Michael Ludwig will normales Verhältnis zu Kurz & Co. Er kritisiert die Regierung aber auch.
Im Interview weist Ludwig zurück, dass Wien ein Mindestsicherungsproblem hat.
ÖSTERREICH: Sie fordern den Neustart des Verhältnisses von Wien und Bund. Was ging da kaputt?
Michael Ludwig: In den letzten Wochen ist vonseiten einiger Mitglieder der Bundesregierung massiv versucht worden, die Stadt schlecht zu reden. Es stimmt mich traurig, wenn die Bevölkerung Wiens angegriffen wird. Es ist einfach unrichtig, dass die Arbeitslosigkeit in Wien steigt und die Zahl der Mindestsicherungsbezieher steigt. Das Gegenteil ist der Fall. Und wir haben eine Rekordbeschäftigung. Ich will nicht, dass man so über die Menschen in unserer Stadt herzieht.
ÖSTERREICH: Haben Sie mit dem Kanzler seitdem gesprochen?
Ludwig: Wir haben uns kurz bei einer Veranstaltung getroffen und vereinbart, dass wir uns zum Gespräch treffen. Meine Tür ist ist immer offen.
ÖSTERREICH: Auslöser war ja die Kritik der Stadt Wien an der Mindestsicherung neu. Wie gehen Sie damit um, wenn Kinderzuschläge gekürzt werden?
Ludwig: Es gab in Summe quer durch Österreich 137 negative Stellungnahmen und nur drei positive. Ich bin felsenfest überzeugt, dass das Gesetz in dieser Form nicht kommen wird. Aus unserer Sicht in Wien sind da vor allem Punkte, die Kinder treffen, behinderte Menschen treffen oder auch Pensionisten. Wir sind keine Streithanseln, wir wollen im Sinne der Menschen unserer Stadt gehört werden.
ÖSTERREICH: Und die Kürzung für Flüchtlinge?
Ludwig: Das wird immer von der Regierung vorgeschoben, weil immer alles zieht, was mit Ausländern zu tun hat. Aber man sollte nicht vergessen: 60 % der Mindestsicherungsbezieher sind nicht in den Arbeitsprozess zu integrieren, weil sie Kinder, Pensionisten und behinderte Menschen sind.
ÖSTERREICH: Geht es da nicht schon um Wahlkampf?
Ludwig: Aber nicht von uns. Es gibt zwei Gründe, warum diese Diskussion begonnen hat. Ein strategischer, weil Einzelne in Wien eine politische Veränderung bei der nächsten Wahl wollen. Es ist kein Zufall, dass rund um den Jahreswechsel die Wiener Mitglieder der Bundesregierung sich den Kopf zerbrochen haben, wer in Wien kandieren wird. Strache ja, Strache nein und so weiter. Der zweite Grund ist ein taktischer: Die Bundesregierung wollte ablenken von ihrer Steuerreform. Im Wahlkampf wurden 12 bis 14 Milliarden versprochen, jetzt sind es nur noch 4,5. Und auch das ist nicht sicher.
ÖSTERREICH: Sie könnten sagen: ,Danke, Herr Bundeskanzler, für die Angriffe.‘ Die nutzen Ihnen und der SPÖ in den Umfragen.
Ludwig: So zynisch bin ich nicht. Ich habe es nicht gern, dass die Wiener Bevölkerung kritisiert wird. Aber richtig ist, dass es unter den Wienerinnen und Wienern einen Solidaritätseffekt ausgelöst hat.
ÖSTERREICH: Sie wollen im Herbst 2020 wählen…
Ludwig: …ja, es gibt keine Veranlassung früher zu wählen.
ÖSTERREICH: Wen hätten Sie lieber als Gegner? Strache oder jemanden anderen?
Ludwig: Mir ist jeder recht. Ich glaube, er ist zu Recht unschlüssig, weil das für ihn als Vizekanzler ein starkes Risiko ist: Er hat schon drei Mal kandidiert in Wien und schon drei Mal verloren. G. Schröder
Ludwig bleibt klare Nr. 1, ÖVP und FPÖ verlieren
Während die SPÖ österreichweit nicht recht vom Fleck kommt, kann sie ihre Position in Wien klar verstärken. Die Konfrontation Bund gegen Stadt kommt Bürgermeister Michael Ludwig und seinem Team offensichtlich sehr gelegen.
Wäre bereits heute Wiener Gemeinderatswahl, würde die SPÖ die Nummer eins in der Bundeshauptstadt eindeutig behaupten. Sie käme auf 36 % (ein Prozentpunkt mehr als bei der letzten Umfrage im Herbst 2018). (Umfrage Research Affairs, 17.–23. 1., 409 Online-Interviews.)
Die beiden Regierungsparteien im Bund würden verlieren: Die FPÖ fällt um zwei Prozentpunkte auf 26 %, die ÖVP auf 16 %. Stark die Neos mit 10 % (plus 2 %). Die Grünen punkten (8 %, plus 2 %) mit Birgit Hebein offenbar bei ihren Kernwählern.
Dennoch: Eine Neuauflage von Rot-Grün geht sich im Wiener Rathaus nicht mehr aus. Derzeit sind nur zwei Koalitionen realistisch:
- Ein Zusammengehen von SPÖ und ÖVP hätte eine solide Mehrheit von 52 % und wäre die wahrscheinlichste Variante …
- … aber auch eine Anti-SPÖ-Koalition von FPÖ, ÖVP und Neos würde eine Mehrheit von 52 % finden. So eine Koalition würde auch von einer relativen Mehrheit in unserer Umfrage bevorzugt werden. Insgesamt wollen aber 68 % die SPÖ in der Stadtregierung haben.
Was logisch scheint: Denn Bürgermeister Ludwig hat ausgezeichnete persönliche Werte.