ÖSTERREICH-Interview

VdB: Doppelpass-Verfahren sollen neu aufgerollt werden

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Die Verfahren jener Menschen, denen die österreichische Staatsbürgerschaft aufgrund der FPÖ-Liste aberkannt wurde, sollen neu aufgerollt werden.

2018 war auch das Jahr des Alexander Van der Bellen. Seine Rolle als Gegenpol auf der einen und als unaufgeregter Gesprächspartner der Regierung auf der ­anderen Seite wurde immer wichtiger. Im ÖSTERREICH-Gespräch zieht er Bilanz und nimmt zu Themen wie EU-Vorsitz, Ausgehverbot und Türkei Stellung:

ÖSTERREICH: Teilen Sie die Kritik von Guy Verhofstadt oder Ex-EU-Kommissar Fischler an der österreichischen Ratspräsidentschaft? War der Schwerpunkt zu stark auf der Migrationsfrage? Was wurde versäumt? Was war ­positiv an der österreichischen Ratspräsidentschaft?

Alexander Van der Bellen: Es war eine herausfordernde Präsidentschaft, geprägt vor allem vom Brexit. Dieses Problem muss allerdings Großbritannien lösen. Positiv finde ich, dass Europa ein neues Verhältnis zu Afrika sucht, nämlich Wirtschaftsbeziehungen auf Augenhöhe. In der Migrationsfrage sind die EU-Staaten weiter uneins. Beim mehrjährigen Finanzrahmen hingegen wurden Fortschritte erzielt und die österreichischen Beamten haben gute Arbeit geleistet.

ÖSTERREICH: Halten Sie den Brexit noch für abwendbar? Wie?

Van der Bellen:  Möglich wäre es. Aber das muss das Vereinigte Königreich für sich entscheiden.

ÖSTERREICH: Die Caritas zeigt sich besorgt über Kürzung der Mindestsicherung etc. Ist ­Ihrer Meinung nach der österreichische Sozialstaat in Gefahr?

Van der Bellen: Das Wichtigste in einer Gesellschaft ist der Zusammenhalt. Dazu gehört auch die Frage, wie wir mit Benachteiligten umgehen. Mir ist wichtig, dass niemand in Österreich in ­Armut leben muss.

ÖSTERREICH: Wie zufrieden sind Sie als Oberbefehlshaber mit dem Zustand des Bundesheeres?

Van der Bellen:  2019 wird entscheidend für das Bundesheer und seine Einsatzbereitschaft sein. Ich werde deshalb bei den Budgetverhandlungen auf die Wiederherstellung des verfassungskonformen Zustands des Bundesheeres achten.

ÖSTERREICH: Das heißt, das Heer braucht mehr Geld, um wieder funktionstüchtig zu sein?

Van der Bellen: Die politische Führung ist dafür verantwortlich, die notwendigen Ressourcen sicherzustellen.

Werner Schima Van der Bellen
© TZOE/Artner

Bundespräsident Alexander Van der Bellen mit ÖSTERREICH-Herausgeber Werner Schima.

ÖSTERREICH: Was halten Sie von einer Anwesenheitspflicht für alleinstehende männliche Flüchtlinge in Heimen? Wären Sie für Zugangskontrollen und stärkere Aufsicht in Asyleinrichtungen?

Van der Bellen: Ein Ausgehverbot sei rechtlich nicht möglich, sagte der Kanzler. Namhafte Verfassungsjuristen sehen das bei der An­wesenheitspflicht ähnlich, da es auf eine unzulässige Beschränkung der persönlichen Freiheit hinauslaufe.

ÖSTERREICH: Der VfGH hat den Verlust der Staatsbürgerschaft eines österreichischen Staatsbürgers türkischer Herkunft rückgängig gemacht. Sollen bereits abgeschlossene Verfahren, nach denen vergleichbare Fälle, bei denen Menschen, die auf der FPÖ-Liste standen, die Staatsbürgerschaft aberkannt wurde, neu aufgerollt werden?

Van der Bellen: Ja, denn es bleibt ein sehr schlechter Nachgeschmack, wenn jemand ­seine Staatsbürgerschaft aufgrund einer Liste verliert, die der VfGH als untaugliches ­Beweismittel einstuft.

ÖSTERREICH: Der österreichische Journalist Max Zirngast sitzt nach wie vor in türkischer Haft. Unternimmt die Regierung genug, um ihn herauszubekommen – vor allem, wenn man es mit den Aktivitäten der deutschen Regierung für Deniz Yücel vergleicht? Werden Sie selbst ­aktiv?

Van der Bellen: Dieser Fall war schon Gegenstand eines Gesprächs zwischen Präsident Erdogan und mir. Ich hoffe sehr, dass die Türkei rasch eine positive Entscheidung trifft.

ÖSTERREICH: Was wird Ihre wichtigste Auslandsreise im kommenden Jahr?

Van der Bellen: Im Frühjahr sicher die Reise nach Israel. Allein aufgrund der jahrtausendealten historischen Verbundenheit mit dem Heiligen Land und natürlich auch aufgrund unserer jüngeren Geschichte.

ÖSTERREICH: Wie bilanzieren Sie Ihre Zusammenarbeit mit der Regierung nach einem Jahr? Positi/negativ?

Van der Bellen:  Ich führe regelmäßig Gespräche mit dem Kanzler, dem Vizekanzler und den Ministerinnen und Ministern. Wir tauschen uns über die wichtigen Themen aus. Die Zusammen­arbeit ist professionell, auch wenn wir nicht immer einer Meinung sind.

ÖSTERREICH: Was wünschen Sie sich von der Bundesregierung zu Weihnachten bzw. zum neuen Jahr?

Van der Bellen: Weihnachten ist ein Fest der Gemeinsamkeit. Das Gemeinsame zu suchen und auf den Zusammenhalt zu achten ist eine zutiefst österreichische Wesensart. Sie dient dem größtmöglichen Wohl aller. Das sollten wir uns alle auch für das kommende Jahr zu Herzen nehmen.

 

Interview: Werner Schima

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