"Regierung soll das tun, wofür sie gewählt wurde: Sorry, arbeiten, arbeiten, darüber rasch und verständlich kommunizieren".
Die Eröffnung der 76. Bregenzer Festspiele am Mittwoch ist ganz im Zeichen des Krieges in der Ukraine gestanden. Bundespräsident Alexander Van der Bellen verurteilte den Krieg scharf, zeigte die gravierenden Folgen auf und wies die Bundesregierung zum Arbeiten an. Neuwahlen erteilte er eine deutliche Absage. Auch Festspielpräsident Hans-Peter Metzler sowie Kunst- und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) stellten Freiheit und Demokratie in den Mittelpunkt ihrer Reden.
"Wir leben in einer Zeit, wo die Grundelemente unseres Lebens angegriffen werden. Der Friede in Europa. Unsere Demokratie, die Art wie wir leben wollen, unsere Versorgungssicherheit, unsere Sicherheit insgesamt", stellte Van der Bellen fest. Den russischen Präsidenten Wladimir Putin bezeichnete er als Diktator, der es nicht ertrage, "dass wir in einer Gesellschaft leben wollen, in der jeder Mensch gleich viel wert ist und der von der Wiedergeburt eines russischen Imperiums träumt". Die Abhängigkeit von russischem Gas sei unerträglich, so Van der Bellen, aber es sei ebenso unerträglich, auch nur mit dem Gedanken zu spielen, sich zum unterwürfigen Verbündeten eines Diktators zu machen - für diese Aussage erhielt der Bundespräsident Zwischenapplaus. In Sachen Abhängigkeit hätten vergangene Regierungen in halb Europa Fehler gemacht, und auch er selbst habe sich täuschen lassen. Er hatte Putin anders eingeschätzt, gab sich der Bundespräsident selbstkritisch.
Seine Verantwortung sehe er gerade darin, "in dieser Zeit die größtmögliche Stabilität zu garantieren". Deswegen sei er zum Entschluss gekommen, "dass die Regierung jetzt das tun soll und muss, und zwar ohne Verzögerung, wofür sie gewählt wurde: Sorry, arbeiten, arbeiten, darüber rasch und verständlich kommunizieren", erteilte Van der Bellen etwaigen Neuwahl-Forderungen eine deutliche Absage. Auch wenn er nicht gut finde, dass Regierende auf allen Ebenen viel mit sich selbst beschäftigt und abgelenkt seien, den Vorwürfen der Korruption müsse natürlich die umfassende Aufarbeitung und Aufklärung folgen.
Ebenso betonte der Bundespräsident, dass wir uns nicht spalten lassen dürften, weder in Österreich noch in der Europäischen Union. "Wir sind alle gefordert", so Van der Bellen. "Ein Österreich, in dem Familien, Pensionisten, arme Menschen im Winter frieren müssen, weil sie sich die Energie nicht mehr leisten können - das ist nicht das Land, in dem wir leben möchten. Da bin ich mir ganz sicher", sagte der Präsident. Dass man deswegen wieder Wärmekraftwerke mit fossilen Brennstoffen in Betrieb nehme, gefalle ihm nicht - aber im Augenblick sei es die bestmögliche Option. "Aber wir werden all' das, was jetzt passiert und passieren wird, bewältigen, wenn wir zusammenhalten", zeigte Van der Bellen auch Zuversicht. Er fügte hinsichtlich der Herausforderungen an: "Und wir werden sie bewältigen."
Festspielpräsident Hans-Peter Metzler war mit Gedanken zum "grausamen Vernichtungskrieg" in der Ukraine als Erster ans Rednerpult getreten. "Menschen verlieren ihr Leben, ihre Freiheit, ihre Existenz", stellte er fest. Der Begriff der Freiheit blieb auch in seinen weiteren Ausführungen bestimmend. Er bezeichnete es als eine zentrale Aufgabe des demokratischen Staates, "Kunst und Kultur in ihrer Freiheit nicht nur zu schützen und zu sichern, sondern ebenso wie die Bildung grundsätzlich und bewusst zu fördern". In Österreich und nicht nur in Österreich brauche es keine Vereinnahmung der Kunst für wie auch immer anders geartete Ziele und Zwecke als für Freiheit, Demokratie und Humanität. Ein breites Angebot an Bildungs- und Kultureinrichtungen sei immer noch unabdingbar für neue Lösungsansätze, für Perspektiven, für Mitmenschlichkeit und für Lebensqualität.
