine Partei allein kann keine Mehrheit bilden; zwei Parteien können nur im Rahmen einer Großen Koalition eine Mehrheit bilden, was ich nach wie vor für eine sinnvolle Variante halte.

Und eine Mehrheit, die aus einer großen und zwei kleinen Parteien gebildet werden soll, würde voraussetzen, dass entweder die Grünen mit FPÖ oder BZÖ in eine gemeinsame Regierung eintreten oder die Freiheitlichen mit dem BZÖ oder den Grünen.

Daher hat sich das Augenmerk zuletzt verstärkt auch auf eine Minderheitsregierung oder auf Neuwahlen gerichtet.

2. Im Hinblick auf die unübersehbar wachsende Ungeduld in der Bevölkerung habe ich kürzlich die Bitte um „ein bisschen Geduld“ geäußert.

Dies einerseits im Hinblick auf meine feste Überzeugung, dass gerade bei einer Regierungsbildung (so wie auch bei anderen wichtigen Dingen im Leben) Qualität vor Schnelligkeit Vorrang haben sollte.

Andererseits darf ich in Erinnerung rufen, dass die relativ schnelle und reibungslose Bildung einer Minderheitsregierung durch Bruno Kreisky im Jahre 1970 genau 51 Tage gedauert hat und seit der letzten Nationalratswahl bis heute (11. November) genau 42 Tage vergangen sind. Dass andere Regierungsbildungen in Österreich noch viel länger gedauert haben ist allgemein bekannt – wenn auch mit Sicherheit kein empfehlenswertes Beispiel.

3. Zu der speziellen Forderung nach sofortigen Neuwahlen möchte ich zunächst feststellen, dass in diesem Punkt die Meinungen in der Bevölkerung (und auch in den Leserbriefspalten der österreichischen Zeitungen) besonders deutlich geteilt sind.

Ich selbst habe größten Respekt vor einer Wählerentscheidung und bin der Meinung, dass die Bürgerinnen und Bürger einen Anspruch darauf haben, dass nach einer Wahl (die viel Geld und viel Kraft und viel Zeit kostet) mit größtem Nachdruck die Bildung einer entsprechenden Bundesregierung versucht werden muss.

Schließlich ist der Wähler der Souverän. Und man kann den Souverän nicht so lange zu den Wahlurnen schicken bis das Ergebnis passt.

Dazu kommt, dass die jüngsten Gespräche zwischen dem mit der Regierungsbildung beauftragten SPÖ-Obmann Dr. Alfred Gusenbauer und ÖVP-Obmann Dr. Wolfgang Schüssel erkennen lassen, dass es doch Bereitschaft zu weiteren Gesprächen gibt, sodass die Hoffnung auf die Bildung einer Bundesregierung auf breiter politischer Basis nicht vorschnell aufgegeben werden sollte.

Ich bestreite nicht, dass der Nationalrat mit einfacher Mehrheit selbst die vorzeitige Beendigung einer Gesetzgebungsperiode beschließen kann. Er muss dann aber auch die Verantwortung für einen solchen Beschluss übernehmen.

4. Ich selbst werde weiterhin und verstärkt die Bemühungen zur Bildung einer Bundesregierung im Rahmen meiner verfassungsmäßigen Möglichkeiten unterstützen. Gleichzeitig werde ich nicht außer Acht lassen, dass die Österreicherinnen und Österreicher vom Bundespräsidenten erwarten, dass er seine Rolle als ruhender Pol, als ausgleichender Faktor in der Politik und als jemand, der um Fairness und Augenmaß bemüht ist, treu bleibt und sich nicht in parteipolitische Auseinandersetzungen hineinziehen lässt. Dem dient ja auch die Arbeitsteilung, die es bei einer Regierungsbildung zwischen dem Bundespräsidenten und der mit der Regierungsbildung vom Bundespräsidenten beauftragten Persönlichkeit gibt.

Vor einen „gordischen Knoten“ gestellt kann und soll der Bundespräsident in einer Demokratie nicht versuchen diesen mit einem Schwert zu durchschlagen, sondern er hat die Aufgabe mitzuhelfen, dass dieser mit Umsicht und Geduld aufgelöst werden kann.

Ich verbleibe mit freundlichen Grüßen

Ihr Heinz Fischer

Herrn Chefredakteur
Wolfgang FELLNER
„ÖSTERREICH“ Zeitungsverlag GmbH
Friedrichstraße 10
1010 W i e n

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