Kern nun "klassischer Fall einer Lame Duck".
Politikexperten sehen in der Ankündigung von SPÖ-Chef Christian Kern, als Spitzenkandidat bei der EU-Wahl anzutreten und danach den Parteivorsitz abgeben zu wollen, einen "Super-GAU" für die SPÖ. Der Politikberater Thomas Hofer sprach von "Selbstbeschädigung", der Meinungsforscher Wolfgang Bachmayer sieht "keinen Sinn und Nutzen für die SPÖ", Peter Hajek ortet ein "einziges Desaster".
"Absurde Vorgehensweise"
Alle drei sehen die Opposition nun in einer noch schwierigeren Lage. Dass die Erklärung Kerns nur zweieinhalb Wochen vor dem SPÖ-Parteitag in Wels erfolgte, bei dem der amtierende SPÖ-Vorsitzende eigentlich zur Wiederwahl steht, ist für die Politikexperten nicht nachvollziehbar. Hofer sprach gegenüber der APA von einer "absurden" Vorgangsweise, wie er sie in 20 Jahren Politgeschäft nicht erlebt habe.
Ähnlich Hajek: "Man kann ja jede Finte machen, aber dann muss man wenigstens die eigene Partei mitnehmen." Kern führe seine eigene Partei vor und bringe sie vor dem Parteitag in eine unmögliche Situation.
"Klassische Lame Duck"
Für OGM-Chef Bachmayer ist Kern nun der "klassische Fall einer 'Lame Duck' - wie kann man sagen, ich trete in acht Monaten ab, und gleichzeitig bleibe ich". Die Ansage vom EU-Spitzenkandidaten klingt da für Bachmayer "fast wie eine Ausrede". Der SPÖ stehe nun eine mehrmonatige Nachfolgediskussion bevor, bei der alle Kandidaten beschädigt würden. Bachmayer bezweifelte deshalb, ob die Partei bei Kerns Plänen mitspielt oder ob der SPÖ-Chef nicht doch noch ganz abmontiert wird.
Der Meinungsforscher sieht vor allem Nationalratspräsidentin Doris Bures als mögliche SPÖ-Interimschefin. Bures sei aber eigentlich "in der Pole Position als SPÖ-Kandidatin für die Bundespräsidentenwahl". Das Amt der Parteivorsitzenden könnte dabei aber "ihre gar nicht so schlechten Chancen beschädigen", erklärte Bachmayer.
"Dilettantische Vorgangsweise"
Politikberater Thomas Hofer konstatierte alles in allem eine "dilettantische Vorgangsweise", weil Kerns Erklärung genau in den Beginn der politischen Herbstarbeit falle und etwa die Aktivitäten der Gewerkschaften rund um die Kollektivvertragsverhandlungen überlagere. Auch Kerns Selbsternennung zum Spitzenkandidaten findet Hofer "ungewöhnlich". Man werde sehen, wie die Partei darauf reagiert.
Die Arbeit der Opposition werde mit der Vorgangsweise weiter geschwächt, so Hofer. Die SPÖ sei mit sich selbst beschäftigt, die Liste Pilz beschädigt, die Grünen kämpften um den Fortbestand, lediglich bei den NEOS sei der Übergang einigermaßen gelungen, analysierte Hofer.
Bachmayer sieht die Opposition - insbesondere die SPÖ - gar "in Trümmern". NEOS, Liste Pilz und Grüne hätten aber nun mehr Chancen, in diese Lücke zu stoßen. Schwächung ortet auch Hajek. "Wenn man die Opposition als gesamten Block betrachtet, dann ist es tragisch, wenn die stärkste Oppositionspartei so ein Debakel abgibt. Aber die SPÖ war in den vergangenen Monaten ohnehin kaum vorhanden. Für die Regierungsparteien ist das ein voller Punktegewinn, wenn die größte Oppositionspartei in Auflösung begriffen ist."