Trotz steigender Corona-Zahlen verkündet die Regierung am Donnerstag das Aus für die Impfpflicht. Es ist wohl eine Vorleistung an die Bundesländer, die demnächst wählen.
Die türkis-grüne Bundesregierung schafft die Impfpflicht ab. Gesundheitsminister Johannes Rauch und ÖVP-Klubchef August Wöginger verkündeten die Entscheidung.
Für Politik-Insider kommt die Entscheidung nicht überraschend, im Herbst beginnt mit Tirol eine ganze Reihe von Landtagswahlen - und auch die mächtige niederösterreichische ÖVP überlegt die Wahl vorzuziehen . Zuletzt hatte es bei Kommunalwahlen massive Stimmenabflüsse in Richtung Impfgegner gegeben - die schwarzen Landesparteien hatten deswegen Druck gemacht, trotz steigender Zahlen das Impfthema von Tisch zu bekommen,
Argumentiert wurde der Schritt von der Regierung einerseits mit der fehlenden Akzeptanz, andererseits damit, dass sich die Rahmenbedingungen mit der weniger letalen Omikron-Variante geändert hätten: "Die Impfpflicht bringt niemanden zum Impfen", meinte Rauch, der das Projekt von seinem Vorgänger und den dereinst darauf drängenden Landeshauptleuten geerbt hatte.
Die Impfpflicht sei unter anderen Voraussetzungen eingeführt worden, meinte Rauch. Damals sei Delta die dominierende Variante gewesen, die für hohe Hospitalisierungsraten gesorgt habe: "Die Intensivstationen waren an der Grenze der Belastbarkeit." Auch er selbst habe die Impfpflicht damals befürwortet, betonte der Minister. "Aber Omikron hat die Regeln verändert."
Mit der neuen Variante sei die Wirksamkeit der Impfung gegen Ansteckungen reduziert worden. Auch grundsätzlich impfwillige Personen seien mittlerweile schwieriger von der Notwendigkeit einer Auffrischung zu überzeugen, so Rauch. Auch VP-Klubchef Wöginger verwies auf die milderen Verläufe der Omikron-Variante. Außerdem müsse man auf die Reaktion der Menschen schauen: Wenn man etwas mit Pflicht anordne vom Staat, werde bei manchen der Schalter umgelegt. "Mit der Impfpflicht haben wir keine zusätzlichen Menschen zum Impfen gebracht."
Obwohl man jetzt vom "Katastrophenmodus" hin zu einer "Phase des Lebens mit dem Virus" geht, bleibe die Impfung - neben dem Tragen von Masken und dem Testen - aber dennoch ein wichtiges Mittel, dem Virus zu begegnen, warb Rauch für die Immunisierungen.
Impfkommission wurde überrascht
In Kraft getreten war die Impfpflicht Anfang Februar, gestraft werden sollte ab Mitte März. Dazu kam es jedoch nicht, weil eine zur Evaluierung der Impfpflicht eingerichtete Expertenkommission sie nicht für verhältnismäßig hielt. Kommissionsmitglied Herwig Kollaritsch zeigte sich am Donnerstag dann auch mäßig traurig über das Ende der Impfpflicht. Aktuell fehle die faktische Grundlage für solch eine Maßnahme, meinte der Impf-Experte. Wenn, dann sollte man über eine Impfpflicht für bestimmte Gruppen nachdenken.
Gehe man davon aus, dass die aktuell kursierenden Omikron-Untervarianten weiter dominant blieben, und keine "wilde Mutante" auftaucht, sei auch nicht davon auszugehen, dass der Druck auf die Intensivstationen wieder erheblich ansteige, meinte der klinische Pharmakologe Markus Zeitlinger. "Von daher verstehe ich, dass die nicht sehr populäre Impfpflicht jetzt abgeschafft wird", so der Leiter der Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie der MedUni/AKH Wien.
"Planloses Dahinstolpern"
Das planlose Dahinstolpern der Regierung setze sich auch heute nahtlos fort, befand wiederum SPÖ-Gesundheitssprecher Philip Kucher. Er verlangte von der Koalition nun die Vorlage eines Alternativplans. Ähnlich NEOS-Klubvize Nikolaus Scherak: Das Ende der Impfpflicht mitten in der Sommer-Welle zu verkünden, passe zum völlig chaotischen Krisenmanagement von ÖVP und Grünen. FPÖ-Chef Herbert Kickl sprach von einem wichtigen und richtigen Schritt. Nun müsse aber auch das Covid-Maßnahmengesetz, um ein Comeback der G-Regeln zu verhindern.