Ex-Klimaschutzministerin und Neo-Grünen-Chefin Leonore Gewessler machte am Dienstagabend den Auftakt bei den oe24.TV-"Sommergesprächen".
Die neue Grünen-Chefin Leonore Gewessler will vor allem "zuhören", erklärte sie in ihrem ersten oe24.TV-"Sommergespräch" mit Chefredakteur Niki Fellner. Während ihrer Zeit als Ministerin seien auch Fehler passiert, am Budget-Defizit will sie aber nicht schuld sein. In Zukunft will sie eine konstruktive Oppositionskraft sein, bei Asyl fordert sie "Menschlichkeit und Ordnung".
oe24.TV: Frau Gewessler, ich würde gerne mit einem Rückblick auf die türkis-grüne Regierung beginnen. War es Ihrer Meinung nach ein Fehler, mit der ÖVP zu koalieren?
Leonore Gewessler: Nein. Die Grünen haben in den letzten Jahren in dieser Koalition viel für dieses Land weiterbringen können. Da blicke ich auch mit Freude und auch ein bisschen stolz zurück: Ein Info-Freiheitsgesetz, ein Pfandsystem, ein Klimaticket. Das alles gäbe es ohne die Grünen nicht. Und ja - auch das gleich zu Beginn gesagt - wir haben dabei auch Fehler gemacht. Wir haben Wahlen verloren.
oe24.TV: Die ÖVP meint, die Koalition wäre letztendlich an Ihnen gescheitert.
Gewessler: Das halte ich wirklich für ein Gerücht. Ganz ehrlich, worum ging es jetzt bei dieser Regierungsbildung? Die ÖVP war auf der Suche nach einem Partner, mit dem sie ihr Programm bestmöglich umsetzen kann. Wir erinnern uns daran: Sie war sogar zwischendurch bereit, mit Herbert Kickl und seiner rechten bis rechtsextremen FPÖ-Partie in eine Koalition zu gehen.
oe24.TV: Kommen wir zum Budget-Defizit: Die anderen Parteien kritisieren da ja insbesondere Ihre Klimapolitik mit der Gießkanne. Haben Sie da Fehler gemacht?
Gewessler: Mich ärgert diese Debatte wirklich schon langsam, weil ich verstehe schon, dass die jetzt einen Sündenbock dafür suchen. Okay, mag bequem sein, mag politisch opportun sein, hat nur nicht mit der Realität zu tun.
oe24.TV: Aber Ihnen muss doch klar gewesen sein, dass wir auf ein massives Budgetdefizit hinsteuern? Haben Sie die Bevölkerung vor der Wahl bewusst angelogen?
Gewessler: Das muss ich jetzt wirklich - erstens - zurückweisen und zweitens: Wenn wir die Debatte so führen, ist das wirklich Kindsweglegung der ÖVP. Es gab in dieser Regierung einen Finanzminister, der hieß zuletzt Magnus Brunner. Ich war in dieser Regierung viel, aber keine Sekunde lang Finanzministerin.
oe24.TV: Es gab ja auch viele Förderungen, die einfach jeder bekommen hat, wie etwa den Klimabonus. Das hat der Millionär genauso bekommen wie der syrische Flüchtling. Wie gescheit war das?
Gewessler: Der Klimabonus war so konzipiert, dass die, die wenig Einkommen haben, davon profitieren. Das sag' nicht ich, das sagt der Budgetdienst des Parlaments.
oe24.TV: Aber Herr Mateschitz hat ihn genauso bekommen...
Gewessler: Wir können gerne die Debatte führen, ob man ihn noch stärker sozial staffeln muss. Wir haben das im letzten Jahr begonnen. Also ich, Sie, wir müssen unseren Klimabonus versteuern. Einkommensarme Familien müssen es nicht tun.
oe24.TV: Kommen wir zu den Preisen. Die sind in Österreich deutlich über dem Euro-Raum, das war schon so zu Ihrer Regierungszeit, das ist auch jetzt noch der Fall. Was muss denn passieren, um das Preisniveau einmal in den Griff zu bekommen?