Österreich habe dabei ein bisher gut funktionierendes, verantwortungsvoll umgesetztes Fördersystem - das müsse auch so bleiben, forderte der Festspielpräsident. Den vehementen Ruf nach Fundraising und privatem Sponsoring stellte Metzler infrage. "Auf Biegen und Brechen Geld zu beschaffen, ist aber ein zweischneidiges Schwert, wie sich nun herausgestellt hat", sprach er wohl auch die in Österreichs Innenpolitik publik gewordenen Korruptionsvorwürfe der jüngsten Zeit an, ohne sie zu nennen.
Kunst- und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) - sie vertrat Kulturminister Werner Kogler (Grüne) - hob angesichts des beinahe drei Jahre währenden Krisenzustands "Europa" als Hoffnung hervor in einer "Welt, die nie wieder so sein wird, wie sie war". Der Zusammenhalt im vereinten Kontinent werde helfen, den Krieg und die damit verbundenen Krisen zu überstehen. "Wir sind nicht wehrlos", widersprach sie auch im Hinblick auf die Coronapandemie "entschieden" Albert Camus, der 1947 in "Die Pest" formulierte: "Und doch finden Pest und Krieg die Menschen immer gleich wehrlos." Die Politik müsse die multiple Krisensituation als Gestaltungsauftrag begreifen.
Mayer zeigte sich darüber hinaus überzeugt, dass die Kunst helfen könne, scheinbare Unausweichlichkeit zu überwinden. Sie nahm Bezug auf Frauenfiguren aus den diesjährigen Festspiel-Produktionen und legte dar, wie etwa "unsere tiefsten Emotionen uns zu übermenschlichem Handeln motivieren können". Anhand der Figuren dringe man tief in die Natur des Menschen ein. "Es ist diese Kraft, die der Kunst eigen ist", so die Staatssekretärin. Die Bregenzer Festspiele brächten Höhen und Tiefen der Menschlichkeit nicht nur dem angestammten Opernpublikum nahe, sondern einem weit größeren Personenkreis - und damit "Egalität in das vermeintlich Elitäre", dankte Mayer.
Bis 21. August stehen am und auf dem Bodensee insgesamt rund 80 Veranstaltungen auf dem Programm, für die 220.000 Karten aufgelegt wurden. Mindestens 90 Prozent der Tickets waren zu Festspiel-Beginn bereits gebucht. Den künstlerischen Auftakt des Festivals bildete am Mittwochabend die Premiere von Giacomo Puccinis "Madame Butterfly" auf der Seebühne. Für die 26 Aufführungen von "Madame Butterfly" gelangten 189.000 Karten in den Verkauf. Die "Sibirien"-Premiere im Festspielhaus wird am Donnerstagabend gefeiert.
Abseits der Reden bestach die live im TV übertragene Eröffnung durch die Darbietungen der Festspiel-Künstler, die auf höchstem Niveau in vielfältigen Auszügen das Festspielprogramm vermittelten. Gewohnt gut kam wie in den vergangenen Jahren Moderator Nikolaus Habjan an, der mit seiner Handpuppe Jonathan und subversiven Ansagen für beste Unterhaltung sorgte. Beschlossen wurde die Eröffnung - auf persönlichen Wunsch des Bundespräsidenten - mit der Europahymne. Anschließend traf man sich zum traditionellen Volksempfang auf dem Vorplatz des Festspielhauses. Dieser hatte in den vergangenen beiden Jahren aufgrund der Coronapandemie entfallen müssen.