Offener Brief

Kritik der ORF-Redakteure im Wortlaut

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"..das öffentliche Image des ORF noch nie so beschädigt wie in diesen Tagen"

Eine Gruppe von ORF-Redakteuren hat sich am Sonntag in einem offenen Brief an den Stiftungsrat mit heftiger Kritik an parteipolitischer Einflussnahme im ORF-Stiftungsrat zu Wort gemeldet. Anlass war die Abwahl von Informationsdirektor Elmar Oberhauser, die im - laut Gesetz unabhängigen - Stiftungsrat entlang genau umrissener parteipolitischer Grenzen von statten ging. Im Folgenden der Brief im Wortlaut:

"Sehr geehrte Damen und Herren!

Als engagierte ORF-Journalistinnen und Journalisten, die sich täglich um Unabhängigkeit bemühen, sind wir entsetzt. Wir wenden uns an Sie, weil wir uns große Sorgen um das Unternehmen machen, in dem wir seit vielen Jahren arbeiten. Sie sind als Aufsichtsorgane für das größte Medienunternehmen des Landes verantwortlich. Laut ORF-Gesetz sind Sie in dieser Funktion unabhängig und "an keine Weisungen und Aufträge gebunden". Spätestens nach den Ereignissen der letzten Wochen müssen wir aber ernsthaft daran zweifeln, dass eine Mehrzahl von Ihnen diese Gesetzesstelle (§19 (2))  ernst nimmt.

Das beunruhigt uns umso mehr, als in wenigen Monaten die Neuwahl der ORF-Geschäftsführung ansteht und davon auszugehen  ist, dass diese wieder das Ergebnis rein politisch motivierter Absprachen und personeller Tauschgeschäfte sein wird.

Bis heute kann uns niemand erklären, warum die große Mehrheit von angeblich unabhängigen Stiftungsratsmitgliedern in parteipolitischen "Freundeskreisen" engagiert ist. Warum diese "Freundeskreise" sogar eigene "Leiter" haben. Und warum alle Mitglieder dieser "Freundeskreise" (mit ganz seltenen Ausnahmen) nie anders abstimmen als ihre "Leiter".

Vergangene Woche war das wieder in bizarrer Deutlichkeit zu sehen - als ohne eine einzige Ausnahme sämtliche Mitglieder des #SPÖ-Freundeskreises" für die Absetzung des Informationsdirektors votiert haben (unterstützt vom Stiftungsrat der Grünen). Und sämtliche Mitglieder des #ÖVP-Freundeskreises# (plus BZÖ und FP) entweder dagegen gestimmt oder sich enthalten haben. Dass anschließend auch noch die Vorsitzende des Stiftungsrates allen Ernstes in einer Pressekonferenz erklärt, von einer "Lagerbildung" könne keine Rede sein ("Welche Lager meinen Sie?") und alle Räte hätten sich völlig "unabhängig" ihre Meinung gebildet, lässt uns fassungslos zurück.

Wäre es nicht Ihre Aufgabe gewesen, in dem peinlichen Konflikt zwischen Generaldirektor und Informationsdirektor eine Lösung zum Wohl des ORF zu suchen und Schaden vom Unternehmen abzuwenden, statt diesen Scherbenhaufen zurück zu lassen?

Seit wir als Journalistinnen und Journalisten hier arbeiten, war das öffentliche Image des ORF noch nie so beschädigt wie in diesen Tagen. Was haben Sie als unsere Aufsichtsräte dazu getan, das zu verhindern?

Vor allem von der Vorsitzenden des Stiftungsrates hätten wir uns in dieser für den ORF so heiklen Situation unparteiische Vermittlung erwartet. Aber welchen Wert sie politischer Unabhängigkeit zumisst, hat sie wenige Tage zuvor in einem Interview mit dem STANDARD unmissverständlich klar gemacht - mit ihrem Spott über "politische Nullgruppler", die "ihre Launen zum Programm erheben", während "eine politische Heimat ... Menschen auch einordenbar" mache. Weiß die Stiftungsratsvorsitzende nicht, dass ORF-JournalistInnen qua Gesetz sogar zur Unabhängigkeit verpflichtet sind?

Für die ORF-Geschäftsführungswahl 2011 lässt uns all das das Schlimmste befürchten! Wer immer vom Stiftungsrat gewählt werden will, wird auch diesmal gezwungen sein, politische Kuhhändel einzugehen und Personalpakete zu schnüren. Wer auch nur die geringsten Chancen haben will, darf nicht darauf hoffen, die Stiftungsräte von seinen/ihren Qualifikationen zu überzeugen. Denn, wie sich in diesen Tagen wieder einmal gezeigt hat, gehorcht die Mehrheit im Stiftungsrat dem Diktat von Parteisekretariaten. Das mag auch daran liegen, dass mit offenen Handzeichen votiert werden muss. Die Möglichkeit zur geheimen Abstimmung wurde bei der vorletzten Novellierung des ORF-Gesetzes abgeschafft.

Wir appellieren an Sie: Lösen Sie ihre politischen "Freundeskreise" im Stiftungsrat auf! Schließen Sie sich zu einem einzigen ORF-Freundeskreis zusammen. Stimmen Sie nach bestem Wissen ausschließlich im Interesse dieses wichtigen Unternehmens, seines Publikums und seiner vielen engagierten MitarbeiterInnen ab - und nicht nach irgendwelchen Vorgaben! Ermöglichen Sie dem ORF dadurch einen Neuanfang, der nach den letzten Wochen dringend nötig ist, auch im Interesse der gesamten österreichischen Öffentlichkeit.

Was ist das Schlimmste, das Ihnen dabei passieren kann? Ihre Aufgabe als Stiftungsrat ist ehrenamtlich, Sie alle sind erfolgreich in ihren Berufen und weder Politiker noch Parteiangestellte. Möglicherweise werden Sie nach fünf Jahren im Stiftungsrat von keiner Parteizentrale für eine weitere Periode nominiert. Das wäre der ORF allemal wert, oder?

Mit freundlichen Grüßen!

Dieter Bornemann, Redakteur ZiB-Wirtschaft

Eugen Freund, Redakteur ZiB-Außenpolitik

Lorenz Gallmetzer, Redakteur Weltjournal

Brigitte Handlos, Ressortleiterin ZiB-Chronik

Günter Kaindlstorfer, Moderator Kreuz+Quer,Ö1

Raimund Löw, EU-Korrespondent

Claudia Neuhauser, Leiterin Weltjournal

Andreas Pfeifer, Ressortleiter ZiB-Außenpolitik

Andrea Puschl, Leiterin Thema

Christian Schüller, Leiter Am Schauplatz

Hanno Settele, Washington-Korrespondent

Christoph Varga, Ressortleiter ZiB-Wirtschaft

Wolfgang Wagner, Sendungsverantwortlicher ZIB 2

Gabi Waldner, Moderatorin Report

Armin Wolf, ZiB2-Moderator"
 

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