An Österreich

Ex-Flüchtling schreibt offenen Brief

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Unternehmer Mahlodji hofft, dass Österreich sich wieder auf seine Stärken besinnt.

Ali Mahlodji, erfolgreicher Jung-Unternehmer und Gründer der Internet-Plattform "whatchado", versucht mit einem offenen Brief „an Österreich, meine Heimat und langjährigster Freund meiner Familie“ die österreichische Öffentlichkeit in der Asyl-Debatte wachzurütteln.

"Erkenne Land nicht wieder"

Mahlodji, der mit seiner Familie aus dem Iran flüchtete, 1985 in Wien ankam und seit 1991 die österreichische Staatsbürgerschaft annahm, schreibt, dass er das Land, das ihm und seiner Familie auf der Flucht so geholfen hat, gar nicht wiedererkenne.

"Unmenschlichkeit, Leid und Unfähigkeit"

„Ohne deinem geordneten Umfeld, deiner vielfältigen Kultur und deiner sanften und diplomatischen Weitsicht, wäre ich wahrscheinlich untergegangen.“ Doch der Umgang mit der jetzigen Flüchtlings-Krise lässt Mahlodji an Österreich zweifeln. Das Land habe sich verändert: „Unmenschlichkeit, Leid und Unfähigkeit“ herrschen vor. Doch er werde nicht aufgeben: „Besinn dich auf deine Stärken zurück“, schließt Mahlodji den Brief ab, „mach mich wieder stolz … mach dich wieder stolz.“

 

Der offene Brief im Wortlaut:

Liebes Österreich,

was ist los mit dir? Ich erkenne dich gar nicht wieder!

Ich will nicht jammern und einer dieser “früher war alles besser” Typen sein, aber Hey! früher warst du echt nicht so fremd und so weit weg von deinen Prinzipien.

Mir kommt es vor, als würdest du dich selbst nicht mehr spüren, dich nicht mehr kennen und zerrissen sein … als wärst du irritiert, zwischen den Welten gefangen und dir nicht mehr sicher, wofür du stehst.

Als wir uns kennenlernten, waren meine Eltern und ich gerade aus unserer Heimat geflohen.

Wir flohen, weil wir nicht sterben wollten – noch nicht jetzt, dafür waren wir zu jung und hatten zu wenig von der Welt gesehen.

Wir flohen, weil wir für unsere Freiheit einstanden – ein Gut, für das du seit je her stehst und das dich zur Heimat von Millionen macht.

Wir flohen, weil unser Gedankengut anderen ein Dorn im Auge war.

Wir flohen … weil wir mussten.

Nicht freiwillig, nicht geplant, nicht gewollt.

Wir verloren alles, unsere Heimat, unsere Freunde, unsere Familien, einen Teil unserer Identität und fanden diese bei dir, unserem neuen Freund, der uns aufnahm, als wir es am nötigsten hatten.

In dir fanden wir Frieden, in dir sahen wir Hoffnung, in dir entdecken wir Ruhe und Weitsicht und bei dir fanden wir unsere neue Heimat … meine Heimat und eines Tages auch die Heimat meiner Kinder.

So dachte ich zumindest.

Ich wuchs bei dir auf, wurde ab und zu damit konfrontiert, dass ich hier nicht willkommen war – fand aber auf jeden, der mich nicht wollte, hunderte, die mich mit offenen Armen aufnahmen und mich dabei unterstützen der Mensch zu werden, der ich heute bin.

Als ich in meiner Pubertät die Schule hinschmiss und Gefahr lief in einer Statistik zu landen, warst du darauf vorbereitet, botest mir Alternativen und ich konnte aus meinem Fehler lernen, konnte studieren, arbeiten und selbst Arbeitsplätze schaffen … ich konnte, als einst Fremder, und in den Augen vieler als “Fehler im System” abgestempelt, in diesem Land meine eigenen Schritte gehen, meine Träume leben und meine Fußstapfen hinterlassen.

Ohne deinem geordneten Umfeld, deiner vielfältigen Kultur und deiner sanften und diplomatischen Weitsicht, wäre ich wahrscheinlich untergegangen – bei dir konnte ich mich aber immer selbst überraschen und Wege gehen, die mir in anderen Ländern dieser Welt wohl verschlossen geblieben wären.

Ich werde in einer Woche 34 Jahre alt. Den Großteil meines Lebens habe ich bei dir verbracht, weiß aber nicht, ob ich den Rest bei dir verbringen möchte.

Du bist – auch aufgrund deiner Offenheit für Vielfalt – eine der herzlichsten und lebenswertesten Orte dieser Welt … und doch hast du dich verändert.

Du hast vergessen, dass Menschen, die bei dir Zuflucht suchen, dies nicht aus Habgier, Sucht oder materiellen Wünschen tun.

Du hast vergessen, dass du als Symbol für Neutralität und Sicherheit, ein Vorbild für Hoffnung bist.

Du hast vergessen, dass es auch Fremde und Gäste waren, die dieses Land groß gemacht haben.

Du hast vergessen, dass Toleranz die Größe ist, die Hetze und Fremdenverachtung überbrückt.

… und du hast vergessen, dass du viel mehr bist, als nur ein Flüchtlingsheim, dessen Name derzeit für Unmenschlichkeit, Leid und Unfähigkeit steht.

Mal ganz ehrlich, das hast du nicht nötig.

Steh auf und besinn dich auf deine Stärken zurück.

Steh auf und, verdammt noch mal, sorg dafür, das österreichische Gastfreundschaft nicht nur ein Modewort zwischen Schanigärten und Cafehäusern bleibt.

Steh auf und zeig allen, dass Österreich mehr als nur die Kombination von “Sound of Music” und Hetze gegen Fremde ist.

Es ist nicht leicht, ich weiß … aber wenn eine Seele dieser Welt, Ruhe, Freundschaft und Weitsicht in sich vereint, dann deine.

Mach mich wieder stolz … mach dich wieder stolz.

Ich glaube an dich,

Ali … Wiener im Herzen seit 1985, “echter” Österreicher seit 1991

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