Bundeskanzler Sebastian Kurz im großen ÖSTERREICH-Interview.
Wien. Kanzler Kurz erklärt im großen Sonntags-Interview, wie man mit der derzeitigen Corona-Lage umgeht.
ÖSTERREICH: Die Urlaubssaison beginnt jetzt. Fürchten Sie, dass das zu einer weiteren Ausbreitung des Coronavirus führen wird?
Sebastian Kurz: Wir haben eine Reihe an Vorkehrungen und Maßnahmen getroffen, um eine neuerliche Ausbreitung bestmöglich zu verhindern. Ich verstehe, dass die Menschen nach den vielen Monaten von Corona sich nach Entspannung, Ferien und Erholung sehnen. Ich kann nur an alle appellieren, weiter achtsam zu sein und die Abstands- und Hygieneregeln einzuhalten.
ÖSTERREICH: Sie und Anschober haben ein neues Corona-Ampelsystem angekündigt. Frankreich und Deutschland haben das bereits seit Längerem. Warum dauert das hier so?
Kurz: Jedes Land hat seinen eigenen Zugang und setzt seine eigenen Maßnahmen. Ich stimme mich zum Beispiel eng ab mit den sogenannten „First Mover“-Ländern, wie beispielsweise Australien, Neuseeland oder Dänemark. Insgesamt haben wir in Österreich recht schnell und richtig reagiert mit einem Shutdown. Laut einer Londoner Studie konnten wir dadurch über 60.000 Tote verhindern. Und auch jetzt haben wir trotz einiger Neuinfektionen die Lage im Griff, damit aus regionalen Glutnestern kein Flächenbrand wird.
ÖSTERREICH: Wiens Bürgermeister Ludwig lehnt es ab, die Wiener Bezirke einzeln in die Datenbank einzuspeisen, weil man nicht in einzelnen Bezirken unterschiedlich agieren könne.
Kurz: Je kleinteiliger wir vorgehen, desto mehr werden sich die Maßnahmen im Rahmen halten und umso weniger Menschen werden im Falle von Infektionsherden betroffen sein. Ich habe gesagt, dass wir uns bei Städten auch aufgrund der stärkeren Mobilität der Menschen und Bezirksgrenzen, die entlang von Straßenzügen führen, andere Vorgehensweisen überlegen müssen. Auch hier werden wir gemeinsam mit der Stadt Wien und anderen Städten Lösungen finden.
ÖSTERREICH: Sie haben auch strengere Strafen gegen Quarantänebrecher angekündigt. Speziell geht es auch um Westbalkan-Rückkehrer. Kriegen die eigentlich echte behördliche Quarantänebescheide?
Kurz: Wer gegen Quarantänemaßnahmen verstößt, muss auch bestraft werden. Hier handelt es sich um kein Kavaliersdelikt. Es geht um den Schutz des Betroffenen und natürlich auch um sein Umfeld. Bei Verstößen gegen die Quarantäne drohen hohe Geldstrafen, und bei einer positiven Infektion wird ein Verstoß gegen die Quarantäne strafrechtlich verfolgt. An der Grenze kontrolliert die Polizei, die nun massiv aufgestockt wird, gemeinsam mit der Gesundheitsbehörde. Bei Rückkehrern aus Risikoländern, wie etwa vom Westbalkan oder Rumänien, wird dann die zuständige Gesundheitsbehörde am Wohnsitz informiert über die nötigen weiteren Schritte.
ÖSTERREICH: In einer aktuellen Research-Affairs-Umfrage sprechen sich bereits 59 Prozent der Befragten für die Wiedereinführung der Maskenpflicht (Geschäfte, Gastronomie) aus. Kommt diese wieder?
Kurz: Es ist wichtig, dass die Menschen die Maßnahmen bisher so gut mitgetragen haben und auch weiterhin Verständnis für die nötigen Maßnahmen zeigen. Das war ein wesentlicher Faktor im erfolgreichen Kampf gegen das Virus in den vergangenen Wochen und Monaten. Wir schauen uns die Zahlen täglich genau an und werden entsprechend reagieren, wenn sie nach oben gehen. Ich habe immer gesagt: Werfen Sie die Maske nicht weg, wir werden sie noch brauchen. Dabei bleibe ich auch.
ÖSTERREICH: Länder, die in der ersten Welle erfolgreich waren – wie Israel, aber jetzt auch Costa Rica –, werden jetzt von einer zweiten Welle getroffen. Wie wollen oder können Sie das in Österreich verhindern?
Kurz: Mit diesen Ländern sind wir in einem regelmäßigen Austausch, um von den Erfahrungen anderer zu lernen. Wir schauen uns sehr genau an, warum es dort zu neuen Ausbrüchen gekommen ist, wobei insbesondere Lateinamerika laut Meinung von Experten noch mitten in der ersten Welle steckt. Mit dem Ampelsystem, strengeren Reisekontrollen und den regionalen Vorkehrungen sind wir gut gerüstet. Allerdings ist das Verhalten jeder und jedes Einzelnen von entscheidender Bedeutung. Das Virus ist auch im Urlaub und in den Sommermonaten mit dabei und kennt keine Grenzen.
ÖSTERREICH: Wie werden Sie sich selbst im Urlaub verhalten?
Kurz: Ich verbringe ein paar wenige Tage mit meiner Freundin und Bekannten an einem See in Kärnten.
ÖSTERREICH: Kommende Woche nehmen Sie am EU-Gipfel teil. Ist da ein Kompromiss zwischen Ihnen,Rutte und den anderen, die den betroffenen Ländern mehr helfen wollen, möglich?
Kurz: Wir prüfen gerade gemeinsam mit den Niederlanden, Dänemark und Schweden den neuen Vorschlag von Ratspräsident Michel. Grundlage dafür ist unser gemeinsames, Ende Mai erstelltes Papier. Ich bin froh, dass es beim mehrjährigen Finanzrahmen eine erste Bewegung in unsere Richtung gibt. Beim Wiederaufbaufonds liegen die Positionen der Mitgliedsstaaten aber weiterhin sehr weit auseinander. Klar ist, dass wir den Ärmsten der Armen in der EU helfen wollen. Ansonsten besteht noch einiges an Diskussionsbedarf, was die Höhe, die Frage Kredite versus Zuschüsse, die Kriterien und die Dauer betrifft, damit es zu keiner Schuldenunion kommt. Am Ende jeder Verhandlung steht ein Kompromiss. Dafür ist es nun aber wichtig, die Zeit bis zum Europäischen Rat am 17.
18. Juli intensiv für Verhandlungen zu nutzen.