In der "Rede zur Lage an die Nation" - vor ÖVP-Vertretern - sprach sich der Vizekanzler gegen einen "Vollkasko-Staat" aus.
Vizekanzler, ÖVP-Chef Wilhelm Molterer hat sich am Donnerstag in seiner ersten "Rede zur Lage der Nation" gegen einen "Vollkasko-Staat" und für einen "Leistungsstaat" mit einer "Verantwortungsgesellschaft" ausgesprochen. Diese Reden sind eine traditionelle ÖVP-Veranstaltung. Echte "Reden zur Lage der Nation" werden üblicherweise von Regierungschefs oder Staatspräsidenten und nicht ihren Stellvertretern gehalten werden. Auch befremdlich war, dass es von der Rede in der Wiener Hofburg keine Bilder gibt. Die Pressefotografen wurden vom Securitypersonal behindert.
Zusammenhalt
Fundamente für "Leistungsstaat" und "Verantwortungsgesellschaft"
seien eine starke Wirtschaft, die Teilhabe der Menschen am Wohlstand und der
Zusammenhalt der Gesellschaft. Daraus müsse Österreich seine Stärke
schöpfen, so Molterer.
Patriotismus
Er plädierte für ein selbstbewusstes Österreich und
forderte einen "neuen Patriotismus". Er strebt dabei "keinen
dumpfen Hurra-Patriotismus" an, sondern "jenen Patriotismus, der
Österreich zusteht" als ein stolzes, starkes und menschliches
Land.
Österreich-Fonds
Mit einem neuen Vorschlag wartete der
ÖVP-Obmann in der Pflegedebatte auf. Zur Finanzierung der steigenden
Pflegekosten regte Molterer die Schaffung eines "Österreich-Fonds"
an, der aus Privatisierungserlösen gespeist werden sollte. Vorbild sei der
Familienlastenausgleichsfonds. Dieser solle "für die sozialen Kosten
von morgen" da sein, konkret meinte er damit vor allem die Pflege. Sein
Ziel ist es, "dass Österreich nicht nur das beste Gesundheitssystem,
sondern auch das beste Pflegesystem der Welt" hat. Deshalb müsse man
die Finanzierung aus der Sozialhilfe herauslösen und eine "eigenständige
Säule" entwickeln. Das bedeute auch, dass es keinen
Regress-Anspruch gegen Angehörige mehr geben solle, und bei der Pflege zu
Hause das Vermögen nicht mehr berücksichtigt werden dürfe.
Absage an Extreme
Molterer sprach von "Verantwortungspolitik"
und einem "Leistungsstaat" als Vision. Das bedeute, für das Ganze
da zu sein", eine "Politik der Mitte" zu machen und eine
Absage an Extreme. Diese Politik brauche einen "wertorientierten Rahmen".
Der Kern dieses österreichischen Lebensmodells sei die soziale
Marktwirtschaft und wer soziale Sicherheit wolle, müsse zuerst Freiheit und
Leistung ermöglichen, sagte der ÖVP-Obmann.
Privatisierungen und starke Wirtschaft
Als erstes Fundament
dafür führte er eine starke Wirtschaft an, diese sei untrennbar mit Europa
und der Globalisierung verbunden. Man müsse die Globalisierung ebenso wie
Europa "gestalten und nicht erdulden". In diesem Zusammenhang
kündigte Molterer weitere Privatisierungen an, diese Perspektive stehe "selbstverständlich
auf der Tagesordnung", "wir werden auf diesem Weg voranschreiten".
Kein höhres Volumen bei Steuerreform
Ebenfalls zum zweiten
Fundament für den Leistungsstaat, der fairen Teilhabe, gehört für Molterer
die Steuerreform. Hier lehnte er Forderungen nach einem höheren Volumen als
die von der Regierung geplanten 2,7 Milliarden Euro neuerlich ab. Das hieße
neue Steuern oder neue Schulden und eine Schuldenpolitik sei "das
Unfairste" den jungen Menschen gegenüber. Der Finanzminister trat
einmal mehr für eine Entlastung jener ein, die Steuern zahlen und lehnte
damit eine Erhöhung der Negativsteuern für Niedrigeinkommen ab. Leistung
müsse sich auch im Steuerrecht wieder lohnen. Gleichzeitig bekräftigte er,
dass es eine Entlastung der Familien geben werde.
Gegen hohe Manager-Gagen
"Moralisch nicht mehr vertretbar"
sind für Molterer die zum Teil sehr hohen Manager-Gagen. Hohe Abfertigungen
ohne entsprechende Leistungen "versteht keiner mehr". Der
Finanzminister schlug in diesem Zusammenhang seinen "Freunden in der
Wirtschaft" vor, die Sache "selbst in die Hand" zu nehmen.
Der Gesetzgeber sei hier nicht die richtige Antwort.
Selbstregulierung der Medien
Bei der dritten Säule seiner
Leistungsgesellschaft, dem Zusammenhalt, rief Molterer zur Zivilcourage auf.
Im Zusammenhang mit dem Inzestfall in Amstetten und dem jüngsten
Fünffach-Mord bezeichnete er es als Bürgerpflicht hinzuschauen, hinzuhören
und nicht zu schweigen. Er plädierte für eine Überprüfung der gesetzlichen
Regelungen vor allem bezüglich Opferschutz und auch wie die Medien damit
umgehen. Von den Medien erwartet er hier eine Selbstregulierung. "Es
darf keinerlei Toleranz zu Gewalt geben", stellte Molterer fest und
sagte für seine ÖVP: "In der Sicherheit sind wir nicht
disponibel."
ÖVP-Tradition
Molterer hielt seine "Rede zur Lage der
Nation" am Jahrestag der Unterzeichnung des Staatsvertrages im Jahr
1955 und einen Tag nach seinem 53. Geburtstag. Er bezeichnete es als
Geschenk und als Gnade, auf diese Art mit der Geschichte des Landes verwoben
zu sein. Die erste Rede zur Lage der Nation hatte vor 25 Jahren Alois Mock
im Belvedere gehalten. Der Alt-Vizekanzler, der aus gesundheitlichen Gründen
nicht teilnehmen konnte, freute sich via Grußbotschaft, dass sie nun schon
zur Tradition in der ÖVP geworden sei.