In Deutschland wird am Sonntag das Staatsoberhaupt neu gewählt. Amtsinhaber Frank-Walter Steinmeier ist eine breite Mehrheit unter den Wahlmännern und -frauen in der Bundesversammlung sicher.
Der frühere Außenminister und sozialdemokratische Politiker ist seit 2017 im Amt. Der Bundespräsident kann in Deutschland einmal wiedergewählt werden. Die Bundesversammlung, die nur zur Präsidentenwahl zusammenkommt, setzt sich aus den 736 Abgeordneten des Bundestages und ebenso vielen Vertretern der 16 Bundesländer zusammen. Unter ihnen sind nicht nur Politiker, sondern auch Prominente aus Sport und Kultur.
Steinmeier wird von den drei Parteien der "Ampel"-Koalition unterstützt, aber auch von der oppositionellen CDU/CSU. Die Linke hat den Arzt und Armutsforscher Gerhard Trabert aufgestellt, die rechtspopulistische AfD den als "Crash-Propheten" bekannten Ökonomen Max Otte - pikanterweise ein CDU-Mitglied. Gegen ihn wurde daraufhin ein Parteiausschlussverfahren eingeleitet. Die Freien Wähler (FW) nominierten die Brandenburger Kommunalpolitikerin Stefanie Gebauer. Alle drei sind chancenlos.
Amt ohne Macht
Der Bundespräsident hat in Deutschland wenig politische Macht. Als Staatsoberhaupt repräsentiert er das Land nach innen und außen und kann in Zeiten politischer Zerrissenheit integrierend wirken und Orientierung geben.
Es gilt als Steinmeiers Verdienst, nach der Bundestagswahl 2017 seine eigene Partei, die SPD, dazu gebracht zu haben, noch einmal mit den Christdemokraten der damaligen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zu regieren. Nachdem zuvor die Sondierungen für ein schwarz-gelb-grünes Bündnis aus CDU/CSU, FDP und Grünen ("Jamaika") gescheitert waren, drohte politische Instabilität in Europas größter Volkswirtschaft.
Erster Wahltriumph 2017
Steinmeier war im Februar 2017 als gemeinsamer Kandidat der damaligen schwarz-roten Koalition gewählt worden. Zwar hatte die CDU/CSU als größerer Regierungspartner viel mehr Wahlleute. Sie fand aber keinen passenden Kandidaten, nachdem namhafte Christdemokraten wie der damalige Parlamentspräsident Norbert Lammert abgewunken hatten.
Der 66-jährige Steinmeier hatte seine bundespolitische Karriere unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) begonnen, dem er von 1999 bis 2005 als Kanzleramtschef diente. Von 2005 bis 2009 und von 2013 bis 2017 war er unter Merkel Außenminister, von 2009 bis 2013 als SPD-Fraktionschef im Bundestag Oppositionsführer. 2009 verlor er als Kanzlerkandidat der SPD gegen Merkel. Seit seinem Amtsantritt als Bundespräsident ruht seine Parteimitgliedschaft.
Frühe Bekanntgabe der zweiten Kandidatur
Eher ungewöhnlich in Deutschland, hatte sich Steinmeier selbst um eine zweite Amtszeit beworben, und dies schon im Mai 2021. Damals stand die Bundestagswahl mit der Neuordnung der Machtverhältnisse erst noch bevor, so dass seine Erfolgsaussichten nicht absehbar waren. "Ich weiß, dass ich nicht von vornherein auf eine Mehrheit in der Bundesversammlung bauen kann. Aber ich trete nicht aus Bequemlichkeit an, sondern aus Überzeugung", sagte er damals.
SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz schaffte es aber im Wahlkampf, den lange Zeit ungünstigen SPD-Trend zu drehen und die Wahl knapp zu gewinnen. Scholz wurde am 8. Dezember an der Spitze einer Koalition aus SPD, FDP und Grünen als Kanzler vereidigt.
Grüne scheitern mit Vorschlag
Nachdem sich neben Steinmeiers eigener Partei auch die FDP für ihn ausgesprochen hatte, standen die Grünen unter Zugzwang. Eigentlich hatten sie ihre Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt zur ersten Frau im höchsten Staatsamt machen wollen, aus Koalitionsdisziplin stellten sie sich Anfang Jänner aber ebenfalls hinter Steinmeier.
Die oppositionellen Christdemokraten standen nun vor der Wahl, einen aussichtslosen "Zählkandidaten" aufzustellen, keine Wahlempfehlung zu geben oder sich ebenfalls für Steinmeier auszusprechen, den sie ja mit ins Amt gebracht hatten. Sie entschieden sich für Letzteres.
Der in der Bevölkerung populäre Steinmeier ist kritisiert worden, im Amt farblos geblieben zu sein, zu wenige Impulse gegeben und keine wirklich große Rede gehalten zu haben. Zu einem seiner Schwerpunkte gehörten das Thema Demokratie und deren historische Wurzeln in Deutschland.
So wurde ein Saal im Schloss Bellevue nach dem Freiheitskämpfer Robert Blum (1807-1848) benannt, der seinen Einsatz für ein demokratisches Deutschland in der 1848er Revolution mit dem Leben bezahlte. In einer Rede zum 100. Jahrestag der Ausrufung der Republik in Deutschland rief Steinmeier am 9. November 2018 die Deutschen zu einem "aufgeklärten Patriotismus" auf - "ein Patriotismus mit leisen Tönen und gemischten Gefühlen", wie er es sagte.
Steinmeier ist der vierte sozialdemokratische Staatschef in Deutschland nach den Bundespräsidenten Gustav Heinemann (1969-1974) und Johannes Rau (1999-2004) sowie dem Reichspräsidenten Friedrich Ebert (1919-1925) in der Weimarer Republik.
Manchmal können Bundespräsidentenwahlen in Deutschland spannend werden. So schafften es Heinemann 1969, Roman Herzog (CDU) 1994 und Christian Wulff (CDU) 2010 jeweils erst im dritten Wahlgang. Steinmeiers Wahl dürfte sich am Sonntag schon im ersten Wahlgang entscheiden. Zu den Delegierten, die von den Bundesländern nominiert wurden, zählt auch Angela Merkel, die seit der Amtsübergabe an Scholz nur noch selten öffentlich gesehen wurde.