Die Reform der Strafprozessordnung hat dem OLG fast 50% mehr Fälle, aber keinen zusätzlichen Richter beschert.
Das Oberlandesgericht Wien schlägt Alarm. Die Arbeit in der Strafrechtsabteilung ist mit dem vorhandenen Personal nicht mehr bewältigbar, klagen die Richter. Sie seien am Kollaps angelangt. Die Richtervereinigung fordert jetzt acht zusätzliche Planstellen, da sonst das Funktionieren des Rechtsstaats nicht mehr garantiert werden könne.
Kaum neue Richter
Mit der zu Jahresbeginn in Kraft getretenen
Reform der Strafprozessordnung haben die Oberlandesgerichte und
Oberstaatsanwaltschaften zusätzliche Kompetenzen und Aufgaben übertragen
bekommen. Während die Ankläger vom Gesetzgeber eine Personalaufstockung
bewilligt erhielten, sind die Gerichte weitgehend leer ausgegangen.
50 % mehr Fälle
Das trifft vor allem das Wiener OLG, die in
Strafsachen letzte Berufungsinstanz für Wien, Niederösterreich und das
Burgenland. Die 19 Strafrichter hatten mit Stichtag 31. Juli 2007 1.433
Akten zu bearbeiten. Exakt ein Jahr später, am 31. Juli 2008, waren 2.184
Akten angefallen. Der Richtervereinigung ist es rätselhaft, wie diese
Mehrbelastung von fast 50 Prozent mit demselben Personalstand abgetragen
werden soll.
Haftsachen vorrangig
Es bleiben effektiv Akten liegen, und es
kommt bereits zu deutlichen Wartezeiten. Es ist gerade noch möglich, in
Haftsachen in angemessener Zeit über Rechtsmittel und Beschwerden zu
entscheiden, sagen die Richter. Sie glauben aber, dass auch das bald nicht
mehr gehen wird.
Lange Wartezeiten
Bei Bagatelledelikten - Körperverletzungen,
Sachbeschädigungen, kleinere Diebstähle -, die früher binnen Wochen erledigt
wurden, sobald das Rechtsmittel einmal im OLG eingelangt war, heißt es für
die Betroffenen mittlerweile abwarten und Geduld bewahren. Fünf Monate
vergehen inzwischen, ehe in solchen Fällen eine rechtskräftige Entscheidung
vorliegt.
Pfusch befürchtet
Die Kollegen wären aufgrund des
Arbeitsanfalls auch nicht mehr in der Lage, sich ausreichend mit
Rechtsproblemen zu befassen und ihr juristisches Fachwissen dem Stand der
Wissenschaft anzupassen, berichten die Standesvertreter. Über
Verschleißerscheinungen dürfe man sich nicht wundern. Die Kollegen seien
ausgelaugt, deprimiert, teilweise demotiviert, jedenfalls frustriert.