In der Visa-Affäre packt ein Zeuge über die Erpressung aus: Angeblich gab es Bilder des Missionschefs mit einer Prostituierten.
Am zweiten Verhandlungstag gegen den ehemaligen Botschafter in Kiew, Michael Miess, im Wiener Landesgericht hat sich der Schöffensenat unter Vorsitz von Richter Andreas Böhm vorrangig mit der mutmaßlich amtsmissbräuchlichen Vergabe von insgesamt rund 500 Schengen-Visa an Ukrainer in den Jahren 2003 und 2004 beschäftigt. Ein Zeuge sagte aus, er schließe auch einen Fall der Erpressung des Diplomaten nicht aus, der anders als der im vorangegangenen Visa-Prozess verurteilte Ex-Vizekonsul von Budapest kein Schmiergeld genommen hat
"Chaotische" Behörde
Während der vom Dienst
suspendierte Botschafter und sein Verteidiger Thomas Herzka versuchten, die
Hilfsbereitschaft des Botschafters in einer allen Aussagen zufolge
"chaotischen" Vertretungsbehörde darzustellen und dem Außenministerium den
Schwarzen Peter zuzuschieben, schilderten zwei Zeugen zum einen die
Lobbying-Praxis österreichischer Touristiker in der Ukraine, zum anderen die
"liberale" Visa-Vergabepraxis des Angeklagten.
Österreich Lobby habe Druck ausgeübt
"Die Österreich
Werbung hat Lobbying gemacht, auch die Handelskammer, die AUA, Raika", sagte
der ehemalige Botschaftsmitarbeiter in Kiew, Nicolaus Keller. "Sie haben
versucht, direkt Druck auf alle auszuüben; auf den Konsul, mich, und auch
auf den Botschafter."
Offenes Ohr für ukrainische Reisebüros
Denkbar ist nach
zwei Verhandlungstagen und der Anhörung von neun Zeugen zumindest, dass der
Ex-Botschafter ein offenes Ohr für die Klagen ukrainischer Reisebüros über
lange Bearbeitungsdauer der Anträge und zu restriktive Handhabung bei der
Visa-Erteilung hatte. Er hatte zuvor den "florierenden" Wintertourismus aus
der Ukraine nach Österreich geschildert und ausgesagt, er habe sich "immer
gewehrt, dass man alle Touristen als potenzielle Migranten sieht".
Gefälschte Ein- und Ausreisestempel
Im Falle der in den
Augen der Staatsanwaltschaft nicht unumstrittenen Reisebüros "Lia" und
"Knaus" bestätigte der 54-Jährige - der eigenen Angaben zufolge "auch aus
dem Tourismus" kommt - dem Gericht die eigenständige Überprüfung der
Visa-Anträge. In einem Fall genehmigte der ehemalige Kiewer Missionschef 21
Reisenden, vornehmlich Frauen mittleren Alters, die Schengen-Einreise
entgegen der Einschätzung der Konsulatsmitarbeiter. Bei einer Kontrolle nach
Ende der vorgegebenen Reise stellte sich heraus, dass Ein- und
Ausreisestempel gefälscht waren. Der Botschafter meinte, er sei "schockiert"
gewesen.
Zeuge: Botschafter wurde erpresst
Weitaus spektakulärer, aber nur
von einem Zeugen vorgebracht: Die Vermutung, der Botschafter sei erpresst
worden. Der ukrainische Geheimdienst, sagte Oberstleutnant Johannes Dullnig
aus, solle über Fotos des Diplomaten mit Prostituierten verfügen. Bekannt
sei ihm dies von einem Herrn Bosch, der dies 2003 auch an das BIA (Büro für
Interne Angelegenheiten) gemeldet habe. Eine anschließende Verleumdungsklage
gegen diesen Herrn Bosch sei eingestellt worden, was diesen für Dullnig
glaubwürdig macht.
Ukraine gar kein "Hochrisikoland"?
Den Vorwurf der
Verteidigung an das Außenministerium, dass es zum damaligen Zeitpunkt in
hauseigenen Richtlinien die Ukraine nicht als Hochrisikoland in Sachen
Migration eingestuft habe, weist dieses strikt zurück. "Das ist eine Sache
allgemeiner Lebenserfahrung, das muss man nicht eigens mitteilen", betonte
Lux. Auch Außenamts-Sprecher Peter Launsky-Tieffenthal sagte am Dienstag,
dass dies "klar gewesen" sei; zudem müssten Botschafter vor Versetzung an
den Dienstort grundsätzlich "nicht nur in unserem Haus" Instruktionen
einholen.