Gewessler: Wir sehen, dass an der Basis dieser Entwicklung die Energiepreise eine ganz zentrale Rolle spielen. Wir haben deswegen ja auch in meiner Zeit in die Energiepreise eingegriffen.
oe24.TV: Wären Sie bei den Lebensmitteln für einen Preisdeckel?
Gewessler: Das haben wir ja auch immer schon aufs Tapet gebracht. Nur ist mir vollkommen unklar, was denn der Vorschlag von Markus Marterbauer ist, um hier was zu tun. Aber in der Analyse gebe ich ihm Recht, die Lebensmittelpreise in unserem Land sind ein Problem. Aber dann bitte her mit einem Vorschlag.
oe24.TV: Sie haben es in Ihrer Amtszeit nicht zustande gebracht, ein Klimaschutzgesetz zu beschließen. Warum?
Gewessler: Das ist wirklich etwas, wo ich heute hier sitze und sage: Ja, ich hätte gerne ein wirksames - und das ist das wichtige Wort drin - Klimaschutzgesetz noch fertig gemacht. Aber wir haben auch unzählige Entwürfe gemacht und das rauf und runter mit der ÖVP diskutiert. Aber es gibt halt einen Moment, wo man sich entscheiden muss: Macht man irgendwas, was am Ende nichts bewirkt - so wie die Regierung jetzt mit ihrem Klimacheck, eine völlige Luftnummer - oder macht man ein ernsthaftes Klimaschutzgesetz.
oe24.TV: Sie sind jetzt als Chefin einer Oppositionspartei in einer neuen Rolle. Haben Sie eigentlich ein politisches Vorbild?
Gewessler: Ich möchte jetzt nicht, dass das wie eine Politikerin-Antwort klingt, aber mir imponieren viele Menschen, egal ob es in der Gemeinde ist oder in einer Interessensvertretung oder sonst wo. Wenn Sie jetzt einen Namen suchen, den man vielleicht in der Breite kennt: Ich habe die ehemalige neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern immer sehr beeindruckend gefunden.
oe24.TV: Warum?
Gewessler: Weil sie eine sehr mächtige Rolle ausgefüllt hat und trotzdem, wie wenig andere Politikerinnen, die ich kenne, gezeigt hat, das geht auch, wenn man sich eine Berührbarkeit erhaltet. Man kann gute Politik nur machen, wenn man empfindsam bleibt.
oe24.TV: Die Grünen haben bei der letzten Wahl ziemlich eingebüßt. Was werden Sie anders machen als Ihr Vorgänger Werner Kogler?
Gewessler: Eines, was wir anders machen und was wir auch schon begonnen haben anders zu machen, ist tatsächlich das Zuhören. Klingt immer banal, ist es nicht. Es ist in den letzten Jahren schlicht und ergreifend zu kurz gekommen.
oe24.TV: Beim Thema Migration: Müssen sich die Grünen da anders positionieren?
Gewessler: Ich glaube, die Menschen haben sich von uns beim Thema Migration eine deutliche Sprache verdient. Das Grundprinzip des grünen Zugangs zur Migration ist Menschlichkeit auf der einen Seite. Ja, die Menschenrechte, die sind und bleiben für uns aus gutem Grund die Basis unseres Agierens. Aber der zweite Teil, der da dazugehört, ist Ordnung. Wenn ich in ein Haus einziehe, dann gibt es dort eine Hausordnung und die gilt.
oe24.TV: Gehören jene, die sich nicht an die Hausordnung halten, rigoroser abgeschoben?
Gewessler: Wohin abgeschoben werden kann, das entscheidet nicht eine Politikerin, sondern das entscheiden Gerichte. Aber ja, wenn jemand in Österreich schwerste Straftaten begeht, dann kann er sich nicht auf unseren Schutz berufen.
oe24.TV: Kommen wir noch zur Situation in Gaza: Sie wollen, dass die EU das Assoziationsabkommen mit Israel aussetzt. Stärken Sie damit nicht die Position der Hamas?
