Vor Nehammers Rede lief alles auf einen Super-Wahltag hinaus. Warum sich die ÖVP - derzeit - umentschieden hat. Die wahren Hintergründe.
Sie hatten bereits Gutachten in Auftrag gegeben, um zu prüfen, ob man die EU-Wahl am 9. Juni mit der Nationalratswahl zusammenlegen könne. Die Antwort: Ja. Die Mehrheit der ÖVP-Länderchefs setzte sich – nach dem Motto „lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende“ – für Frühjahrswahlen ein. Die Rede von Karl Nehammer vergangenen Freitag in Wels hätte eigentlich der Wahlauftakt sein sollen. Die Letztentscheidung – das hatte Niederösterreichs Landeshauptfrau, Johanna Mikl-Leitner, stets klargestell – liege aber beim Kanzler.
Drexlers Sorge vor "Denkzettel-Wahl" und FPÖ-Sieg
Einer, der steirische ÖVP-Landeshauptmann Christopher Drexler, setzte sich allerdings von Anfang an gegen vorgezogene Nationalratswahlen ein. Sein Kalkül: Seine Landtagswahl soll im November 2024 stattfinden. Sollte die Nationalratswahl im Frühjahr sein, würde es wohl spätestens im September eine neue Bundesregierung geben. In der Steiermark geht man offensichtlich davon aus, dass das eine Koalition ohne FPÖ sei.
Drexler – so erklärte er es Nehammer und sämtlichen seiner Landeshauptmann-Kollegen von Mikl-Leitner bis Salzburgs Wilfried Haslauer - befürchtet in diesem Fall eine „Denkzettel-Wahl gegen ihn“, die dann die FPÖ „in der Steiermark zur Nummer eins machen“ könnte, erklärt ein VP-Stratege.
Nehammers gegen Frühjahrswahl
Zudem, so berichten es zumindest ÖVPler habe auch der ÖVP-Chef selbst und seine Frau Katharina Nehammer schwere Bedenken gegen eine Frühjahrswahl gehabt. Die Grünen und ihr Bundessprecher Werner Kogler beharrten außerdem ebenso wie der ÖVP-Nationalratsklub vehement auf dem spätmöglichsten Nationalratswahltermin, dem 29. September. Mehrere ÖVP-Mandatare berichten ÖSTERREICH, dass Nehammer im Klub „ein Aufstand gedroht“ hätte.
Van der Bellens Befürchtungen und Aufstand im ÖVP-Klub
Unter den Nehammer-Strategen – wie stets berichtet – war die Stimmung bezüglich eines Super-Wahltages immer gespalten. Ein Teil wollte vorziehen, der andere abwarten. Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen riet Nehammer dringend von einem Super-Wahltag ab. Er teilte dem Kanzler seine Befürchtungen mit, das die Wahl – der Chef der Hofburg hatte das bekanntlich 2016 am eigenen Leib verspürt – angefochten werden könnte.
ÖVP hofft jetzt auf Lopatka
Jetzt läuft die Maschinerie der ÖVP wieder auf Herbst-Wahlen – ähnlich wie es die Roten 2017 nach Christian Kerns Plan A-Rede gemacht hatten – und fokussiert sich auf ein „Duell“ gegen FPÖ-Chef Herbert Kickl. Ab jetzt sollen neben dem Meinungsforscher Franz Sommer – der seit Jahren Umfragen für die ÖVP erstellt – auch andere Institute regelmäßig die Daten für die Kanzlerpartei erheben. Die Hoffnung: ÖVP-EU-Spitzenkandidat Reinhold Lopatka soll bei der EU-Wahl vor der SPÖ liegen und damit einen „Booster“ für die Schwarz-Türkisen auslösen.
Minister- und Kanzlertour durch Länder und Bezirke
Zudem hofft die ÖVP auf einen „Wirtschaftsaufschwung im dritten Quartal“, berichten Insider. Ganz ins Leere soll die Österreich-Plan des Kanzlers aber nicht gehen. Ab jetzt konkretisieren die Minister – als ÖVP-Politiker – die einzelnen Kapitel mit Schwerpunkten Wirtschaft und Leitkultur. Danach starten die Minister eine Tour durch die Bezirke. Anschließend soll auch Nehammer selbst durch ganz Österreich reisen.
Sollten die Umfragen sich noch im Februar „erheblich verbessern“, wäre aber „wieder eine frühere Wahl möglich“. Derzeit schaut es aber nicht danach aus.