Den Evakuierungseinsatz in Afghanistan bezeichnet US-Präsident Biden als "außergewöhnlichen Erfolg" und er verteidigt abermals die umstrittene Entscheidung des Truppenabzugs.
Kabul/Washington: Nach dem kompletten Abzug aller amerikanischen Soldaten aus Afghanistan hat US-Präsident Joe Biden seine umstrittene Entscheidung erneut verteidigt.
"Nicht willkürlich"
Der Truppenabzug zum 31. August sei nicht auf eine "willkürliche Frist" zurückzuführen, sagte Biden am Dienstag bei einer Ansprache im Weißen Haus. "Sie war so ausgelegt, um amerikanische Leben zu retten." Sein Amtsvorgänger Donald Trump habe eine Vereinbarung mit den Taliban geschlossen und den Abzug der US-Truppen zugesagt.
Er selbst habe die Wahl gehabt, daran festzuhalten oder Zehntausende weitere US-Soldaten nach Afghanistan zu schicken und den Einsatz fortzusetzen. Die USA hätten allein die Wahl gehabt, das Land zu verlassen oder den Konflikt zu eskalieren. Er habe den Krieg nicht ewig verlängern wollen, betonte Biden. Und er habe auch den Abzug nicht ewig verlängern wollen. "Es war an der Zeit, diesen Krieg zu beenden." Der Präsident wies auch erneut Kritik zurück, der Abzug hätte geordneter abgewickelt werden können. Biden wertete die "Herausforderungen", mit denen man bei dem Abzug konfrontiert gewesen seien, als unvermeidbar.
"Außergewöhnlicher Erfolg"
Biden nannte den Evakuierungseinsatz einen "außergewöhnlichen Erfolg". Neunzig Prozent der Amerikaner in Afghanistan, die das Land verlassen wollten, seien dazu in der Lage gewesen, sagte Biden. Es werde davon ausgegangen, dass sich noch 100 bis 200 US-Bürger in Afghanistan aufhielten.
Der US-Präsident kündigte weitreichende Konsequenzen für künftige militärische Einsätze an. "Wir müssen aus unseren Fehlern lernen. Bei dieser Entscheidung über Afghanistan geht es nicht nur um Afghanistan. Es geht darum, eine Ära großer Militäroperationen zur Umgestaltung anderer Länder zu beenden." Künftige Einsätze müssten klare, erreichbare Ziele haben. Sie müssten sich außerdem "auf das grundlegende nationale Sicherheitsinteresse" der USA konzentrieren.
Biden sagte, in Afghanistan hätten die USA erlebt, wie eine Mission zur Terrorismusbekämpfung sich in einen Einsatz zur Aufstandsbekämpfung, zum Aufbau einer Nation und zur Schaffung eines demokratischen, zusammenhängenden und geeinten Landes verwandelt habe. Das sei "etwas, das in der jahrhundertelangen Geschichte Afghanistans nie erreicht wurde". Der Präsident fügte hinzu: "Wenn wir diese Denkweise und diese Art von großangelegten Truppeneinsätzen hinter uns lassen, werden wir zu Hause stärker, effektiver und sicherer sein.
Die afghanische Regierung sei kollabiert
Biden machte erneut die frühere afghanische Regierung und die Sicherheitskräfte des Landes für die Machtübernahme der Taliban verantwortlich. Die afghanischen Sicherheitskräfte seien entgegen den Erwartungen kein starker Gegner im Kampf gegen die Taliban gewesen, erklärte Biden. Die afghanische Regierung sei kollabiert, Präsident Ashraf Ghani sei außer Landes geflohen. Sie hätten damit "das Land ihren Feinden übergeben, den Taliban". Damit sei die Gefahr für die US-Streitkräfte und ihre Verbündeten gestiegen. Eigene Fehler beim Abzug der US-Soldaten räumte Biden nicht ein.
Einsatz endet nach 20 Jahren
Mit dem Abzug der letzten US-Soldaten vom Flughafen Kabul war in der Nacht zu Dienstag der internationale Afghanistan-Einsatz nach fast 20 Jahren zu Ende gegangen. Biden hatte im Juli angekündigt, dass alle US-Truppen bis zum 31. August abgezogen werden. Nach der Abzugsankündigung hatte der Siegeszug der Taliban rasant an Tempo zugelegt. Mitte August übernahmen die Islamisten, deren Regime der US-geführte Einsatz Ende 2001 gestürzt hatte, wieder die Macht.
Seitdem versuchten die USA und ihre Verbündeten fieberhaft, eigene Staatsbürger und afghanische Mitarbeiter außer Landes zu fliegen. Auch die Evakuierungsmission endete in der Nacht zu Dienstag.