Gewessler: Nein, und das weise ich auch wirklich zurück. Die Grünen waren hier immer extrem deutlich. Die Hamas ist eine mörderische Terroristenbande, die darf keine Zukunft haben in Gaza, die muss die Geiseln freilassen. Wir haben aber gleichzeitig eine Situation in Gaza, für die Israel eine Mitverantwortung trägt.
oe24.TV: Aber wenn die Hamas die Geiseln freilässt, wäre dieser Krieg von heute auf morgen vorbei.
Gewessler: Israel hat jedes Recht auf Selbstverteidigung, aber eben auch eine Verantwortung darin, sicherzustellen, dass Menschen im Gazastreifen Zugang zu Nahrung, zu Wasser, zu medizinischer Versorgung haben.
oe24.TV: Ist es Ihnen eigentlich recht, gerade in der Opposition zu sein? Weil regieren ja momentan eh nicht so angenehm ist.
Gewessler: Die Grünen haben einen Anspruch zu gestalten. Wir haben in den letzten Jahren bewiesen: Wir können regieren. Aber ich kann allen versichern: Wir können auch Opposition. Wir werden aber auch immer dort konstruktiv mitarbeiten, wenn es gute Vorschläge gibt.
oe24.TV: Die Wirtschaft krachte an allen Ecken und Enden. Was muss denn für einen Aufschwung passieren?
Gewessler: Wir brauchen einen starken und unabhängigen Wirtschaftsstandort. Und eine der Kernaufgaben, die wir dafür haben, ist, günstige Energie zur Verfügung zu stellen.
oe24.TV: Energie ist das eine, das hört man auch immer wieder von der Wirtschaft, aber das alleine wird unseren Wirtschaftsstandort nicht retten. Muss der Standort nicht einfach wieder attraktiver werden?
Gewessler: Wir brauchen zwei Dinge. Wir brauchen ein Bekenntnis zu Zukunftsbranchen. Die Dampfmaschine, die kommt nicht wieder. Und wir brauchen ein starkes Europa, in einer Welt, in der die selbsternannten starken Männer von China, USA und Co. denken, sie können uns von allen Seiten erpressen. Es braucht ein starkes Europa und nicht einen Rückfall in die nationalstaatliche Kleingeisterei.
oe24.TV: Ihr Ressort wurde ja dreigeteilt. Wie bewerten Sie denn Ihre drei Nachfolger? Vieles von dem, was sie gemacht haben, ist ja wieder abgeschafft worden. Tut Ihnen das weh?
Gewessler: Da geht es nicht darum, ob mir als Person das weh tut, aber wenn ich zuschauen muss, wie Mobilitätsminister Peter Hanke das Klimaticket teurer macht, aber die italienische Frächter weiter subventioniert, wie ein Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer den vielen, vielen Hunderttausenden Menschen, die eine PV-Anlage auf das Dach gebaut haben, jetzt eine Strafsteuer draufbrummen will, dann tut mir das weh für die Leute in dem Land. Weil die sind jetzt plötzlich wieder die Dummen und das ist das, was schmerzt.
oe24.TV: Wenn der Lobautunnel kommt: Werden Sie eigentlich dagegen protestieren?
Gewessler: Zuerst werde ich alles dafür tun, dass dieses Projekt - das wirklich völlig aus der Zeit gefallen ist - nicht umgesetzt wird. Es gibt bessere Lösungen. Ich werde das politisch mit allem, was ich kann und mit meiner Kraft bekämpfen. Und so schnell wird dort sicher nichts gebaut.
oe24.TV: Würden Sie erneut mit der ÖVP koalieren?
Gewessler: Natürlich, auch gegebenenfalls wieder mit der ÖVP, aber das ist alles Zukunftsmusik. Wir haben jetzt eine verantwortungsvolle und wichtige Aufgabe in der kritischen Begleitung dieser Bundesregierung.